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Bulgarien

Meine Begegnung mit Boza, dem brustvergrößernden Lieblingsgetränk der Bulgaren

Für Bulgaren schmeckt Boza nach Tradition, Kindheit und nach alten Tagen. Für jemanden, der das Getränk nicht schon sein ganzes Leben trinkt, schmeckt es wie das Abfallprodukt von Brotbäckern, das schon seit einigen Tagen rumsteht.

Boza, ein fermentiertes Weizengetränk mit einem kaum vorhandenen Alkoholgehalt von 0,5 Volumenprozent, ist in Bulgarien zum Frühstück zu Blätterteiggebäck besonders beliebt. Es ist eines der am meisten geschätzten Getränke des Balkans—und Ausländer können es nicht ausstehen.

Für Bulgarier schmeckt Boza nach Tradition, nach ihrer Kindheit und nach alten Tagen. Aber für jemanden, der Boza nicht schon sein ganzes Leben trinkt, schmeckt es wie das Abfallprodukt von Brotbäckern, das schon seit einigen Tagen rumsteht.

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Boza wird in Bulgarien schon seit Jahrhunderten konsumiert. Variationen davon sind auch in Ländern wie der Türkei und Kasachstan sehr beliebt. Historiker sagen, das Wort „booze" könnte davon abgeleitet sein—im osmanischen Reich war es noch ein viel stärkeres Gebräu. Als Bulgarien 2007 der EU beitrat, stieg der Boza-Export enorm an, weil Männer für ihre Freundinnen und Ehefrauen einen Vorrat kaufen. Der traditionelle Glaube in Bulgarien besagt nämlich, dass das Getränk Frauen größere Brüste beschert.

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Eine Statue eines Boza-Verkäufers in Radomir.

Ich bestellte also mein erstes Boza in einem Café in der Innenstadt von Sofia. Was dann passierte, war ein Angriff auf meine Geschmacksknospen. Das Getränk war schleimig, glatt und körnig gleichzeitig und erinnerte mich an einen Milchshake aus Bier ohne Kohlensäure. Als es meinen Rachen hinunterfloss, traf mich der saure Geschmack wie der Schlag und es fühlte sich an, als sollte die Flüssigkeit hochkommen, anstatt hinunterzufließen.

Es war das vielleicht Ekligste, was ich je probiert habe.

In dem Wissen, dass ich diesen Artikel schreiben (und noch viel mehr Boza trinken) würde, fragte ich mich: Lieber Gott, wo habe ich mich da nur reingeritten?

Die bulgarische Mutter meines Freundes lachte mich in meinem Elend aus und kippte den Rest des Glases hinunter. „Gut, aber nicht das Beste", sagte sie. „Könnte ein bisschen weniger süß und ein bisschen mehr fermentiert sein."

Für mich klang das nicht gerade sehr appetitlich, aber wie sich herausstellte, war das der Schlüssel, um Boza und seine Herstellung zu verstehen. Als der Kommunismus 1989 ein Ende fand, fingen Produzenten an, echten Rohrzucker mit Aspartam und künstlichen Süßstoffen zu ersetzen. Das Boza von damals war nichts, was die bulgarischen Millennials von heute kennen würden, nur die ältere Generation erinnert sich noch daran.

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Roggen-Boza von Harmonica.

Auf der Suche nach einem Hersteller von traditionellem Boza stieß ich auf Bio Bulgaria, ein Bio-Lebensmittelunternehmen, das Joghurt, Käse und Boza auf traditionelle Art ohne Zucker und ohne Konservierungsstoffe herstellt. Bio Bulgaria wurde vom ehemaligen Tennisprofi Magdalena Maleeva gegründet und seine Boza-Marke Harmonica kam 2011 auf den Markt. Seit kurzem erforscht das Unternehmen den Nährwert des Getränks.

„Der [echte] Zucker löst eine spontane ‚wilde Fermentation' aus, die für den authentischen sauren Nachgeschmack verantwortlich ist, aber dadurch wird auch das Gluten im Getreide aufgespaltet", sagte Venko Simeonov von Bio Bulgaria. „Am Wichtigsten ist aber, dass durch den Zucker eine große Menge an Mikroorganismen, die sehr gut für unsere Därme sind, entstehen."

Simeonov bezeichnet sich als „Bulgariens probiotischen Typen", der mit Schulkindern Butter selbst macht und ihnen beibringt, wie wichtig die Darmflora ist—oder wie er nennt, „die guten Soldaten" unseres Körpers. Bio-Boza enthalte viel Eisen und Vitamine, sagt er, und vielen Leuten sei nicht klar, wie schlecht manche Konservierungstoffe sind.

Boza hat auch sehr viele Kalorien und darauf beruht wahrscheinlich das Ammenmärchen über die üppigen Dekolletés der Frauen. (Es werden aber nicht nur die Brüste, sondern auch der Rest größer!) Simeonov erzählte mir, dass das Getränk auch unter frisch gebackenen Müttern sehr beliebt ist, weil die Hefe gut fürs Stillen sein soll.

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Boza-Brauer Valentin Danailov.

Bei der Herstellung von Bio-Boza gibt es definitiv mehr Hürden als beim künstlichen Zeug, besonders aus logistischer Sicht. Bio-Boza hat eine Haltbarkeit von drei Tagen, während Konservierungsstoffe das Getränk bis zu drei Monate haltbar machen. Zutaten wie Bio-Getreide und Rohrzucker aus Brasilien sind außerdem teurer. Unzureichende Kühlung kann den Geschmack und die Viskosität beeinflussen. Worst-Case-Szenario? Ein Kunde kann ernsthaften Dünnpfiff bekommen.

Ich reiste nach Radomir, ein Dorf 50 Minuten außerhalb von Sofia, um herauszufinden, wie Boza von einem der wenigen Produzenten von Bio Bulgaria hergestellt wird. Radomir ist als die „Boza-Hauptstadt" des Landes bekannt und der Großteil der Fabriken befindet sich hier. Die Tradition geht auf albanische Immigranten zurück, die das Getränk dort in Holzfässern machten und auf der Straße verkauften. Im Stadtzentrum steht heute sogar eine Statue eines Boza-Verkäufers.

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Erster Schritt: Getreide besorgen.

Der Fabriksbesitzer Valentin Danailov—ein fröhlicher Bulgare mit blauen Augen und einer Zigarre zwischen den Fingern—begrüßt mich im Produktionsraum, der klein und voll gestellt mit Maschinen ist und wo es nach frisch gerösteten Cornflakes riecht. Danailov wohnt schon sein ganzes Leben in Radomir und kam vor 18 Jahren ins Boza-Geschäft. Davor war er Brotbäcker, aber er wollte den Konkurrenzkampf mit den größeren Fabriken nicht länger ertragen.

In Danailovs Fabrik arbeiten immer vier Leute gleichzeitig, die mit allem vom Etikettieren bis zum Einschweißen der Flaschen in Schrumpffolie beschäftigt sind. Täglich werden 1,5 Tonnen Boza hergestellt—ein kleiner Ertrag, wenn man bedenkt, dass die größeren Fabriken bis zu 30 Tonnen pro Tag produzieren.

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Danailov erklärte mir, dass als erstes Getreide und Wasser bei 153°C in einem Hochdruckbecken gekocht werden, ähnlich wie beim Bierbrauen. Die daraus entstandene Pampe wird in einer weiteren Maschine ausgekühlt, bevor sie gefiltert wird. Die Abfälle verkauft Danailov als Pferdefutter. Dann wird Zucker hinzugefügt und die Mischung wird noch einmal ausgekühlt. Das Ergebnis ist Boza. Laut Danailov ist der Prozess bei biologischem Boza genau der gleiche wie bei künstlichem, nur dass statt Zucker Süßstoff verwendet wird.

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Boza wird für Harmonica abgefüllt.

In seinem Büro probierte ich dann das fertige Produkt. Vor diesem Moment hatte ich Angst. Danailov und Simeonov stellten drei Becher Boza vor mich hin: eins aus Roggen, eins aus Hirse und Danailovs persönliche Marke mit künstlichem Süßungsmittel.

Sie schmeckten alle köstlich. Naja, zumindest im Vergleich zu dem, was ich erwartet hatte. Meine Lieblingssorte war das Boza aus Hirse, das mild, leicht süßlich und wie eine Tasse flüssige Cornflakes schmeckte. Die Roggenversion war eher sauer und beißend und roch stärker fermentiert. Das Schlimmste an dem Getränk war jedoch die Konsistenz. Aber sogar Danailovs eigener Boza mit künstlichem Süßstoff schmeckte besser als das abscheuliche Gesöff, das ich ein paar Tage zuvor probiert hatte.

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Wieso kaufen die Bulgaren also beschissenes, ungesundes Boza, wenn es eine bessere Option gibt? Naja, ihnen schmeckt es und sie haben sich daran gewöhnt. Der Preis ist ebenfalls ein wichtiger Faktor in Bulgarien, einem der ärmsten Länder der EU. Manche würden das Boza von Harmonica als Luxus-Nischenprodukt beschreiben. Eine Ein-Liter-Flasche bekommt man für 2,60 Lev (ca. 1,30 Euro) im Vergleich zu der billigeren Version mit Konservierungsstoffen um 55 Stotinki (28 Cent). Und es ist ein dickflüssiges, herzhaftes Frühstück, das satt macht.

„Es ist eine schlechte Imitation", sagte Venekov über das künstliche Zeug. „Der Geschmack ist nicht der gleiche und das Gefühl ist nicht das gleiche."

Im Laufe der Zeit entwickelt man wahrscheinlich eine tiefe Liebe zu Boza. Anfangs habe ich beispielsweise türkischen Ayran gehasst, mittlerweile mag ich ihn unglaublich gerne. Bulgariens wirtschaftliche Lage hinterlässt vielleicht einen sauren Geschmack in meinem Mund, aber wenigstens weiß ich, dass das bei qualitativ hochwertigem Boza nicht unbedingt so sein muss.