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Meeresfrüchte

Was fühlt ein Tintenfisch, wenn er lebendig gegessen wird?

In manchen Teilen der Welt werden immer noch Tiere bei lebendigem Leib gegessen. Wie es Tintenfischen dabei ergeht, hat uns eine Expertin für Kopffüßer erklärt.
Hilary Pollack
Los Angeles, US

Hund auf der Speisekarte und der Aufschrei ist garantiert—kein Wunder, schließlich sind Wuffis doch des Menschen bester Freund und gehören bitte nicht angerührt. Ebenso für reichlich Diskussionsstoff sorgte 2010 ein Guardian-Artikel, in dem über das noma in Kopenhagen und sein Langusten-Gericht berichtet wurde. Warum? Weil sich die Tierchen auf dem Teller noch rekelten.

Doch nicht in allen Teilen dieser Welt wird das Essen von lebendigen Tieren dermaßen tabuisiert. Ein gutes Beispiel dafür ist Seoul in Südkorea, wo einige Restaurants darauf spezialisiert sind, Tintenfisch anzubieten, dessen Arme sich noch bewegen, wenn sie auf dem Teller und anschließend im Hals der zahlenden Kundschaft landen.

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Unsere ethische Grenzziehung ist nicht immer klar und nachvollziehbar. Warum ist es „normal", mit einem Hund Mitleid zu haben, der draußen im Regen steht, aber gleichzeitig kein Problem damit zu haben, herzhaft ins Rindersteak zu beißen oder methodisch einen Fisch auseinanderzunehmen?

Doch zurück zu unseren Tintenfischen in Seoul. Tote Tiere zu essen ist eine Sache (und trotzdem nicht jedermanns Sache). Aber bei lebenden hört der Spaß dann endgültig auf. Oder nicht? Verspüren die Tiere denn Schmerzen? Gibt es vielleicht die Methode, um einen Tintenfisch möglichst schnell und schmerzfrei zu töten? Ihr seht, die Fragen werden nicht weniger und Abhilfe kann da nur ein Experte in Sachen Tintenfische schaffen. Meine Wahl fiel auf Jennifer Mather, Professorin für Psychologie an der University of Lethbridge in Alberta (Kanada) und Autorin zahlreicher Studien über Kopffüßer und deren Empfindungsvermögen.

MUNCHIES: Haben Sie im Rahmen Ihrer Forschungen auch die Praxis, Tintenfisch lebendig zu essen, untersucht? 
Prof. Jennifer Mather: Nein, das war nicht Teil meiner Untersuchungen. Ich war aber mal bei einer PETA-Diskussionsrunde dabei und wurde gefragt, was ich davon halte, dass in einem New Yorker Restaurant lebendige Tintenfische in der Pfanne landen.

Was bekommt denn ein Tintenfisch mit, wenn er lebendig zerstückelt und gegessen wird? Wie kann man das Phänomen erklären, dass die Arme weiterzucken, obwohl sie schon vom Rest des Körpers abgetrennt sind?
Sehr wahrscheinlich verspüren Tintenfische genauso viel Schmerzen wie Wirbeltiere. Sie können Schmerzen und Stress auch antizipieren—und sich im Anschluss auch daran erinnern. So ist das Nervensystem bei Tintenfischen noch verzweigter als bei uns Menschen. Beim Menschen sind die meisten Neuronen im Gehirn lokalisiert, wohingegen sich bei Tintenfischen drei Fünftel der Neuronen in den Armen befinden.

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Jeder einzelne Schnitt tut ihnen also weh. Das ist so, als würdest du einem Schwein oder einem Hasen Stück für Stück das Bein abhacken. Eine barbarische Vorstellung. Ich könnte deswegen kein Mitleid mit Personen haben, die an einem lebenden Tier ersticken, das sie Stück für Stück aufessen.

Wie sieht es mit anderen Kreaturen wie Langusten aus? Die Sache mit dem noma hatte damals ja für reichlich Wirbel gesorgt…
Dazu fällt mir eine äußerst fragwürdige Entscheidung der Europäischen Union vor ein paar Jahren ein. Man wollte gegen Tierquälerei vorgehen. Dabei kam unter anderem die Frage auf, ob man sich, neben Wirbeltieren, auch um die Belange von Wirbellosen kümmern sollte. Nach einiger Überlegung wurde beschlossen, in diesem Zusammenhang mehr für Tintenfische tun zu wollen. Krustentiere wurden hingegen nicht berücksichtigt. Dabei ist überhaupt nicht geklärt, ob sie wirklich weniger Schmerzen empfinden als etwa Tintenfische.

Würde man einen Tintenfisch so schnell und schmerzlos wie möglich töten wollen, was wäre dann der beste Weg?
In Hawaii beißt man dem Tier in den Kopf, um das Gehirn außer Gefecht zu setzen. Ich würde den Tintenfisch aber einfach nur in das Tiefkühlfach legen. Krustentiere, Kopffüßer und Mollusken verfügen über keine körpereigene Temperaturregelung. Bei sehr kalten Temperaturen verlieren sie also komplett das Bewusstsein. Das wäre auf jeden Fall die schnellste Art. Du musst dafür nicht wissen, wo sein Gehirn liegt und dir auch keine Gedanken darüber machen, ob und wie sich ein Betäubungsmittel auf seinen Geschmack auswirken könnte. Also: Ab ins Tiefkühlfach mit ihm.

Sind Sie während Ihrer Studien auf besonders verrückte oder verblüffende Erkenntnisse gestoßen, die auf die Intelligenz dieser Tiere schließen lassen?
Ja. Über Tintenfische ist bekannt, dass sie Werkzeuge benutzen und schon vorher genau wissen, was sie damit anstellen möchten. Es gibt ein wunderbares Video von einigen Exemplaren in Australien, die sich ausruhen möchten und dafür einen sicheren Unterschlupf suchen. Darum buddeln sie zuerst ein großes Stück einer Kokosnuss-Schale aus, transportieren es zu ihrer Lieblingsschlafstelle und benutzen es dann als Versteck. Und in einem meiner Experimente bin ich auch schon auf Tintenfische gestoßen, die Glasdeckel aufgeschraubt haben, um an eine darin befindliche Krabbe ranzukommen. Außerdem haben Tintenfische ein räumliches Gedächtnis und ein Verständnis dafür, was ihr „Zuhause" ist, das sie auch stets wiederfinden. Alles in allem sind es wirklich ganz wundervolle und faszinierende Tiere.

Glauben wir gerne. Vielen Dank für das Gespräch.