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Ungerechtigkeit

Unsere Schokosucht unterstützt immer noch Kinderarbeit

Noch immer werden Hunderttausende von Kindern zu schwerer und gefährlicher Arbeit auf Kakaoplantagen gezwungen, damit wir uns mit Schokolade vollstopfen können. Was können wir dagegen tun?
Foto: John Loo | Flickr | CC BY 2.0

Ja, ich liebe Schokolade. Und ja, keine Tafel ist vor mir sicher. Ist das ein Problem? Na ja, abgesehen von meinem Gewicht … JA! Denn wenn ich so weitermache, ist mir ein Ehrenplatz in der Hölle fast schon garantiert. Meinem Naschkatzendasein sei Dank unterstütze ich nämlich Kinderarbeit (die auch noch so miserabel bezahlt wird, dass man eigentlich schon von Sklaverei sprechen sollte) in Westafrika. Nichts Neues, denkst du? Stimmt. Haben die meisten Verbraucher seit Bekanntwerden dieser Nachricht irgendetwas an ihrem Verhalten geändert? Nein! Also kann ja ein weiterer Beitrag, samt Interview mit einem Experten, bestimmt nicht schaden—und hoffentlich endlich zum Umdenken anregen. Rund siebzig Prozent der weltweiten Kakaoernte stammen aus genau zwei Ländern: Ghana und die Elfenbeinküste. Und obwohl man glauben könnte (ja, ich weiß, ziemlich naiv…), diese Quasi-Monopolstellung würde für einigermaßen humane Löhne sorgen, verdienen Bauern in diesen Ländern gerade einmal ein Drittel von dem, was von vielen als Armutsgrenze angesehen wird.

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Laut einem Bericht des amerikanischen Außenministeriums arbeiteten im Jahr 2009 100.000 Kinder in der Kakaoindustrie der Elfenbeinküste. Ganze zehn Prozent der Kinder waren aufgrund von Menschenschmuggel im Land. Und in einem weiteren Bericht des amerikanischen Department of State aus dem Jahr 2010 wurde festgestellt, dass 43 Prozent der Kinder zwischen 5 und 14 Jahren in Ghana auf Kakaoplantagen arbeiteten. Um mehr über das Thema zu erfahren, habe ich mit Abby Mills—verantwortlich für die Kampagnen beim International Labor Rights Forum—gesprochen.

MUNCHIES: Wie groß ist das Problem von Kinderarbeit auf westafrikanischen Plantagen?

Abby Mills: Unsere Organisation wird in Kürze einen neuen Bericht über die Kakaoindustrie mit sehr brisanten Fakten veröffentlichen. Denn wir haben herausgefunden, dass in Togo, Ghana und der Elfenbeinküste 500.000 bis 1,5 Millionen Kinder arbeiten müssen, 98 Prozent davon auf den Plantagen ihrer Familie. Um noch ein paar weitere Zahlen zu nennen: In Ghana gehen nur 75 Prozent der Kinder in die Schule, in der Elfenbeinküste sieht die Lage noch dramatischer aus—weniger als 60 Prozent der Jungen und sogar nur knapp die Hälfte der Mädchen besuchen die Schule.

Was liegt diesen Problemen zugrunde? In vielen dieser Länder verdienen die Bauern oft so wenig, dass die Kinder bei der Ernte einspringen müssen, da für Erntehelfer schlichtweg kein Geld da ist. Darum landen viele Kinder am Ende auf den Feldern statt auf der Schulbank. Ein weiteres Problem—vor allem in der Elfenbeinküste—ist Menschenhandel. Da die Grenzen sehr porös sind, werden viele Kinder aus Nachbarstaaten wie Burkina Faso zum Arbeiten auf Kakaoplantagen gezwungen.

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Wie sieht die Arbeit aus? Äußerst gefährlich—es handelt sich definitiv um eine der schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Man muss mit großen Macheten hantieren und Pestizide und andere Chemikalien versprühen. Außerdem sind die Arbeitszeiten extrem lang und eine Studie der Tulane University hat herausgefunden, dass 80 Prozent der Kinderarbeiter auf ghanaischen Kakaoplantagen schwere Lasten zu tragen haben.

Was sind weitere Gründe dafür, dass viele Bauern am Ende auf die Dienste ihrer eigenen Kinder angewiesen sind? Zuerst einmal ist das Kakao-Handelssystem per se ziemlich kompliziert: Der Kakaopreis wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, auf die der Bauer jedoch keinen Einfluss ausüben kann. In den Gremien, die über die Preise bestimmen, haben sie keine Fürsprecher. Außerdem werden sie kaum mit Informationen versorgt. Sie wissen oft nicht einmal, welchen Preis sie für ihre Erzeugnisse fordern können.

Was unternimmt Ihre Organisation, um dem Problem Herr zu werden? Seit zehn Jahren drängen wir Unternehmen dazu, ihre Kakaobohnen als Fair Trade zertifizieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist, dass sie auf Kinder- oder Zwangsarbeit verzichten und Löhne zahlen, von denen die Arbeiter auch leben können. Wir arbeiten im Rahmen der Kampagne Raise the Bar auch schon seit vielen Jahren mit Hershey, dem weltweit größten Schokoladenhersteller, zusammen. Mittlerweile haben sie zugestimmt, bis 2020 nur noch Fair-Trade-Kakaobohnen für ihre Schokolade zu verwenden.

Sind auch andere Schokoladenunternehmen zu einem Umdenken bereit? Ja, recht viele sind schon zu unserem Zertifizierungsmodell übergegangen. Das ist natürlich eine gute Sache, nicht zuletzt deshalb, weil es die Leute zum Nachdenken über die Herkunft ihrer Schokolade anregt. Leider haben unsere Untersuchungen auch aufgedeckt, dass sogar bei zertifizierten Kakaobohnen die Bauern nicht immer die Löhne bekommen, die sie bekommen sollten. Darum bleiben wir am Ball, um die bestmöglichen Deals für die Bauern auszuhandeln und dafür zu sorgen, dass ihre Stimme bei jeder Produktionsstufe Gehöhr findet.

Vielen Dank für das Gespräch, Abby.

Nachsatz: Auch wenn Fair Trade Schokolade nicht gleich Fair Trade bedeutet, so ist es doch in jedem Fall besser, zu dieser etwas teureren Schokolade zu greifen.

Oberes Foto: John Loo | Flickr | CC BY 2.0