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Lebensmittelpolitik

Warum TTIP für alle Europäer, die Essen mögen, eine schlechte Nachricht ist

Seit 2011 verhandelt die Europäische Union mit den USA über ein Freihandelsabkommen. Es nennt sich Trans-Atlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und könnte den Kollaps für bestimmte europäische Richtlinien für Nahrungsmittelsicherheit...
Foto von Steve Harwood via Flickr

Seit 2011 führt die Europäische Union schleppende Verhandlungen mit den USA über ein gemeinsames Freihandelsabkommen. Es nennt sich Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und die jüngste Runde geheimer Gespräche fand Anfang des Monats in Brüssel statt.

Trotz der fehlenden Berichterstattungen vieler Medien handelt es sich bei TTIP um ein revolutionäres Abkommen, das den freien Handel zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ermöglichen könnte.

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Toll, freier Handel!, denkst du dir vielleicht. Keine 29,74 Euro Importgebühren auf meine 5-Euro-Hose von eBay!

Aber halte deine Freude einen Moment zurück. Obwohl ich es wie die Pest hasse, mich an einem Mittwoch Morgen zwischen 08:41 und 08:50 Uhr mitten ins Nirgendwo zu schleppen, um meine Zollgebühren zu bezahlen, bin ich gegen TTIP. Ich bin mit jeder einzelnen Zelle meines Körpers dagegen.

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TTIP wird den freien Handel ermöglichen, indem zolltarifliche Barrieren (die Einfuhrumsatzsteuer) und nicht-zolltarifliche Barrieren abgebaut werden (also alles andere als der Preis), was europäischen Unternehmen einen Vorteil im Vergleich zu den amerikanischen verschafft, oder umgekehrt.

Wenn es beispielsweise eine lästige Verordnung in Europa gibt, die ein gefährliches Pestizid wie Atrazine verbietet, das in den USA die meisten Zucker- und Maispflanzen umhüllt, besagt das Gesetz, dass man dieses Zeug hier nicht verkaufen darf. Aber das ist eine nicht-zolltarifliche Barriere.

Damit TTIP funktionieren kann, müssen Europa und die USA ihre Verordnungen über die Lebensmittelsicherheit in Einklang bringen. In Europa sind die Standards diesbezüglich sehr viel strenger (82 Pestizide, deren Gebrauch verboten oder eingeschränkt ist, werden in den USA legal verwendet) und obwohl die Amerikaner ja an sich super sind, essen sie teilweise üble Scheiße. Damit meine ich nicht Pit-Beef-Sloppy Joes oder Twinkies mit Rootbeer-Geschmack, oder für was auch immer die Leute heutzutage in London drei Stunden anstehen. Ich spreche von Dingen wie Wachstumshormonen, die Kühen gespritzt werden, um mehr Fleisch zu bekommen, Chemikalien, die ein Krebsrisiko darstellen, aber mit denen man Äpfel länger lagern kann, Herbizide, die den menschlichen Hormonhaushalt durcheinander bringen und die genetisch veränderten Organismen in 70 Prozent aller industriell verarbeiteten Lebensmittel der USA.

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Natürlich könnten auch die USA ihre Gesetzgebung zum Thema Sicherheit und Umwelt ändern, sodass sie mit den europäischen Standards übereinstimmt, aber Aktivisten glauben nicht daran.

„Aus durchgesickerten Verhandlungstexten wird klar, dass das Ankurbeln des Handels und der Profite wichtiger ist als unverzichtbare Nahrungsmittel-, Tier- und Pflanzenverordnungen", sagt Vicki Hird, Kamapagnendirektorin der Londoner Menschenrechtsorganisation War on Want. „Sollte TTIP durchgesetzt werden, sind unsere Lebensmittelstandards verloren."

Die Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) ist eine weitere Klausel des TTIP, die den Leuten Sorgen bereitet. ISDS ist ein geheimes Gericht, das Unternehmen erlaubt, Regierungen zu verklagen, wenn sie glauben, dass deren Politik zu Gewinnverlusten geführt hat. Weil internationale Konzerne im derzeitigen Rechtssystem noch nicht genug Macht haben, eh klar.

Aus durchgesickerten Verhandlungstexten wird klar, dass das Ankurbeln des Handels und der Profite wichtiger ist als unverzichtbare Nahrungsmittel-, Tier- und Pflanzenverordnungen.

Bevor ihr jetzt in Versuchung kommt, zu denken, dass doch alles nicht so schlimm sei, solltet ihr euch die Ereignisse des 1. Januar 1994 vor Augen halten. Die Mode war ähnlich wie heute, die Leute verfolgten damals schon Courtney Love, aber nannten sie noch keine Mörderin und niemand hatte jemals das Wort „Festnetz" in den Mund genommen. Die USA hat gerade das North American Free Trade Agreement (NAFTA), ein Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko, unterzeichnet.

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NAFTA ist im Grunde ein Prototyp von TTIP und 20 Jahre später sehen wir die Auswirkungen, die das Abkommen hatte. Vor NAFTA gab es in Mexiko sehr viele Bauern, die sehr viel Mais anbauten. Der Großteil davon war biologisch und Mexiko hatte eine große Auswahl an verschiedenen Pflanzenarten, die unter unterschiedlichen Bedingungen wachsen konnten.

Die USA, im Vergleich, produzierte nur wenige verschiedene Pflanzenarten, die großteils genetisch verändert waren. Die amerikanische Maisindustrie wird von der Regierung stark subventioniert (Maissirup ist ja so ein wichtiger Teil der amerikanischen Kultur) und deshalb war Mais extrem günstig. Das bedeutete, dass kurz nach der Unterzeichnung des Abkommens der amerikanische Mais den mexikanischen Markt überflutete. Die Preise sanken und Millionen von mexikanischen Bauern gingen quasi über Nacht pleite.

Merkwürdig war aber, dass trotz der billigen Maispreise der Preis von Tortilla in Mexiko drastisch anstieg. In Kombination mit der Massenarbeitslosigkeit der Landwirtschaftsarbeiter und den sinkenden Löhnen führte die sogenannte Tortillakrise, besonders in ärmeren Gesellschaftsschichten, beinahe zum Hungertod zahlreicher Mexikaner.

Aber auch den amerikanischen Bauern ging es durch das Abkommen nicht besser. In den 20 Jahren seit der Einführung von NAFTA sind zahlreiche kleine Bauernhöfe verschwunden. Die Gewinner waren die multinationalen Konzerne, die die für sie vorteilhaften Bedingungen des Abkommens ausnutzten, um die Fleischproduktion in billigere industrielle Viehzuchtbetriebe in Mexiko zu verlegen.

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An dem Tag, an dem NAFTA unterzeichnet wurde, marschierte eine Gruppe indigener Farmer-cum-Revolutionäre als direkte Reaktion auf das Freihandelsabkommen durch die Straßen von San Cristobal in Chiapas und erklärten der mexikanischen Regierung den Krieg. Nahrungsmittel waren eine treibende Kraft hinter diesem Protest. Wie der Sprecher der Zapatista Subcomandante Marcos 1994 betonte, war „das Freihandelsabkommen ein Todesurteil für Indios. Das Inkrafttreten des Abkommens steht für den Beginn eines internationalen Massakers."

Die Zapatista-Rebellen hatten vielleicht nicht so viele Wirtschaftsabschlüsse wie die Verhandlungspartner des TTIP in Brüssel, aber es sieht so aus, als hätten sie den Nagel auf den Kopf getroffen, was die Auswirkungen von NAFTA auf Mexiko anbelangt. Und, soweit ich weiß, gibt es in Europa keine Guerilla-Bauern, die bereit wären, ihrer Regierung den Krieg zu erklären, wenn TTIP in Kraft tritt.

Wenn Du in Europa lebst und Essen magst, solltest Du dir also Sorgen machen.