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Impact

Ich habe versucht, eine Woche zu überleben, ohne etwas wegzuschmeissen

Der Zero-Waste-Trend hat ein komplett müllfreies Leben zum Ziel. Mit Jutebeutel und Glasflasche bewaffnet wage ich den Selbstversuch.
Foto von der Autorin

Am Ende eines Jahres, welches so unglaublich scheisse war wie 2016 (Syrien, Trump, Prince, you name it) darf man sich ruhig einmal fragen, was man selbst denn so tut, um die Welt zu verbessern. Beim Ziel, mein Karma fit für die Apokalypse zu machen, kommt mir der Zero-Waste-Trend gerade recht.

Ihr habt noch nie von Zero Waste gehört? Dann liegt das wahrscheinlich daran, dass ihr selbstsüchtige, ignorante, vom Konsum versklavte Millennials seid, die manchmal Take-Away-Essen bestellen und trotzdem Ja zum Atomausstieg gestimmt haben. So wie ich. Aber das ändert sich jetzt.

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Alle Fotos von der Autorin oder zur Verfügung gestellt

Zero Waste ist ein Lebensstil, bei dem man versucht, so wenig Müll wie möglich zu produzieren—der Umwelt zuliebe. Gerade in der Schweiz kann etwas Müllreduktion nicht schaden, schliesslich belegen wir Rang 3 auf der Liste der OECD-Länder mit der höchsten Müllproduktion. Allerdings sind wir auch im Recycling ganz vorne mit dabei, was die Bilanz wieder etwas freundlicher aussehen lässt.

Die in Kalifornien beheimatete Bea Johnson hat den Begriff Zero Waste erfunden und mit Vorträgen, Workshops und Beratungen zum Thema einen Haufen Geld verdient. 2013 hat sie zudem ein Ratgeberbuch geschrieben, welches vor kurzem unter dem Titel Glücklich Leben ohne Müll! Reduziere deinen Müll und vereinfache dein Leben auch auf Deutsch veröffentlicht wurde, damit wir alle den mülllosen Alltag nachmachen können. Auch ich möchte das ausprobieren, vorsichtshalber einmal nur für eine Woche, man soll ja nicht gleich übertreiben. Ihr Ratgeber wird also für die nächsten sieben Tage meine Bibel sein.

TAG 1

Zero-Waste-Kosmetik

Die ersten Herausforderungen warten im Badezimmer. Vergesst Wattepads und Wattestäbchen—make Waschlappen great again! Haarshampoo und Duschgel in Plastikflaschen sind ebenfalls tabu, aber es gibt Alternativen. Kosmetikhersteller wie Lush produzieren feste Seifen und Shampoos, welche man in wiederverwendbaren Metalldosen kaufen kann; andere Artikel sind in kompostierbarem Cellophan verpackt (nein, ich bin nicht von Lush gesponsert—und ja, nach zehn Minuten in einem dieser mit quietschbunten Badebomben vollgestopften Läden hat man olfaktorisch bedingte Kopfschmerzen, aber es lohnt sich).

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Ansonsten sind Bea Johnsons Tipps fürs Badezimmer rigide bis völlig überholt. Anstelle von Zahnpasta empfiehlt sie Backpulver, was mein Leben um das Gefühl von weggeätztem Zahnfleisch bereichert. Ausserdem haben wir im Trinkwasser, anders als die Amerikaner, kein Fluorid, weshalb die Zahnpasta nur schwer zu ersetzen ist. Auch die Zahnbürste findet Frau Johnson überbewertet, Urvölker machten das schliesslich mit Zweigen! Meiner Dentalhygienikerin zuliebe behalte ich die Zahnbürste trotzdem.

Als Ersatz für Tampons näht sich Bea aus Baumwolle eigene Stoffbinden. Wir können eigentlich ja auch gleich zurück ins Mittelalter. Zum Glück gibt's noch die Menstruationstasse, eine durchaus praktische und auch kostengünstige Alternative. Wenigstens das Klopapier lässt Bea Johnson durchgehen, solange es bei Recyclingpapier bleibt.

TAG 2

Bea Johnson möchte, dass ich den produzierten Müll in einem Marmeladenglas mit mir herumtrage

Schon bald merke ich: Der Teufel steckt im Detail. Als Kontaktlinsenträgerin werde ich wohl oder übel die nächsten Tage mit Brille unterwegs sein. Papiernastücher fallen ebenfalls weg, weswegen ich jahreszeitbedingt meinen Vater bitte, mir per Post einige seiner Stoffexemplare zuzuschicken. Aus Erfahrung kann ich sagen: Putzt eure Nase in der S-Bahn einmal mit einem sauber gefalteten Stoffnastuch und ihr werdet euch fühlen wie das Adoptivkind von Anna Wintour und dem Dalai Lama.

Dass Kaugummi auch Abfall generiert, merke ich zu spät. Der kommt jetzt also in mein Marmeladenglas, wo ich meinen täglich produzierten Müll sammle und ihn dann als ständige Erinnerung an mein persönliches Versagen mit mir rumtrage. Bea Johnson macht das auch, also muss es was bringen. Amen.

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TAG 3

Ich übe schon mal für die Deichkind-Performance

In einem Do-it-yourself-Anfall kaufe ich mir zwei Stücke Schaumstoff, die ich zur Isolation meiner Zimmertüre brauche. Schlussendlich verwende ich nur eines davon. Normalerweise würde ich das zweite Stück wegschmeissen, aber das geht ja nicht. Meine Mitbewohnerin meint, wir könnten daraus Hüte basteln und uns an Fasching als Deichkind verkleiden. Auch gut.

TAG 4

Zero Waste bringt mich sogar dazu, Papiertüten zu basteln

Bis jetzt habe ich bezüglich Ernährung aus Faulheit nach einer einfachen Faustregel gelebt: Wenn es Müll produziert, esse ich es nicht. Das hat zur Folge, dass ich seit Beginn der Woche anderthalb Kilo abgenommen habe, weil ich mich hauptsächlich von Kaffee ernähre. Es ist wohl also an der Zeit, einmal einkaufen zu gehen.

Da in Migros, Coop und Co. sogar ein simpler Salat in Plastik eingewickelt daherkommt, muss ich mir eine Strategie überlegen. Am naheliegendsten ist der Einkauf auf einem Lebensmittelmarkt. Nach kurzer Internetrecherche entscheide ich mich für die Markthalle im Zürcher Viadukt, wo das Angebot am grössten zu sein scheint. Dort kaufe ich frisches Gemüse und packe es direkt in Tüten, die ich vorher aus alten Zeitungen gebastelt habe—ja, so engagiert bin ich mittlerweile.


TOXIC: Garbage Island - Teil 1


Joghurt gibt es in Gläsern, welche man mitsamt dem Deckel leer wieder zurückbringt. Es hat sogar ein Milch-Häuschen, wo ich meine mitgebrachte Glasflasche auffüllen kann. Und als ich den Metzger bitte, mir das Fleisch doch direkt ins Tupperware zu füllen, wundert er sich auch nur ein ganz kleines bisschen.

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Selbstbewusst auftreten lautet die Devise, dann traut sich auch niemand, einen dummen Spruch fallen zu lassen. Insgesamt reagieren die Leute aber sowieso sehr zuvorkommend auf meine Sonderwünsche, vor allem, wenn ich ihnen den Hintergrund meiner pedantischen Einkaufsroutine erkläre. Gegen weniger Abfall kann schliesslich niemand etwas einwenden.

TAG 5

Bea sagt, Kompost sei kein Abfall

Der öffentliche Verkehr in Zürich ist glücklicherweise dank Mobile-App Zero-Waste-optimiert. Heute aber muss ich für eine Verabredung nach Basel und als Zürcherin bin ich zu dumm (oder zu faul?), um herauszufinden, wie ich die Basler Drämmli handhaben muss. Ich kaufe mir also ein papiernes Ticket und packe es frustriert in mein Marmeladenglas.

Sowieso ist heute mein Cheat Day. Die Verabredung ist nämlich eher sowas wie ein Date und ich bin eitel, also muss die Brille schweren Herzens weg. Und wenn man aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit die Zutaten fürs Abendessen an der Tankstelle einkaufen muss, hat man eben mit in Plastik eingewickelten Peperoni zu leben. Einen Moment lang überlege ich mir, den Plastik in mein Marmeladenglas zu packen, aber ich will die Toleranz meines Gegenübers nicht überstrapazieren. Die halbe Minute betretenes Schweigen nach seinem Geständnis, dass sie in der WG den Müll nicht trennen, hat mir gereicht. Zero Waste ist vielleicht humanistisch, paradoxerweise aber nicht sehr sozialkompatibel.

TAG 6

Mein Brot im Kissenbezug

Langsam aber sicher bin ich geübt. Meinen Kaffee lasse ich mir an der Bar direkt in die mitgebrachte Thermoskanne füllen, das Brot transportiere ich nicht im Papiersack, sondern in einem simplen Kissenbezug, weil so das Brot knusprig bleibt. Das sagt zumindest Bea Johnson. Ich finde, das Brot schmeckt so wie immer. Wie Brot halt.

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TAG 7

Ein Kinoabend steht auf dem Programm, und weil ich mir die Tickets direkt aufs Handy laden kann, läuft auch das gänzlich müllfrei. Vorher gehen wir aber noch in ein Restaurant—gemäss meiner Logik kein Problem, da ich dort ja keinen Müll produziere. "Du vielleicht nicht, aber das Restaurant schon", gibt meine Kollegin zu bedenken. Ich erinnere sie freundlich daran, dass wir darüber nicht sprechen. Denn wenn ich jetzt auch noch die Business-Modelle jedes meiner Lieblingsrestaurants unter die Lupe nehmen muss, vergeht mir bald die Lebensfreude.

FAZIT

Letzter Zero-Waste-Tag mit dem zur Überraschung aller gar nicht mal so gefüllten Marmeladenglas

Weniger Müll zu produzieren ist ohne Zweifel ein ehrenhafter Vorsatz. Es ist ja nun nicht so, dass man gleich 100 Instagram-Follower verliert, wenn man den Kaffee einmal aus der Tasse und nicht aus dem Pappbecher trinkt (und wenn schon). Ich kann einen solchen Zero-Waste-Selbstversuch nur weiterempfehlen, weil er das Bewusstsein dafür schärft, wie viel unnötigen Plastikmüll wir tagtäglich produzieren. Weshalb muss ich zum Beispiel meine Früchte im Supermarkt in einen Plastiksack packen, damit ich sie anschliessend wägen kann? Das ginge doch auch ganz gut ohne.

In diesem Sinne ist Recycling-WC-Papier wie ein HSG-Student: nicht ganz so schlecht wie sein Ruf. Doch die Lebenstipps von Bea Johnson sind mit Vorsicht zu geniessen. Viele Ideen sind ganz einfach nicht umsetzbar, auch weil in der Schweiz die dazu nötige Infrastruktur (noch) fehlt—zum Beispiel Läden, wo man Pasta, Reis und andere Grundnahrungsmittel offen kaufen kann. Ausserdem ist ein Leben ohne Müll ganz schön teuer. Wenn man seine Einkäufe nicht mehr im Denner, sondern im trendigen Kosmetikladen oder auf dem hippen Markt im Viadukt tätigt, geht das ins Geld—ganz zu schweigen von der Zeit, die man zusätzlich investieren muss, um von Spezialgeschäft zu Spezialgeschäft zu tingeln.

Nach einer Woche ist mein Marmeladenglas gefüllt mit Quittungen aus der Migros, einem Trambillett, einem Kaugummi und etwas Verpackungsmaterial. Insgesamt bin ich stolz auf meine Wochenbilanz. Zero Waste kann sich also durchaus lohnen. Doch der Trend hat auch irgendwo seine Grenzen. Bei der Verhütung zum Beispiel.

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