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Gesundheit

Aktivkohle ist der neueste Gesundheitstrend aus den USA

Säftehersteller und Wellness-Blogs in den USA preisen plötzlich Aktivkohle als allheilendes „Entgiftungsmittel" an, aber vielleicht solltest du es dir zwei Mal überlegen, bevor du dir für 5 Euro eine „aktive Limonade" kaufst.
Hilary Pollack
Los Angeles, US

In Deutschland dauert es vermutlich noch eine Weile, aber in Amerika ist bereits jede größere Stadt mit unzähligen Saftläden übersät, in denen alle möglichen Rote-Bete- oder Kohlsäfte und Spinat-Ingwer-Shots zu Wucherpreisen zur Auswahl stehen und sich loyale Kunden mit ihren Yogamatten herumtummeln, die trotz der offensichtlichen, regelmäßigen Preiserhöhung immer wieder kommen. Bald sind wir es alle gewöhnt, unsere Salate nur noch zu trinken und wenn du dich mit deiner Tante in einer Kleinstadt triffst, dabei einen Rote-Bete-Smoothie in der Hand hältst und ihr erklärst, warum kaltgepresste Säfte so toll sind, bist du bald kein Trendsetter mehr.

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In der Kolumne „This Is Now a Thing" des TIME Magazine wurde kürzlich Aktivkohle als die neueste angesagte Zutat für Gesundheitsfanatiker angepriesen. Plötzlich ist es ein häufiger Zusatz in grünen und anderen Säften von großen amerikanischen Herstellern wie Project Juice oder Juice Generation, in Eiweißshakes und kokosnussbasierten Nahrungsergänzungsmitteln. Holistische Gesundheitsblogs wie WellnessMama empfehlen es für alle möglichen Dinge: für weißere Zähne, als Stimmungsaufheller oder um deine Kinder zu beruhigen. Der Gründer von Juice Generation, Eric Helms, sagte kürzlich zur New York Post, die „Aktiv"-Produkte des Unternehmens—eine Produktlinie von Getränken mit Aktivkohle zu je 9,95 Dollar [ca. 9,15 Euro]—zählen zu den „beliebtesten Produkten", die sie je auf den Markt gebracht haben.

Gwyneth Paltrow verkündete ihren Anhängerinnen via GOOP, dass sie die acht Dollar teuren Aktivkohle-Limonade—ein angeblicher „Leberentgifter" und „Katerhelfer"—des Unternehmens JUICE Served Here aus L.A. für gut befindet. Dave Asprey, „Biohacker" aus dem Silicon Valley und Autor von The Bulletproof Diet, wirbt auf seiner Website ebenfalls dafür: „Aktivkohle ist das älteste Entgiftungsmittel der Welt und ist jetzt als wirksames und praktisches Ergänzungsmittel verfügbar, das dir dabei hilft, die Gifte in deinem Essen und deiner Umgebung, die dich dick, schwach und benebelt machen, zu eliminieren."

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Obwohl es nur wenig wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die die scheinbar „entgiftende" Eigenschaft belegen, auf die die Gesundheitscommunity so fixiert ist, gibt es dennoch einen vernünftigen Grund, weshalb Aktivkohle damit in Verbindung gebracht werden kann. Wenn du zurück an deine Kindheit denkst, als du oder deine Geschwister noch öfter aus Versehen mal „Gift" gegessen haben, kannst du dich vielleicht noch erinnern, wie deinem Bruder jedes Mal Aktivkohle verfüttert wurde, nachdem er Glasreiniger getrunken oder Prozac gefuttert hatte. Das liegt daran, dass Aktivkohle die Aufnahme von toxischen Substanzen stoppen kann—aus dem gleichen Grund, warum sie auch in Wasserfiltern vorkommt. Es handelt sich im Grunde um ein negativ geladenes Magnet, das an Fremdstoffe und Medikamente bindet und somit verhindert, dass der Körper sie aufnimmt. Das bedeutet aber nicht, dass sich ständig undefinierbare Giftstoffe in deinem Körper befinden, die hinausgespült werden müssen.

Tim Caulfield, Forschungsleiter des Instituts für Gesundheitsrecht an der University of Alberta und Autor von Is Gwyneth Paltrow Wrong About Everything?, will die Besessenheit über das „Entgiften" endlich als Mythos entlarven. „In unserer heutigen Zeit denken wir alle, wir müssen uns von den bösen Geistern befreien", sagt er mir per E-Mail. „Obwohl diese Industrie immer größer und der Trend immer beliebter wird, gibt es keine Beweise, die belegen, dass wir alle unsere Körper entgiften sollten. Für das haben wir Organe. Wenn du pinkelst, entgiftest du. Das ist gratis und braucht auch nicht viel Zeit."

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Er bestätigt, dass Aktivkohle seine Vorteile hat, obwohl sie nicht unbedingt in der Saftindustrie am besten zum Tragen kommen: „Kohle wird im medizinischen Bereich für sehr bestimmte Zwecke verwendet, wie wenn sich eine Person vergiftet hat. Aber es gibt keinen Beweis dafür, dass wir regelmäßig Aktivkohle konsumieren sollten."

In zu großen Dosen kann Kohle zu Erbrechen, Diarrhö und Verstopfungen führen—letzteres ist die wahrscheinlichste Nebenwirkung, besonders wenn sie in Verbindung mit gewissen Medikamenten eingenommen wird. Außerdem verhindert sie nicht nur die Aufnahme von „Giftstoffen", sondern auch von den Nährstoffen in deinem Essen, des Ibuprofen, das du mit deinem Kaffee eingenommen hast, oder deiner Antidepressiva, die dich vor den nächsten Panikattacke bewahren. Im Grunde sollte man sich Aktivkohle nicht leichtsinnig selbst verabreichen, wie es bei den meisten Medikamenten der Fall ist. Und wenn man sich die Bevölkerung ansieht, wird es früher oder später Leute geben, die dumm genug sind, sich die Holzkohlebriketts aus dem Grill zu futtern im Glauben, sie befreien ihren Körper jetzt von jeglichen unbestimmten Giftstoffen.

Caulfield sieht den Kohle-Wahn eher als Möglichkeit, dem Konsumenten das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne einen Beweis für die gesundheitsfördernden Eigenschaften erbringen zu müssen. „Hier wird einfach ein alter Trick—Säfte—mit einem neuen veredelt: Aktivkohle. Die Leute sind ständig auf der Suche nach einer magischen Formel für Gesundheit und Ernährung. Aber wann hat sich so ein Wahn auf lange Sicht schon als berechtigt herausgestellt? Ernährt euch einfach bewusst und ausgewogen, mit viel Obst und Gemüse. Vergesst diese ganzen Werbetricks."

Während ich über diese ganze Aktivkohle-Welle lese, muss ich unweigerlich an eine Phase denken, die ich vor ein paar Jahren hatte, als ich jeden Morgen Chia-Pudding zum Frühstück aß, weil ich von den „zahlreichen gesundheitlichen Vorteilen" gelesen hatte, mit denen jedes neue Superfood beworben wird. Mein morgendliches Ritual gab ich aber ziemlich plötzlich auf, als mir mir eine Arbeitskollegin von einer ihrer Freundinnen erzählte, die mit Unterleibsschmerzen in die Notaufnahme eingeliefert wurde, wo sie operiert werden musste und die Ärzte einen riesigen Darmverschluss bestehend aus Chia-Samen entdeckten (das passiert anscheinend hin und wieder …).

Manche Leute müssen einfach lernen, sich weniger Sorgen zu machen (und weniger besessen von irgendwelchen Superfoods sein) und Giftstoffe lieben lernen.