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Koch

Meine Roma-Wurzeln machen mich zu einem besseren Koch

Für ein gutes Feuer, ein paar Kaninchen aus der Umgebung und saisonales Gemüse würde ich das ganze Equipment in modernen Küchen aufgeben.

Wir setzen alle auf unsere Familie und auf die Vergangenheit, um der Gegenwart einen Sinn zu geben. Ich bin nicht anders. Als professioneller Koch fühle ich mich immer mehr zu meinen Wurzeln und der Kultur meiner Vorfahren hingezogen. Die Geschichten und Traditionen meiner Familie beeinflussen mein Kochen und die Art und Weise, wie ich anderen das Kochen beibringe.

In Food-Kreisen spielt das Wort „Erbe" eine wichtige Rolle, wenn es um Zutaten, Techniken und Gerichte geht, ich spreche aber von meinem persönlichen Familienerbe.

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Die Mutter meines Großvaters war eine walisische Roma, die von Merthyr Tydfil in Wales nach Birmingham in England reiste. Dort heiratete sie, gründete eine Familie und ließ sich nieder. Sie zog in ein Mietshaus und so begann das Leben meines Großvaters John. Trotz Not und Armut überlebte er—im Gegensatz zu einigen seiner Geschwister—und aus ihm wurde ein großartiger Mann.

Als ich mich für meinen Weg entschied und beschloss, mich als „Zigeunerkoch" zu vermarkten, musste ich mich starken Vorurteilen stellen. Die Leute lachten mich aus, verwendeten die Bezeichnung Zigeuner als Beschimpfung und fragten mich, ob ich bald Tiere auf der Straße aufsammeln und essen würde. Leute, die ich für Freunde hielt, oder die geschätzte Kollegen waren, fingen an, sich über Rumänen und „dreckigen Zigeuner" auszulassen, weil sie darüber in den engstirnigen Boulevard-Zeitungen gelesen hatten.

Es hätte nicht weiter entfernt von der echten Kultur der Roma sein können. Die Leute waren ganz verwirrt, als ich ihnen erklärte, dass ich nicht mehr in der Roma-Gemeinde lebe, aber dass es trotzdem ein Teil meiner Familiengeschichte ist und ich mehr über diesen Teil erfahren und ihn zelebrieren möchte.

Leider wollte keiner die Kultur der Roma und ihre vielseitige und bunte Welt des Essens wirklich kennenlernen, weil die Medien ein extrem negatives Bild davon zeichnen. Nach einem langen Gewissenskampf hörte ich damit auf, den Leuten meine Geschichte zu erzählen, weil ich das Gefühl hatte, keiner wollte sie hören. Zumindest nicht so, wie ich sie erzählen wollte.

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Als ich anfing, mich als „Zigeunerkoch" zu vermarkten, musste ich mich starken Vorurteilen stellen. Die Leute lachten mich aus, verwendeten die Bezeichnung Zigeuner als Beschimpfung und fragten mich, ob ich bald Tiere auf der Straße aufsammeln und essen würde.

Als Kind waren meine Lieblingsgeschichten die, in denen es um meine Familie ging, und mein Lieblingsgeschichtenerzähler war John. Stundenlang saß ich da und hörte den Geschichten aus seiner Kindheit und Geschichten, die ihm seine Mutter erzählt hatte, zu. Genau wie er ihre Geschichten am Leben erhielt, tue ich mit meiner Arbeit als Koch das Gleiche. Diese Geschichten sind verbunden mit der Art, wie ich koche, und die Geschichten über Zutaten, Gerichte und Kulturen waren es, die meine endlose Faszination von Essen auslösten.

Großvater John war die erfinderischste Person, die ich kenne. Aus wenigen Dingen und mit wenig Zeit konnte er fast alles machen. Er musste nie etwas nachmessen, sein Augenmaß reichte aus. Und wenn ich darüber nachdenke, bin auch ich dann der beste Koch, wenn ich nur wenige Zutaten zur Verfügung habe und mich auf meine Intuition verlassen muss. Die Arbeit in der Küche ist hart und ich musste meine inneren Ressourcen bündeln, um die Karriere einzuschlagen, für die mein Herz schlägt.

Eine der einprägsamsten Erinnerungen als Kind war für mich, als ich an einem Montag Morgen mit den Überresten vom Sonntag mit John gemeinsam Bubble and Squeak zubereitete. Vom Geruch der Kartoffeln und des Kohls in Kombination mit dem Speck bekomme ich heute noch Gänsehaut. John glaubte an das Sprichwort: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not". Das lag nicht nur daran, dass er die Große Depression in den 1930ern und den Zweiten Weltkrieg als Soldat miterlebt hatte, sondern auch an seinen Roma-Wurzeln.

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Als Koch lebe ich diese Einstellung. Saisonalität und Nachhaltigkeit sind mir sehr wichtig und zu Hause koche ich gerne mit Essensresten, um so viel wie möglich aufzubrauchen. Aber auch in der professionellen Küche achte ich darauf, so viel wie möglich von einer Zutat zu verwenden. Ich verbrachte einige Zeit mit einer bekannten Roma-Familie in Kent, den Brazils. Ich war sehr überrascht, als ich erfuhr, dass ich mit ihnen verwandt bin. Als sie mir die Ahnenfolge erklärten, sah ich sie an und erkannte plötzlich Großvater John und seine Brüder, alle in unterschiedlichen Größen und Formen, aber alle mit der gleich dunklen Haut und der dicken, runden Nase, die sie von ihrer Mutter geerbt hatten.

Der Autor kocht Kaninchen oder „Shoi Shoi"

Sie luden mich ein, damit ich für sie koche. Ich brachte Kaninchen, geräucherten Speck, verschiedenes saisonales Gemüse und einen großen Laib Kürbisbrot mit, das ich am Vortag gebacken hatte. Sie machten ein Feuer und bauten einen großen Gussgrillrost auf. Wir saßen zusammen und unterhielten uns, während wir einfaches Roma-Essen speisten: aufgespießter Hase und Eintopf mit Tomaten, Speck und großen Stücken Brot, die die rauchigen Säfte aufsaugen.

Nach dem Essen machte ich einen Tee, den ich aus Fenchelsamen, Kamille, getrockneten Nesseln und Zucker zubereitete. Sie sagten, obwohl ich ein paar Kräuter genommen habe, die sie nicht verwendet hätten, schmeckte alles kushti, und sie fühlten sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Ich fühlte mich wie zu Hause, ganz nah an meinen Wurzeln, näher denn je.

Dank Großvater John waren Essen und Familie in meinem Kopf immer eine Einheit. Bei den großen Mittagessen, die immer sonntags im Haus meiner Großeltern stattfanden, blühte er so richtig auf. Es gefiel John, für seine Familie zu sorgen und es war für ihn der beste Vorwand, um ein paar Geschichten zu erzählen. Das Essen zu zelebrieren, zusammenzukommen und Geschichten zu erzählen ist ein wichtiger Teil der Roma-Kultur.

Als ich vor mehr als zehn Jahren eine Kochausbildung machte, war mein Ziel, in den größten und besten Michelin-Sternerestaurants zu arbeiten. Ich war der Chefkoch in einem Gastro-Pub und arbeitete im OXO Tower an der Themse in London, aber als ich mich weiterentwickelte, wurde mir klar, dass mein kulinarisches Schicksal in meinem Erbe—und allem, was dazugehört—liegt. Heute arbeite ich im Caravan, ein Restaurant am Exmouth Market in London.

Einen großen Topf über einem gemeinschaftlichen Feuer, in dem ein preiswertes Stück Fleisch mit saisonalem Gemüse und ein paar Gewürzen liegt, serviert mit hausgemachtem Brot, um die Säfte auf dem Teller aufzutunken, ist meine Vorstellung von Perfektion. Ich würde alle modernen Geräte einer Küche für ein paar Stöcke, ein gutes Feuer, ein paar Kaninchen aus der Umgebung (oder „Shoi Shoi", wie sie auf Romani genannt werden) und ein paar Zutaten aus der Natur aufgeben. In vielerlei Hinsicht setzt die Roma-Kultur ein Zeichen in Richtung besseres, cleaneres und gesünderes Essen.

Großvater John ist mein Held und meine Arbeit als Koch stützt sich auf mein Erbe. Diese zwei Dinge leiten mir den Weg und auf diesem Weg habe ich gelernt, meine Geschichten mit Zutaten als Wörter und Pfannen als mein Papier zu erzählen.