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Nordkorea

In den geheimen Küchen der nordkoreanischen Flüchtlinge

Obwohl es zwar in ganz Europa verteilt Flüchtlinge aus Nordkorea gibt, sucht man nach nordkoreanischen Restaurants, Cafés oder Supermärkten vergeblich. Unweigerlich stellt sich die Frage: Wie sieht die nordkoreanische Küche eigentlich aus?
Foto von Hyunwoo Sun via Flickr

London gehört zwar zu den kulinarischen Hauptstädten der Welt, aber eine Küche wird man auch dort nicht finden. Seltener als Blauflossenthun, rarer als weiße Trüffel und exklusiver als Beluga-Kaviar ist: nordkoreanisches Essen.

Obwohl zwar um die 1.000 nordkoreanische Flüchtlinge in Großbritannien leben—in Deutschland sind es gerade einmal um die 300—gibt es im gesamten Land kein einziges nordkoreanisches Restaurant. Oder Café. Oder Lebensmittelgeschäft. Während südkoreanische Waren es in die Einkaufsstraßen und auf Food-Festivals geschafft haben, bleibt nordkoreanisches Essen weiterhin den Nordkoreanern vorbehalten.

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Eigentlich überrascht das auch nicht besonders, wenn man bedenkt, dass Nordkorea das geheimnisvollste, isolierteste Regime der Welt ist.

Die Demokratische Volksrepublik Nordkorea ist eine der gefürchtetsten Diktaturen der Welt und hat nicht unbedingt die beste Erfolgsbilanz, was die Einhaltung von Menschenrechten anbelangt. Der Großteil der 25 Millionen Bürger des Landes ist nicht nur am Verhungern, sondern fürchtet auch täglich die Bedrohung durch das Zwangsarbeitslager oder eine öffentliche Hinrichtung.

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Wie die meisten Aspekte der nordkoreanischen Gesellschaft ist auch das Essen des Einsiedlerstaats für außenstehende ein großes Mysterium. Die Küche selbst ist durch keinerlei ausländische Einflüsse geprägt. Um einen Einblick in eine der am wenigsten bekannten Küchen der Welt zu bekommen, haben wir uns auf die Suche nach einem der geflüchteten nordkoreanischen Köche gemacht.

Lee Min* lebt in Manchester und hat schon in einigen Pubs und chinesischen Restaurants gearbeitet—die Kost seines eigenen Landes konnte er jedoch nie kochen.

„Nirgendwo im ganzen Land kann man nordkoreanisches Essen kaufen", erklärt Min. „Aber für meine Familie koche ich jeden Tag nordkoreanisch. Ich kaufe die Zutaten in chinesischen Supermärkten, dort ist es günstiger als in südkoreanischen."

Durch Mins traditionelle nordkoreanische Speisen lernen seine Kinder die Geschichte ihres Heimatlandes kennen.

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„Die Kinder sind noch zu jung, um zu verstehen, wie schwierig die Zeit für uns in Nordkorea war, aber wir können unsere Erinnerungen durch traditionelle Speisen mit ihnen teilen. Wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen, servieren wir ihnen einen schönen, dampfenden Eintopf und Reis dazu und erzählen aus unserer Heimat", sagt er. „Kimchi und koreanische Suppe mögen sie besonders gern."

Min verließ Nordkorea im Jahr 2000. Eine Flucht wird dort mit dem Tod bestraft, es war also keine leichte Aufgabe. Nachdem er mehrere Male von den nordkoreanischen Behörden gefangen gehalten wurde, schwamm Min durch den Fluss Tumen nach China. Aber dort sollte seine turbulente Reise noch nicht vorüber sein.

Die Kinder sind noch zu jung, um zu verstehen, wie schwierig die Zeit für uns in Nordkorea war, aber wir können unsere Erinnerungen durch traditionelle Speisen mit ihnen teilen. Wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen, servieren wir ihnen einen schönen, dampfenden Eintopf und Reis dazu und erzählen aus unserer Heimat.

„2004 wurde ich zurück nach Nordkorea gesandt, wo ich vier Monate in ein Arbeitslager kam", erinnert er sich. „Mein Sohn war sehr krank, weil er so hungerte. Als er den Hungertod starb, verließ ich das Land noch einmal. Erst 2008 kam ich in England an."

Ironischerweise war es in Manchester einfacher, seine heimischen Gerichte zu kochen als in Nordkorea, wo die Menschen aufgrund der Nahrungsmittelknappheit teils nicht einmal die grundlegendsten Zutaten bekommen. An der Hungersnot in den 1990er-Jahren starben aufgrund einer fatalen Kombination aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Dürre, Überschwemmungen und gelegentlichen Taifuns ungefähr eine halbe Million Nordkoreaner.

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Unweigerlich stellt sich die Frage: Wie sieht nordkoreanisches Essen eigentlich aus?

„Bei unseren traditionellen Mahlzeiten ist immer eine warme Brühe oder ein Eintopf und Reis dabei. Die westliche Ernährung aus Brot und Milch bekommt uns nicht", sagt Min. „Nordkoreas wichtigste Speisen sind Reis und Kimchi. Alles wird mit Chilis gekocht."

Naung-myon [kalte Buchweizennudeln] ist in anderen Ländern als traditionelles nordkoreanisches Gericht bekannt, wir mögen aber ohn-myon lieber. Das ist im Grunde das Gleiche, nur heiß serviert. Wenn man für die gesamte Familie kocht, werden die Portionen kleiner. Da hilft eine warme Suppe gegen den Hunger. Deshalb bevorzugen wir ohn-myon."

Auch in Nordkorea werden zu bestimmten Anlässen und Feiertagen besondere Gerichte gekocht.

„Zu Neujahr und an Geburtstagen machen wir sundae [traditionelle koreanische Wurst]", erklärt Min. „Wir kaufen im chinesischen Supermarkt Blut. Ich mache auch mandu [nordkoreanische Teigtaschen]."

Das führt mich zu der vorhersehbaren Frage nach dem Unterschied zwischen nord- und südkoreanischem Essen. Wie zu erwarten war, ist Kimchi im Schussfeld.

„Der Unterschied zwischen dem Kimchi aus Nord und Süd ist hauptsächlich die Würzung. Kimchi aus dem Norden wird kaum mit künstlichen Geschmacksverstärkern zubereitet und wir mahlen Chili in einem Mörser, damit der Kimchi einen frischen Chili-Geschmack bekommt", erklärt Min. „Außerdem sind die Basis für unseren Kimchi in Nordkorea Meeresfrüchte wie Kabeljau, Tintenfisch und Oktopus, anders als im Süden."

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In Nordkorea wird im Herbst der Kohl verteilt, um Kimchi zu machen. Das scharfe Gericht hält sich dann den ganzen langen, harten Winter.

Der Hauptunterschied zwischen nord- und südkoreanischem Essen liegt darin, wie stark die Gerichte gewürzt sind. Südkoreanisches Essen ist schärfer, doch es gibt noch weitere Unterschiede. In Nordkorea bestimmt die Armut, was gegessen wird. Rindfleisch ist beispielsweise in Südkorea sehr beliebt, in Nordkorea dagegen kaum, da Ochsen als Zugtiere eingesetzt werden.

Ironischerweise war es in Manchester einfacher, seine heimischen Gerichte zu kochen als in Nordkorea, wo die Menschen aufgrund der Nahrungsmittelknappheit teils nicht einmal die grundlegendsten Zutaten bekommen.

Barbecue hingegen ist jedoch auf beiden Seiten der Grenze gleich beliebt. Das Fleisch wird entweder über einem kleinen Gasherd oder im Freien über einem Holzkohlenfeuer gegrillt. Vereinfacht gesagt, sind die wichtigsten nordkoreanischen Gerichte Reis, Nudeln, Tofu, Gemüse und Fleisch. Gewürzt wird mit Sojasauce, fermentierter Sojabohnenpaste, Knoblauch, Ingwer, roter Chilipaste und Sesamöl.

Min und seine Familie ernährten sich in ihrer Heimat von Kimchi und eingelegtem Gemüse, essen gehen war in Nordkorea nie eine Option. Nur die obersten Schichten der nordkoreanischen Gesellschaft können sich das leisten. Ein Abendessen in einem guten Restaurant kommt dir und mir mit sechs bis neun Euro zwar recht günstig vor, für die meisten Nordkoreaner ist das jedoch mehr, als sie in einem Jahr verdienen. Der durchschnittliche Monatslohn eines Universitätsprofessors liegt bei etwa 75 Cent.

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Aus diesem Grund ist Essen in Nordkorea mehr ein Statussymbol und ein Mittel zur Propaganda. Während Touristen aus dem Westen meist die besten Delikatessen des Landes aufgetischt werden, verhungert der Rest der Bevölkerung. Um dem Ganzen noch eins aufzusetzen, wird der Führer Kim Jong-Un scheinbar von Tag zu Tag runder, während die Nordkoreaner immer magerer werden. Bei seiner Ernährung aus Steak, Cristal und Schweizer Käse ist es kein Wunder, dass bei Kim kürzlich Gicht festgestellt wurde. Unter Kindern und Jugendlichen aus Familien der nordkoreanischen Elite ist Adipositas ein immer größer werdendes Problem.

Die geflüchteten Nordkoreaner im Ausland leben sicherlich nicht in Hülle und Fülle. Oft bekommen sie maximal schlecht bezahlte Hilfsjobs in südkoreanischen Unternehmen und kämpfen mit der Armut. Sie sind dem Rassismus der Südkoreaner ausgesetzt, sie dürfen per Gesetz keinen Kontakt zu ihrer Familie zu Hause aufnehmen und haben Probleme mit der Sprachbarriere. Da die meisten Koreaner kein einziges Wort einer anderen Sprache gehört haben, bevor sie das Land verlassen, kann es schwierig für sie sein, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen und sich anzupassen.

Für Nordkoreaner, die immer im Schatten Südkoreas—des reichen, mächtigen Nachbars—leben, ist es teilweise unmöglich, ihre eigene kulturelle Identität zu entwickeln. Aus dem gleichen Grund wird ihre Küche von Südkorea in den Schatten gestellt.

Hoffen wir, dass Mins nordkoreanische Gerichte eines Tages nicht mehr nur in in seinem eigenen Zuhause gekocht werden, sondern für alle zugänglich sind.

*Zur Wahrung der Anonymität wurde der Name geändert