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Tod

Londons Todescafés werden international immer beliebter

Fade Croque Monsiuers, Goth-Kids und depressive, alte Frauen, die über den Tod reden wollen ... so stellte ich mir mein erstes Todescafé vor. Was mich erwartete, waren Shrimps und eine bizarre Mischung aus Buchclub und Speed Dating.
Photo via Flickr user Gareth Williams

Als der Kellner namens Antonio mir einen Teller Garnelen servierte, wollte ich eigentlich sagen, dass ich Kroketten bestellt hatte. Aber dann fragte mich die mir gegenüber sitzende Frau, die ich drei Minuten zuvor kennengelernt hatte: „Also, warum haben Sie Angst vor dem Tod?"

Ich blieb bei den Garnelen und bestellte dazu noch ein Glas Wein. Ich saß in einem Todescafé—eigentlich ein französisches Restaurant namens ‚Cafe Rouge'—im Norden Londons, um mich bei „Tee und Kuchen über das Sterben und den Tod zu unterhalten". Das stand auf einem E-Flyer, den ich online entdeckt hatte.

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Nachdem sie zum ersten Mal 2011 in London aufgetaucht sind, wurden Todescafés im letzten Jahr auch international immer beliebter und die einst 100 Veranstaltungen sind sprunghaft zu 900 in 19 verschiedenen Ländern angestiegen. Die Idee dahinter ist auch ziemlich simpel: Du triffst dich in einem Restaurant, um über den Tod zu reden und dabei etwas zu essen. Das Konzept, völlig fremde Personen zu treffen und mit ihnen über stinkende Leichen, das Leben nach dem Tod und Einbalsamieren zu reden und dabei einen Teller Krustentiere zu verputzen, klingt problematisch. Ich hab es trotzdem mal ausprobiert.

Ich nahm an, dass mir ein makaberer Abend voller Gespräche über tragische Verluste bei halbgaren Croque Monsieurs bevorstand, obwohl es in den Informationen über die Veranstaltung klar hieß, dass dies keine Trauerbewältigung sei. Aber es stellte sich heraus, dass das Ganze mehr eine Mischung aus Buchclub, Lebensberatung und Philosophiekurs war. Ziemlich intensiv. Dabei waren ein paar Frauen mittleren Alters mit dem Wunsch, über die praktische Seite des Sterbens zu reden, ein Typ in der Midlife-Crisis, der alles und nichts verstehen wollte, eine Frau, die kürzlich jemanden verloren hatte, eine Krankenschwester im Ruhestand, ein neugieriges Mädchen, einige Spiritualisten und eine Handvoll Menschen, die einfach nur gerne über den Tod reden.

Zwei Frauen setzten sich zu mir an den Tisch. Zuerst war es echt unangenehm. Da wir alle neu waren, machten wir zuerst Smalltalk, denn … nun, Vorspiel vor unserer Unterhaltung über unser bevorstehendes Ableben erschien dann doch zu viel. Eine der beiden war zwischen 30 und 40, arbeitete irgendwie bei der Regierung und besuchte nebenbei Psychotherapie-Kurse. Die andere war eine junge Kunststudentin, komplett in schwarz gekleidet.

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Ich entschloss mich dazu, die Unbehaglichkeit abzuschütteln und die komische Situation zu akzeptieren. Eine auf dem Tisch platzierte Anleitung enthielt auf der einen Seite die „Regeln" (es gab nur zwei: jede Meinung wird respektiert und alles Gesagte ist streng vertraulich) und auf der anderen Seite Themenvorschläge (Welches Begräbnis wünscht du dir? Was denkst du, passiert nach dem Tod?).

Schließlich setzte sich unsere „Vermittlerin" zu uns. Ihr Job war es, dass wir uns nicht wie totale Idioten fühlen, wenn wir völlig Fremde Dinge wie ‚Was ist ein guter Tod für Sie?' fragen. Ich fragte mich auch, über was sie bei normalem Essen zu einem normalen Anlass redet.

Gerade als wir anfangen wollten, gesellte sich ein Typ mit einer gelben Krawatte zu uns. Er arbeitete in der IT-Branche und nahm gerne an Todescafés teil, weil einer seiner Freunde meinte, sie seien ‚lustig'. Es dauerte nicht lange, bis wir richtig drin waren. Unsere Unterhaltung ging darum, ob wir an ein Leben nach dem Tod glauben, über ‚existentialistische Therapie' und die ethischen Folgen von Sterbehilfe. Eigentlich ging es gar nicht so wirklich um den Tod. Wir redeten immer wieder über den Sinn des Lebens und unsere große Aufgabe, falls es diese gibt. Aber plötzlich überkam mich Panik, denn ich war mir nicht sicher, ob unser Tisch alles richtig macht, als Josefine, die Gruppenleiterin, mit einer Glocke aus einem Yogakurs die Pause einläutete. War ich hier beim Speed-Dating?

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Als ich wieder hoch kam, waren die Lichter gedimmt, Deckenventilatoren angeschaltet und alle im Raum saßen in einem ziemlich schiefen Kreis zusammen. Wir mussten der Gruppe erzählen, über was wir geredet hatten. Ich fühlte mich gleich besser, als ich hörte, dass die meisten anderen Tische über das gleiche Zeug wie wir redeten.

In meiner Nähe saß eine alte Frau, die sich zu persönlicher Erfüllung äußerte. Sie erzählte uns, dass wir immer vergessen, dass Menschen Sozialwesen sind und dass unsere ständige Suche nach ‚uns selbst', ohne Rücksicht auf die Leute um uns, keinen Sinn macht. Mein Gott, sie war so klug. Ich würde ehrlich gesagt allein schon deswegen wieder hingehen, um mir weitere Weisheiten von ihr anzuhören.

Nach einer weiteren Stunde läutete Josefine mit einigen zusätzlichen klugen Worten das Ende ein. „Der rote Faden dieses Abends war Ehrlichkeit. Seid ehrlich zu euch selbst und zu anderen, damit euer Leben sinnvoll ist." Dank ihres starken, heiseren französischen Akzents klang das Ganze wie ein Zitat aus einem Film von Jean-Pierre Jeunet.

Und schon war es vorbei. Im Anbetracht dessen, dass ich gerade ziemlich viel Zeit damit verbracht habe, über den Tod und Existenzialismus zu reden, war ich auf dem Nachhauseweg ziemlich gut drauf.

Am nächsten Morgen machte ich mich auf und besuchte Jon Underwood, der die Todescafés ins Leben gerufen hat. Ich erzählte ihm, dass wir bei einem seiner Cafés über mehr als nur den Tod geredet hatten und es war OK für ihn. „Wenn wir mit dem Tod umgehen können, können wir jedes Hindernis überwinden", sagte er in seinem Garten im Londoner Stadtteil Hackney. „Der Tod steht im Zusammenhang mit vielen Probleme der heutigen Gesellschaft." Genau deswegen kam ihm auch die Idee der Todescafés. Er will, dass die Leute offener gegenüber dem Nachdenken über den Tod sein können, aber nicht, weil im persönlich etwas Tragisches passiert ist. „Meine Mutter und meine Katze sind nicht gestorben, oder so."

Nachdem er ein Jahrzehnt lang im Gemeinderat gearbeitet hatte, tat er etwas für die Faszination, die die Sterblichkeit auf ihn ausübt. Das erste Todescafé fand in seinem Wohnzimmer statt und seine Mutter, eine ausgebildete Psychotherapeutin, führte durch die Veranstaltung. Underwood spielte den Kellner.

Das erste Treffen war durchgeplant und die Leute sollten ihre negativen Gefühle gegenüber dem Tod aufschreiben. Die Zettel wurden anschließend in einer Zeremonie im Kamin verbrannt—seine Mutter hielt das für ziemlich albern und meinte, dass die Leute einfach nur über den Tod reden sollten. Nachdem noch einige weitere Todescafés bei ihm zu Hause stattfanden, brachte Underwood sein Konzept auf größere Bühnen.

Underwood hofft, dass der koffeinhaltige Todesplausch in Zukunft ein permanentes Zuhause findet. Vielleicht ist der Eingang ein Sarg? Wer weiß.

Oberstes Foto: Gareth Williams | Flickr | Lizenz