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Rohmilch

Rohmilch versus pasteurisierte Milch—ein Käsekampf in vier Runden

Was die Pasteurisierung von Milch und Auto-Tune gemeinsam haben und warum Rohmilchkäse einfach der bessere Shit ist.

Was die Pasteurisierung von Milch und Auto-Tune gemeinsam haben und warum Rohmilchkäse einfach der geilere Scheiß ist.

Ein kleines Assoziations-Spiel zum Aufwärmen: Woran denkst du beim Wort „Frischmilch"? Ich wette Pasteurisation, Homogenisierung und Hochdruck sind nicht unter deinen Top-Favoriten. Mit dem, was aus dem Euter kommt, hat die Milch, die wir zum Frühstück über unsere Cornflakes kippen und die von der Industrie zur Käseproduktion eingesetzt wird, nur noch wenig zu tun. Klar steht am Anfang ein frisch gemolkenes Naturprodukt, nur wird dieses dann in Edelstahl hocherhitzt und unter Hochdruck durch Düsen gejagt, damit die Milch letztendlich so clean ist wie Lindsay Lohan direkt nach ihrer jüngsten Entziehungskur. Als würden in der Milchwirtschaft alle wie der schmuddelige Butler in Scary Movie 2 ihre ekligen Hände „Meine Keime!"-grölend in die Milchkannen stecken. Was früher im Kampf gegen Typhus und Tuberkulose eine Notwendigkeit war, freut heute vor allem die Industrie, die ihre Milchpools noch länger lagern und noch weiter transportieren kann, ohne dass sie verderben.

Während in Sachen Rohmilch bei maximal 40 Grad Schluss ist, wird die Milch beim Pasteurisieren auf knapp über 70 Grad erhitzt und die enthaltenen Mikroorganismen sind plötzlich Hauptdarsteller in einem Splatterfilm. Ob gut oder böse, ist der Pasteurisierung schnurz, sie killt neben unerwünschten Keimen das komplette Mikroklima aus nützlichen Bakterien und Enzymen gleich mit. Als würde Batman im Kampf gegen das Böse nicht nur den Joker und Riddler, sondern überhaupt gleich ganz Gotham City und seinen Einwohnern den Garaus machen. Eine Geschmacklosigkeit—und zwar im wahrsten Sinne des Wortes! Mit dem Mikroklima geht nämlich auch die Grundlage für den guten Geschmack flöten, weshalb der Käser anschließend in seinen Bakterienbaukasten greifen und extra wieder neue Stämme hinzufügen muss. Nichtsdestotrotz lässt sich Käse aus roher wie pasteurisierter Milch herstellen—wir lassen die beiden in vier K.o.-Runden gegeneinander antreten:

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Runde 1: „Traust dich nie!"

Wer wegen einer Schwangerschaft auf Nummer sicher gehen will oder schon beim Dschungelcamp schauen Tropenfieber bekommt, der schneidet sich besser mit Latexhandschuhen etwas von einem Exemplar aus pasteurisierter Milch herunter. Tatsächlich sind die Hygienevorschriften der Europäischen Union für Rohmilchkäse aber so streng, dass bei diesen sogar häufiger Kontrollen durchgeführt werden, als bei ihren Artgenossen aus pasteurisierter Milch. Trotzdem sind unsere Rohmilchkäse z.B. in Amerika verboten, weshalb man dort dringend einen guten Dealer braucht, um nicht auszuflippen. Auch hierzulande wird Schwangeren häufig von Rohmilchkäsen abgeraten, weil sich etwaige nicht abgetötete Krankheitserreger negativ auf das Kind auswirken könnten. Hartkäse gilt generell als unbedenklicher, weil der Käsebruch bei über 50°C gebrannt wird und die Reifungsdauer mehrere Monate beträgt. Gruseliger Fakt: Sollten sich aufgrund von Hygienemängeln Keime in die bereits pasteurisierte Milch verirren, sind keine natürlichen Bakterien mehr als Türsteher zur Stelle.

Wertung: Unentschieden

Runde 2: „Voll retro"

Die Frage „Was war zuerst da, Käse oder pasteurisierte Milch?" kannst du dir sparen. Archäologischen Funden zufolge sollen Menschen bereits 5.500 v. Chr. Käse hergestellt haben, der von ihnen wohl auch gegessen wurde. Also rund 7.500 Jahre bevor Louis Pasteur Mordgedanken gegen die Lebewesen hegte, die seine Bouillon verderben ließen. Viele der berühmtesten Käse der Welt wie Emmentaler, Camembert de Normandie, Roquefort oder Parmigiano Reggiano DOP wurden ursprünglich aus Rohmilch gekäst und AOC-Käse mit geschützter Herkunftsbezeichnung müssen es vorschriftsmäßig noch heute sein. Rohmilchkäse kann sich also getrost Werbe-Schlagwörter à la „wie damals" und „ursprünglich" auf die Fahnen schreiben.

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Wertung: 2:1

Runde 3: „Es lebt!"

Auf die Idee, Käse aus ultrahocherhitzter (nämlich bei 135 Grad) H-Milch, zu machen, braucht man gar nicht erst kommen. Danach ist die Milch steril und das sollen doch lieber Tattoo-Studios und die dort verwendeten Gerätschaften sein als unsere Lebensmittel. Im Vergleich dazu befinden sich Käse aus pasteurisierter Milch eher im Zombie-Modus—sie reifen langsamer und sind daher besser kontrollier- und berechenbar. Bei einem Weichkäse aus Rohmilch handelt es sich dagegen um ein lebendiges Lebensmittel. Da wird der Kühlschrank auch mal zum Zaubertunnel aus der Mini-Playbackshow und was als unauffälliger Jungspund reingegangen ist, kommt als üppiger Vamp wieder raus.

Wertung: 3:1

Endrunde: „Einheitskäse"

Stell dir vor, alle Musiker der Welt dürften nur ein und dieselben drei Töne verwenden. Dann würde ja alles so gleich klingen wie bei den zahlreichen Robo-Rappern, die alle ein bisschen zu viel Auto-Tune aufgedreht haben. Die Pasteurisierung und Zugabe von selektionierten Bakterienstämmen sind quasi das Auto-Tune der Käsewelt—sie haben dazu geführt, dass sich die mikrobische Vielfalt in Käse in den letzten Jahren stark verringert hat. Wir machen's wie Jay-Z und fordern den „Death of Auto-Tune", zumindest was unseren geliebten Käse angeht.

Endwertung: 4:1

Nach vier Runden steht also fest: Rohmilchkäse ist Kulturgut und keinesfalls Gefahrengut, Auto-Tune klingt immer noch besser, als es schmeckt und wer wirklich auf Käse abfährt, der greift gern zu dem im Rohformat.