Ich habe eine Forelle gemolken

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Fische

Ich habe eine Forelle gemolken

Typischerweise werden bei der Kaviarproduktion Fische gefangen, getötet und ausgenommen, um an ihre tausenden leckeren Eier zu gelangen. Die Methoden der Yarra Valley Caviar Farm in Australien sind humaner, aber auch seltsamer. Der Lachs- und...

Du hast schon Recht, wenn du die Berechtigung dieses Titels hinterfragst. Nicht nur du hast bemerkt, dass Fische keine Nippel haben. In diesem Fall wird der Begriff „melken" nicht im Sinne von Milchabsonderung verwendet, sondern im Sinne von Extraktion eines tierischen Produkts, wie „das Gift einer Schlange melken". Von Fischen kannst du nur ein einziges Produkt—abgesehen vom Fleisch—aus dem Tier extrahieren, die Eier, die auch als Rogen bekannt sind.

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Wenn du an Kaviar und Rogen denkst, erscheinen in deinem Kopf als erstes Bilder der abartig teuren Störeier, kleine schwarze Perlen, die die russischen Oligarchen wie Margarine konsumieren. Unzählige Fische werden für die Kaviarherstellung gefangen und Lachs und Forellen werden für ihren leckeren, salzigen, unbefruchteten Laich (Rogen) getötet.

Die Yarra Valley Caviar Farm befindet sich ungefähr zwei Autostunden nordöstlich von Melbourne. Dort werden jährlich um die zehn Tonnen Forellen- und Lachskaviar gezüchtet. Wodurch sie sich aber von ihren Konkurrenten abheben, ist ihre Methode. In der typischen Kaviarherstellung werden die Fische gefangen, getötet und dann ausgenommen, um an die tausenden leckeren, salzigen Eier zu gelangen. Auf der Yarra Valley Caviar Farm geht es ein bisschen weniger grausam zu. Die Fische werden gefangen, mit Nelkenöl betäubt und die Eier vorsichtig durch Massage (oder Melken) abgestreift. Anschließend werden sie wieder zu ihren Freunden ins Wasser geworfen, wo sie noch bis zu zehn Jahre glücklich weiterleben können.

Kaviargewinnung ist nur zu einer Jahreszeit möglich, im Herbst. In Australien ist das jeden Mai, die Yarra Valley Forellensaison beginnt im Juni. Ich besuchte die Farm am Ende der Saison, als der reguläre Bestand bereits gemelkt wurde. Die einzigen Fische, die noch übrig waren, waren Ausreißer—Fische, die sich im richtigen Moment rückwärts fließende Leitungen zunutze gemacht hatten und in einen kleinen Fluss entfliehen konnten. Das Ergebnis: Farmarbeiter, die mit Handnetzen versuchten, die Fische zu einzufangen, damit auch diese gemolken und in den Teich zum restlichen Fischbestand zurückgebracht werden können.

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Oben, ein Fischzüchter, der Forellen hütet.

Es dauert ein paar Minuten, bis die Farmarbeiter einen Fisch fangen, an den ich zum Melken Hand anlegen konnte. Der Fang bestand aus einigen normalgroßen Forellen, die gold-gelben Rogen produzieren. Nachdem die Forellen gefangen worden waren, wurden sie in eine Wanne mit einer Mischung aus Wasser und Nelkenöl geworfen, die sie betäubt. In der einen Minute schwimmen die Fische ganz normal herum, bis sie plötzlich langsamer werden und schließlich ganz anhalten und auf ihren Seiten treiben, als wären sie tot. Das ist echt verrückt. Einer der Farmarbeiter nimmt eine Forelle an ihrem Schwanz auf und zeigt mir die Melktechnik, bei der im Grunde von Kopf bis Fuß am Bauch rumgedrückt wird. Als seine Hand in der Nähe des Schwanzes angelangt, schießen hunderte kleine goldige Kugeln aus der Kloake der Forelle (für diesen Ausdruck musste ich ganz schön lange googeln, davor hätte ich wahrscheinlich einfach Vagina dazu gesagt). Die Eier landen in einem Sieb und dann ist die Sache erledigt—Forelle gemolken.

Als ich dran bin, ergreife ich den schlappen Fisch mit meiner linken Hand an seinem Schwanz wie den Griff eines Motorrads. Mit meiner rechten Hand halte ich den Bauch unterm Kopf fest. Irgendwie fühlt es sich glibberig, kalt und komisch warm zur selben Zeit an. Ich fummle rum, wie als ich das erste Mal die Brüste einer Frau anfasste. Mit festem Druck presse ich den Bauch der Forelle von Kopf bis Schwanz während ich sie über mein Sieb bewege. Und, was sagt man dazu – ich bin ziemlich schlecht darin. Es kam nicht annähernd so ein großer Eierschwall wie beim Profi vor mir heraus.

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Fish milking header

In nervöser Erwartung blickte ich auf mein Sieb auf meine Ausbeute, wo eine jämmerliche Sammlung von 20 Eiern lag.

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Ich streichelte die Forelle mitleidig noch ein bisschen, bevor ein Farmarbeiter die Arbeit zu Ende bringen musste. Nachdem das traumatische Erlebnis der Forelle vorbei ist, wird sie in einen anderen Behälter mit Wasser geschmissen, in dem sie langsam aufwacht und schließlich kommt sie wieder zurück in den Teich.

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Von dort wird der Rogenertrag zur Weiterverarbeitung in eine Hütte gebracht, wo alles pasteurisiert, gepökelt und in Gläser und Container verpackt wird. Ungefähr 70% davon gehen an Großhändler, die den Kaviar wiederum an einige der besten Restaurants des Landes verkaufen. Der Rest wird auf Bauernmärkten und ausgewählten Feinkostläden an Endkonsumenten verkauft, wo ein 50g Glas um die 15 Euro kostet. Es ist den Preis absolut wert, weil das Endprodukt wirklich lecker ist und es ist nicht schwer zu verstehen, wieso es sich um eine Delikatesse handelt. Das beste daran ist, wenn du den Kaviar mit deiner Zunge gegen deinen Gaumen drückst und die Kügelchen wie kleine Salzblasen zerplatzen.

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Natürlich stellt man sich die Frage, was die Fische davon halten. In der einen Minute schwimmen sie unbekümmert herum, mit einem Bauch voller Eier und in der nächsten werden sie eingefangen und betäubt und wachen mit einem kleineren Bauch und tausend Eiern weniger wieder auf. Fühlt sich das so an, wie mit einer fehlenden Niere in einer Badewanne voller Eis aufzuwachen?

Wenn du darüber nachdenkst, wird der Prozess dadurch banalisiert, wenn er als „Melken" bezeichnet wird. Das Endprodukt sind schließlich weder Eier noch Milch aus einem Nippel. Ich habe lange darüber nachgedacht, mit welchem realitätsnäheren Ausdruck ich „von Hand gemolken" ersetzen könnte: geduscht, vorsichtig menstruiert, von Hand abgetrieben. Aber nichts fühlte sich so tröstlich wie „melken" an. Aus der Marketingperspektive ergibt es Sinn. Keiner wird 15 Euro für ein kleines Glas „von Hand ejakulierter" Fischeier ausgeben, aber „von Hand gemolken" oder „sortenrein" oder „aus traditioneller Zucht" verleiht das Bauernhof-Feeling, das sich eben verkauft.

Ich finde, jeder der tierische Produkte kauft—sei es Fleisch, Milch oder Eier, egal was—sollte immer versuchen, soweit es möglich ist, Produkte zu beziehen, von denen wir wissen, dass das Tier ein glückliches Leben hatte.

Ich bin keineswegs in der Lage, jedes Wochenende Kaviar zu futtern. Sollte sich mein finanzielles Glück aber zum Guten wenden, bin ich froh, dass ich die Wahl habe, ihn von Fischen zu konsumieren, die ein gutes Leben hatten.

Ein großartiges Leben. Außer das eine Mal, als ein Schreiber ungeschickt an ihnen rumfummelte während sie schliefen.