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"Wir sind nicht sicher": Dieser Hashtag drückt die ganze Wut der Türken über ihre Regierung aus

Es war die Facebook-Sicherheitsmeldung, die das Fass zum Überlaufen brachte.
Ein Kind weint am Mittwochmorgen vor dem Eingang des Atatürk-Flughafens | Foto: imago | Xinhua

Es gehört mittlerweile genauso zum Programm wie die Eilmeldungen, die stündlich steigenden Opferzahlen und die Spekulationen über die Täter: Das Facebook-Feature, das dich kurz nach einem Terroranschlag informiert, dass deine Freunde in der betroffenen Stadt "in Sicherheit" sind. Kurz nachdem Terroristen gestern Abend einen blutigen Anschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen verübten, aktivierte Facebook das Feature auch für Istanbul—und provozierte eine unerwartete Reaktion.

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Für viele türkischen Facebook-Nutzer klang es zynisch, dass sie sich selbst als "in Sicherheit" markieren sollten. Denn in diesem Jahr erschütterten so viele brutale Anschläge das Land, dass der Terror zur Normalität wird. Im Januar sprengte sich ein IS-Anhänger direkt vor der Hagia Sophia in die Luft und riss zwölf deutsche Touristen mit sich in den Tod. Mitte Februar töteten PKK-nahe Terroristen 28 Menschen in Ankara bei einem Angriff auf einen Armeekonvoi.

Weniger als einen Monat später starben bei einem Autobombenanschlag der PKK im Zentrum Ankaras 37 Menschen, sechs Tage später sprengte sich in Istanbul ein IS-Anhänger auf Istanbuls Haupteinkaufsstraße in die Luft und tötete drei israelische und einen iranischen Touristen. Der März endete mit einem weiteren PKK-Angriff in Diyarbakir auf einen Polizeibus, bei dem sieben Polizisten getötet wurden. Anfang Juni explodierte ein Polizeibus in Istanbul und riss 11 Menschen in den Tod, auch hierfür übernahm eine PKK-Gruppe die Verantwortung.

Das sind nur die großen Anschläge, und bei allen gab es neben den Toten zahlreiche Verletzte und Schwerverletzte. Die Türkei befindet sich gerade im Krieg mit zwei Terrororganisationen, deren Mitglieder sich praktisch völlig frei in dem Land bewegen. Die türkischen Bürger fürchten um ihr Leben. Darum dauerte es auch nicht lange, bis der Hashtag #güvendedeğiliz—"Wir sind nicht in Sicherheit"—auf Twitter aufkam. In der Türkei wird Twitter viel intensiver genutzt als in Österreich. Jetzt kann man im Sekundentakt verfolgen, wie türkische Twitterer ihrer Wut über den Terror und die als tatenlos empfundene Regierung freien Lauf lassen.

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17 bombalı saldırı, 294 ölü, bine yakın yaralı! Bir hükümet vatandaşının can güvenliğini sağlamıyorsa ne işe yarar? #GüvendeDeğiliz
— Ahmet Ümit (@baskomsernevzat) 29. Juni 2016

"17 Bombenanschläge, 294 Tote, fast tausend Verletzte! Wozu ist eine Regierung gut, die ihren Bürgern keine Sicherheit bietet?"

[#GüvendeDeğiliz](https://twitter.com/hashtag/GüvendeDeğil… not safe here. Authorities only "condemn" the terror and do nothing else. This is no different from allowing it. — Hande Sena Ün (@thegavagai) 29. Juni 2016

3 canlı bomba elinde silahlar ile havaalaninda eylem yapıyor ülkenin başbakanı güvenlik zafiyeti yok diyor.
Bravo…
#GüvendeDeğiliz
— Kemal Uçan (@ucnkml) 29. Juni 2016

"Da kann einer mit drei aktiven Bomben und Gewehr in der Hand den Flughafen angreifen, und der Premierminister sagt, es gibt keine Sicherheitslücken. Bravo …"

[#GüvendeDeğiliz](https://twitter.com/hashtag/GüvendeDeğil… providing no security, they slow down the servers. We can still access Twitter/Facebook but can't make ourselves heard — Hande Sena Ün (@thegavagai) 29. Juni 2016

Dear Turkish "government", any resignations yet?? #Turkey #IstanbulAttack #GüvendeDeğiliz
— ■□■ (@FeaturingLewis) 29. Juni 2016

Der türkische Präsident Erdogan appelliert unterdessen an die Welt, der Anschlag solle "ein Meilenstein, ein Wendepunkt für den gemeinsamen Kampf gegen die Terrororganisationen" werden. Wenn die Wut von Twitter auf die Gesellschaft übergreift, könnte der heutige Tag aber auch zu einem anderen Wendepunkt werden: Der Punkt, an dem eine Mehrheit der Türken nicht mehr akzeptiert, dass der autoritäre Kurs Erdoğans nicht nur ihre Freiheit beschränkt, sondern gleichzeitig ihre Sicherheit bedroht.