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Popkultur

Als Strache noch auf Seiten muslimischer Flüchtlinge war

Ein altes Video zeigt, wie der FPÖ-Chef noch bei einer Pressekonferenz 2011 über Flüchtlinge aus Syrien dachte.
Foto von Raphael Knipping

"Das da bin ich und das…", Hamza, 35, Syrer, hält inne. Spult das Video auf seinem Smartphone wenige Sekunden zurück. "Das ist Heinz-Christian Strache. Kennst du?" Ja, ich kenne Heinz-Christian Strache, den Vorsitzenden der rechtspopulistischen FPÖ. Und ich kann nicht glauben, was mir Hamza da gerade zeigt.

Das Merkel-Selfie mit dem Flüchtling Anas Modamani ist inzwischen legendär. Aber das Video, die gemeinsame Pressekonferenz von Heinz-Christian Strache mit dem Syrer Hamza Abo Nokta—daran erinnert sich niemand mehr. Strache und der syrische Flüchtling, der damals noch keiner war. "Hätte Strache sein Versprechen gehalten, wäre ich heute nicht in Europa", sagt Hamza. Das ist seine Geschichte.

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Es ist diese Pressekonferenz am 18. 05. 2011 in Wien. Strache ist da, Hamza auch. Er ist eingeladen, als Gast der FPÖ. Seit zwei Monaten demonstrieren die Menschen in Syrien für Freiheit und gegen Diktator Assad in Hamzas Heimatstadt Deraa, im Süden des Landes. Der Protest verläuft die vollen zwei Monate über friedlich und unbewaffnet. Genauso lang erschießt das Assad-Regime gezielt Demonstranten. Ein Bürgerkrieg ist das damals nicht. Es ist schlicht Mord. Mord, den Hamza dokumentiert.

"Ich sage gleich, dass diese fünf Minuten sehr, sehr grausam sind. Man braucht sehr, sehr starke Nerven, um sich das anzusehen, aber man soll sich wirklich ein reales Bild machen, wie dramatisch die Situation in Syrien ist", warnt Heinz-Christian Strache damals noch.

Er trägt ein beiges Sakko, die Augenringe sind noch ein bisschen tiefer als sonst. Es sind fünf Minuten Film wie aus einer perversen Horrorshow, die er hier präsentiert: Männer, Kinder, Frauen, die der Kugelhagel auseinander treibt. Ein Leichnam auf der Straße, der von Sicherheitskräften misshandelt wird. Ein Mann mit zerfetztem Gesicht, dessen leblosen Leib seine Freunde wegzerren. Kamerafokus auf das Loch mitten im Schädel, aus dem das Blut spritzt. Bilder, bei denen mir speiübel wird.

Ein junger Mann kommentiert. "Ich betone, dass die Schützen nur aus Regierungskreisen kamen", sagt er. Sein Gesicht ist zur Unkenntlichkeit verpixelt. "Es geht um die Sicherheit der Familien, die in Syrien leben und nicht gefährdet werden sollen", wird Strache später sagen, denn der Mann sei "ein Mitglied der oppositionellen Jugendbewegung".

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Der verpixelte Mann. Das ist Hamza. Damals Student und Hobby-Filmer, den die FPÖ zum Oppositionellen umdeklariert hat. Über fünf Jahre nach seinem Auftritt bei Strache sitzt er neben mir auf einer abgewetzten Ledercouch in einer Zweiraum-Wohnung irgendwo im Ruhrpott. Vor einem Jahr ist er mit seiner Familie hierhin geflohen.

Mit angewiderter Faszination folge ich dem Video von der Pressekonferenz, das mir Hamza vorspielt. Wie aus dem Strache-Mund Ankündigungen blubbern, sich für die Würde der Menschen, die Freiheit und die demokratische Entwicklung in Syrien einzusetzen. Ist das derselbe Strache, den ich kenne?

Der Strache, der heute sagt, Krieg sei kein Fluchtgrund? Der aus syrischen Flüchtlingen IS-Terroristen macht? Dessen Parteifreunde traumatisierte syrische Flüchtlingskinder mit Nein-zum-Asylantenheim-Postern empfangen? Der Typ, der Kumpel ist mit Vladimir Putin, der gerade dabei ist mit seinem Kumpel Bashar al-Assad den Syrern die Seele aus dem Leib zu bomben?

Hamza nickt. Schaut finster, lächelt nicht eine Sekunde. Schweigend holt er ein kleines Kästchen aus der Schublade. Darin ein Dutzend Handyspeicherkarten, fein säuberlich eingewickelt in Papier, beschriftet mit dem jeweiligen Datum. Es sind die Daten der Massaker. "Das ist Assads Anklage", sagt er. Das sind seine Videos, Hunderte Stunden voller Leichen, Blut und Bomben. Material, das lange niemand sehen wollte.

"Ich dachte das F steht für Freiheit. Dass sich diese Partei für die Freiheit aller Menschen in der Welt einsetzt."

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Im Mai 2011 will die Welt andere Dinge sehen: Ein Kernkraftwerk, das in Japan in die Luft fliegt, eine ägyptische Revolution, einen sich anbahnenden Sturz Muhammar al Gaddafis in Libyen. Was die Welt nicht sieht, ist das Morden in Syrien. "Es gab keinen einzigen ausländischen Journalisten in Deraa", sagt Hamza. "Ich musste das Material außer Landes bringen, veröffentlichen."

In der Lasche seiner ausgelatschten Adidas-Sneaker bringt er die Speicherkarten nach Jordanien. Bei den großen Sendern blitzt er damit ab: Al-Jazeera, al-Arabiyye und auch bei den europäischen Regierungen, an die er sich wendet. "Entweder sie haben sich nicht interessiert oder sie wollten es sich nicht mit Assad verscherzen", denkt er heute. Als er von einem Bekannten das Angebot bekommt, sein Material in Österreich zu präsentieren, sagt er deshalb sofort zu. Die FPÖ und ihre Haltung gegenüber frommen Muslimen wie ihm kennt er nicht. "Ich dachte das F steht für Freiheit. Dass sich diese Partei für die Freiheit aller Menschen in der Welt einsetzt." Also auch für die der von Assad unterdrückten Syrer.

"Ich habe Strache damals gewarnt", erinnert sich Hamza. "Es gibt in Syrien keine Terroristen. Aber wenn ihr uns jetzt im Stich lasst, werdet ihr ein Blutvergießen und eine Entwicklung erleben, das die ganze Welt zu spüren bekommt".

Ist es diese Horrorvision, die Strache Angst macht? Bietet er dem Anti-Assad-Aktivisten deshalb eine Bühne? Will sich der Möchtegern-Bundeskanzler zwei Jahre vor der Wahl als Mann von Welt geben, sein Diplomaten-Image aufpolieren? Oder ist es tatsächlich nur das wahnsinnig große Herz eines Freiheitlichen für die syrischen Freiheitsdemonstranten?

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Strache kündigt an, er wolle "als österreichischer Vertreter, wo wir eine neutrale Tradition haben, als Vermittler auftreten und das Blutvergießen beenden". Es klingt damals ein wenig größenwahnsinnig für eine 24-Prozent-Partei aus Österreich, die nicht einmal in der Regierung vertreten ist. "Wir werden den Dialog mit der syrischen Regierung suchen, in der Hoffnung, dass man diesen auch annimmt".

Hamza zeigt mir weitere Videos, er hat noch so viele. Das letzte aufgenommen von einem Freund, erst vor wenigen Wochen.

Fünf Jahre ist das nun her. Fünf Jahre, fast eine halbe Million Tote und 42.000 syrische Asylanträge in Österreich. Angenommen hat Bashar al-Assad Straches Angebot nie. Schade eigentlich.

Strache hat seine Agenda umgeworfen. Hat kapiert, dass glaubwürdige Anti-Flüchtlings-Hetze bei der Wählerschaft besser zieht als unglaubwürdige Diplomatie. FPÖ-Mann Hofer steht in der Stichwahl um die Präsidentschaft, die FPÖ ist mit 35 Prozent stimmenstärkste Partei in Österreich. "Flüchtlinge haben die Wahl entschieden—Strache bedankt sich bei Diktator Assad", titelte die Tagespresse nach den Landtagswahlen in Oberösterreich vergangenen Herbst. Es ist Satire und doch so wahr.

Hamza sitzt in seiner Wohnung. Er zeigt mir weitere Videos, er hat noch so viele. Das letzte aufgenommen von einem Freund, erst vor wenigen Wochen. Eine Mörsergranate, abgeschossen von der Assad-Armee auf einen Kleinwagen. Ein zerfetzter Leib. Dampfendes, verkohltes Fleisch, eingeschmolzen in den Autositz. "Das ist meine Stadt und das war mein Bruder. Sief Aldin. Er hat die Videos für Straches Pressekonferenz gedreht", sagt er verbittert.

Verantwortlich fühlt sich die FPÖ dafür längst nicht mehr. Hamzas FP-Kontaktfrau und Strache-Tante Brigitte Schindl hat ihn auf WhatsApp geblockt, als er ihr blutige Bilder aus Deraa schickte. Und Strache selbst? Der hat am Wochenende geheiratet—und nebenbei wieder mal einen Link gepostet: und zwar zu einer Story in der Kronen Zeitung, in der es um einen Bombenbauer aus Syrien geht, der inzwischen von einem anderen Syrer in Deutschland gefasst wurde. Darüber schreibt er: "Leider kein 'Einzelfall!'"

Folge Bartholomäus von Laffert auf Twitter: @BartVola


Titelbild: Raphael Knipping