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Ernährung

Amerikaner sind dick oder unterernährt

Ostern ist überstanden, die Bäuche wurden ordentlich vollgeschlagen und bis Ostern muss der Gürtel definitiv enger geschnallt werden. Da wirkt die folgende Nachricht fast schon zynisch: In Amerika ist die Zahl der an Hunger leidenden Menschen auf einem...
Foto: Wendell | Flickr | CC BY 2.0

Ostern ist überstanden, die Bäuche wurden ordentlich vollgeschlagen und auch Tante Uschi wurde bei Kaffee und Kuchen abgespeist. Jetzt muss bei vielen der Gürtel bis Ostern definitiv enger geschnallt werden. Da wirkt die folgende Nachricht fast schon zynisch: In Amerika—einem der reichsten Länder der Welt—ist die Zahl der an Hunger leidenden Menschen auf einem Allzeithoch.

Fast jeder sechste Amerikaner muss hungern. Diese alarmierende Zahl ist das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre. Zum Vergleich: Vor der 2007 einsetzenden Weltwirtschaftskrise war es „nur" einer von zehn Amerikanern, der sich keine ausreichende Ernährung leisten konnte. Doch dann schlug die Rezession zu, die Arbeitslosenrate stieg bis 2009 auf rund 10 Prozent und immer mehr Menschen mussten feststellen, dass (gesundes) Essen zu einem schier unbezahlbaren Luxus geworden ist. Und obwohl die Rezession schon 2009 offiziell endete, hat sich an dieser Situation rein gar nichts geändert.

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Viele der Einkommen reichen schlichtweg nicht mehr aus, um damit eine Familie zu ernähren.

„Die Rezession ist rein technisch gesehen schon seit vielen Jahren beendet—aber eben nur rein technisch gesehen", so Bill Ayres, Vorsitzender von WhyHunger, eine landesweit operierende Hilfsorganisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, durch lokale Basisinitiativen dem Hunger ein Ende zu setzen. „Die Topverdiener des Landes haben zwar eine Menge Geld verloren, konnten aber inzwischen wieder alles zurückgewinnen. Nicht so die Leute weiter unten auf der Einkommensskala. Auch die haben viel Geld verloren, nur geht es ihnen—viele Jahre danach—wirtschaftlich immer noch nicht besser."

Eine der Hauptursachen für die aktuelle Ernährungsmisere liegt laut Ayres in der Tatsache, dass 26 Mio. Amerikaner unterbeschäftigt und viele weitere unterbezahlt sind. „Es liegt an den Jobs von heute", so Ayres weiter. „Viele der Einkommen reichen schlichtweg nicht mehr aus, um damit eine Familie zu ernähren." Was wiederum dazu führt, dass Eltern am Essenstisch vor unliebsame Entscheidungen gestellt werden. „So passiert es häufig, dass Eltern ihren Kindern zuliebe aufs Essen verzichten", so Ayres weiter.

Ein weiterer Punkt, der vielen Amerikanern den Zugang zu Lebensmitteln erschwert, sind die massiven Einschnitte—in Höhe von rund sieben Milliarden Euro—bei dem staatlichen Lebensmittelhilfe-Programm SNAP, die letzten November wirksam wurden. Die Kürzungen betreffen die rund 47 Mio. Amerikaner, die auf die Lebensmittelmarken angewiesen sind. So erhalten Familien pro Monat statt höchstens 668 Dollar (rund 547 Euro) nur noch 632 Dollar (518 Euro), was einem jährlichen Verlust von 432 Dollar, also mehr als 350 Euro, entspricht. Jeden Monat gehen so bedürftigen Familien bis zu 21 Mahlzeiten flöten—ein Einschnitt, den viele Haushalte partout nicht auffangen können. „Die monatlichen Kürzungen in Höhe von 50, 60 oder 80 Dollar hören sich vielleicht nicht so dramatisch an, doch für Familien, die eh schon jeden Cent zusammenkratzen müssen, kann die Differenz im Portmonee schnell zum Genickbruch werden."

Immer mehr Amerikaner wenden sich deshalb an Suppenküchen und Essenstafeln, weil sie sich dringend notwendige Lebensmittel selber nicht mehr leisten können. Aktuellen Daten zufolge meldeten in diesem Jahr 80 Prozent der amerikanischen Tafeln einen Anstieg bei der Nachfrage. „Uns geht in einem Tempo das Essen aus, wie wir es noch nie zuvor erlebt haben", so Triada Stampas, mitverantwortlich für die größte Tafel New Yorks. Im Big Apple muss ein Essenspaket neun Mahlzeiten beinhalten. Doch immer weniger Tafeln würden sich an diese Vorgabe halten können, erklärt uns Triada. „Mehr und mehr Leute müssen aufgrund von aufgebrauchter Vorräte abgewiesen werden."

Eine so hohe Zahl an Hunger leidenden Menschen in einer entwickelten, westlichen Nation ist für viele ein Schock. Doch auch in anderen ähnlich wohlhabenden Ländern sieht die Lage nicht besser aus. In Großbritannien etwa leben 13 Mio. Menschen—also rund jeder Fünfte—unter der Armutsgrenze. Da überrascht es nur wenig, dass einer Studie aus dem Jahr 2012 zufolge eine von fünf britischen Müttern regelmäßig Mahlzeiten ausfallen lässt, damit wenigstens ihre Kinder genug zu essen haben. Dass das allerdings nicht ausreicht, zeigt eine andere UK-Studie, der zufolge schon 41 Prozent der Lehrer hungerbedingte Müdigkeitserscheinungen bei ihren Schülern festgestellt haben. Gerade das Phänomen des sogenannten verborgenen Hungers (abgeleitet aus dem Englischen, wo Wissenschaftler von hidden hunger sprechen) bereitet westlichen Ländern zunehmend Probleme. Stichwort: Mangelernährung. Denn wie es der Hohenheimer Ernährungswissenschaftler Hans Konrad Biesalski ausdrückt: Hungertote sind nur die Spitze des Eisbergs.

Denn auch in Deutschland gibt es unzählige Menschen, die von Hartz 4 leben oder so wenig verdienen, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung nicht drin ist. Vor allem im Kindesalter kann verborgener Hunger weitreichende Folgen haben. So haben laut Biesalski verschiedene US-Studien gezeigt, dass Kinder durch Mangelernährung schwächer werden, es zu Wachstumsstörungen kommt und sie sogar in ihrer geistigen Entwicklung hinterherhinken können. Dass Einkommen und Nahrungsvielfalt stark korrelieren, hat das Dortmunder Institut für Kinderernährung 2012 in einer Studie mit über 13.000 Kindern zwischen drei und siebzehn Jahren unterstrichen: Je ärmer die Familie, desto ungesünder und weniger ausgewogen die Ernährung.

Oberes Foto: Wendell | Flickr | CC BY 2.0