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Heutzutage werden die Kurse in verlassenen Krankenhäusern, Bürogebäuden oder im Stillen direkt beim Kursleiter zu Hause abgehalten. Oftmals ist es auch so, dass die Lehrer den Takt direkt vorzählen und gar nicht erst Musik abspielen, um die Nachbarn nicht auf den Plan zu rufen.Azar, eine von Adas ehemaligen Ballettlehrerinnen, erzählt mir vom ständigen Risiko einer Razzia. „Es ist jederzeit möglich, dass die Polizei vorbeikommt und uns alle verhaftet", meint sie. „Ich sage meinen Schülern ständig, dass ich für ihre Sicherheit nicht garantieren kann. Ich versuche jedoch immer, so vorsichtig wie möglich zu sein. Ich nehme zum Beispiel nur Schüler auf, die mir von anderen Schülern empfohlen wurden. Mir ist es nicht so wichtig, meine Kurse auf Biegen und Brechen durch Werbung vollzukriegen. Es gibt aber auch andere Lehrer, die ihre Visitenkarten direkt auf der Straße verteilen."„Es ist jederzeit möglich, dass die Polizei vorbeikommt und uns alle verhaftet."
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Werbung für die Kurse ist ein wahrer Tanz auf der Rasierklinge: Zu wenig Promotion führt zu einer unbefriedigenden Teilnehmerzahl, aber zu viel Werbung bringt einem womöglich die falsche Aufmerksamkeit. Yassi, eine angehende Tanzlehrerin, erinnert sich noch an den Balanceakt ihrer damaligen Mentorin: „Sie war immer total vorsichtig, aber mehrere Male wurde sie auch von Behörden angerufen, die zum Teil Ali Chamene'i direkt unterstellt waren. Dabei wurde sie eingeladen, bei irgendwelchen internationalen Veranstaltungen oder in den Botschaften anderer Länder iranische Folklore-Tänze aufzuführen. Trotz der guten Bezahlung hat sie jedoch nie eingewilligt." Letztendlich ist Yassis Mentorin aus dem Iran ausgewandert, um woanders als Tanzlehrerin zu arbeiten. So kam es auch, dass Yassi ihre Klassen übernahm und auf keinen Fall irgendwelche verlockenden Angebote vom Regime für öffentliche Tanzauftritte annehmen wird.Zwar hat die Revolution von 1979 die Karriere vieler Tänzer beendet, aber sie hat für manche Leute auch neue Türen geöffnet. Zu diesen Leuten gehört Nassrin, eine junge Tänzerin, die fast zufällig zu einer der wenigen Tanzschuh-Hersteller von Teheran geworden ist. Vor der Revolution konnten die Tänzer ihre Schuhe noch in verschiedenen Läden kaufen und dabei zwischen günstigen Einsteiger- und qualitativ hochwertigen Profi-Schuhen auswählen. 35 Jahre später sind die meisten von Teherans Tanzschuh-Herstellern aber entweder weggezogen, gestorben oder haben aufgegeben. Nassrin macht mithilfe von Instagram auf ihre Produkte aufmerksam und hat den Risiken gegenüber eine ziemlich philosophische Einstellung: „Ich stelle doch nur Schuhe her. Das können sie mir nicht verbieten." „Ich lade Fotos der Schuhe bei Instagram hoch. Mein Publikum ist sehr speziell und die meisten Leute haben sowieso keine Ahnung von der Materie. Als einige meiner Freunde meine Schuhe sahen, meinten sie zum Beispiel, dass sie diese niemals als Tanzschuhe erkannt hätten."
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Nassrins Einstellung spiegelt die derzeitige Entwicklung in Teherans Tanzszene ziemlich gut wider. Als Ada zum ersten Mal Ballettkurse besuchte, waren die Teilnehmer noch sehr besorgt darüber, verhaftet zu werden. Jetzt erzählt sie mir allerdings davon, wie man mit der Polizei quasi zu einer Einigung gekommen ist: „Die Regierung sagt zwar immer noch, dass Tanzen eine Sünde ist und man es deshalb nicht machen darf. Wenn man jedoch Schmiergelder zahlt, dann kann man—zumindest im Geheimen—tanzen."Tänzer müssen ihre Kurse immer noch vor ihren Familien geheim halten, Lehrer müssen den Takt immer noch selbst vorzählen und Schuh-Hersteller gibt es immer noch nur selten. Die Möglichkeiten, in der Öffentlichkeit zu tanzen, kommen inzwischen jedoch immer häufiger vor—auch wenn es für Frauen weiterhin illegal ist, vor Männern zu tanzen (die einzigen Zuschauer dürfen andere Frauen sein).Yassi erklärt mir, wie sich die Dinge mit der Wahl von Staatspräsident Hassan Rohani im Jahr 2013 geändert haben: „Es gibt jetzt viel mehr Möglichkeiten, irgendwo aufzutreten, aber dafür verlangen sie viel Geld. Wir müssen für jeden Auftritt tief in die Tasche greifen. So kostet uns jede Performance ungefähr 200 Millionen Rial [umgerechnet gut 6100 Euro]."So wurde ein inoffizieller Kompromiss erreicht, nachdem sich fundamentale Moslems und liberaler eingestellte Iraner jahrzehntelang im Streit befanden: Leg die Kohle auf den Tisch, dann darfst du auch tanzen. Nach ihrer Rückkehr aus Teheran berichtet mir Ada davon, wie richtiger Fortschritt aber leider nur langsam vonstatten geht.„Wenn man jedoch Schmiergelder zahlt, dann kann man—zumindest im Geheimen—tanzen."
„Dieses neue Tanz-gegen-Geld-Schema ist für die iranischen Tänzer zumindest schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, aber das Regime profitiert immer noch davon, dass keine klaren Grenzen zwischen legalem und illegalem Handeln gezogen sind", erklärt sie mir. „Das macht es schwerer, ihre Entscheidungen anzufechten, und die Mehrheit der Bevölkerung ist so im Leben sogar noch weiter eingeschränkt, weil niemand irgendein Risiko eingehen will. Unklarheit und Angst sind die einfachsten Mittel, um Menschen unter Kontrolle zu halten."Die Vorstellung davon, dass ein Raum voller Siebenjähriger, die verbissen ihre Ballettschritte üben, eine Sünde darstellt, hat schon etwas Groteskes an sich. Bis das jedoch auch von der iranischen Regierung eingesehen wird, müssen Ada und ihre Tanzkolleginnen auch weiterhin jeden noch so kleinen öffentlichen Auftritt als einen Triumph im Kampf um das Fortführen der Ballettkunst im Iran ansehen.*Alle Namen geändertMotherboard: Wenn du chronisch den Takt nicht halten kannst, leidest du an Beat Deafness