Wie das Militär unsere Lebensmittel verändert
Alle Fotos: Jana Berger

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Forschung

Wie das Militär unsere Lebensmittel verändert

Die Lebensmittelindustrie ist durch Militärtechnik massiv verändert worden. Die Autorin Anastacia Marx de Salcedo hat darüber ein Buch geschrieben. Wir haben uns mit ihr unterhalten und uns im Supermarkt umgeschaut.

Irgendjemand meinte einmal – vielleicht war es Napoleon, vielleicht Alexander der Große –, dass jede Armee auf dem Magen marschiert. Ohne Mampf kein Kampf. Und so ganz verkehrt ist das ja nicht, denn hungrige Soldaten hätten anderes im Kopf, als die nächste Schlacht zu gewinnen.

Das weiß auch das US-Militär. Seit mehr als einem Jahrhundert treiben sie die Forschung im Bereich Ernährung und Lebensmitteltechnologien gehörig voran, um so die Effizienz ihrer Truppen zu steigern. Zahlreiche Erfindungen gehen auf ihr Konto zurück – und die finden sich nicht nur in den Militärküchen, sondern auch in ganz normalen Supermärkten. Viele der Methoden werden auch in Deutschland angewendet.

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Anastacia Marx de Salcedo schreibt als Journalistin und Autorin über Essen und hat sich seit mehreren Jahren mit den Forschungen des US-Militärs in puncto Lebensmitteltechnologien beschäftigt. Für ihre Recherchen zu ihrem Buch Combat-Ready Kitchen: How the US Military Shapes the Way You Eat hat sie sich auch einen Militärstützpunkt in der Nähe von Boston, Natick Soldier Center, genauer angeschaut. Hier entwickeln die Ingenieure alles vom Schuh bis zur Militärnahrung für die amerikanischen Soldaten. Wenn sich die Erfindungen bei den Streitkräften bewährt haben, landet vieles davon auch beim normalen Verbraucher.


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Sie schätzt, dass über die Hälfte aller Produkte in amerikanischen Supermärkten militärischen Ursprungs sind. Und das gilt nicht nur für Minimärkte, wo man sich schnell ein paar billige Fertiggerichte oder Snacks kaufen kann, sondern auch für die etwas teureren Supermärkte. Irgendwo zwischen Zitrusfrüchten und Avocados finden sich in jedem Supermarkt abgepackte Salatmischungen, die ewig haltbar zu sein scheinen.

Salatmischungen werden mit modifzierter Atmosphäre, also unter Schutzatmosphäre verpackt und bleiben so länger frisch

"Diese Salatmischungen werden mit einer sogenannten ,modifizierten Atmosphäre' verpackt, wodurch der Reifeprozess verlangsamt wird und der Salat nicht so schnell schlecht wird", erklärt mir Anastacia. "Diese Methode wurde in den 60er-Jahren von Whirlpool in Zusammenarbeit mit der Navy entwickelt und wurde erstmals verwendet, um Salat und Sellerie nach Vietnam verschiffen zu können. Zuerst wurde diese Methode in den Containern angewandt, aber irgendwann setzte sich die Verpackung unter modifizierter Atmosphäre auch bei Einzelpackungen durch." Mittlerweile findet man Verpackungen unter Schutzatmosphäre nicht nur beim Salat, sondern auch bei zum Beispiel Hummus, der so einen ganzen Monat lang haltbar sein soll, oder Guacamole.

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Einige Smoothies und Säfte werden mit Hochdruckpasteurisierung haltbar gemacht

Wir sind bei den Smoothies, die es mittlerweile in allen Formen und Farben in jedem Supermarkt gibt. "Einige davon wurden mithilfe von Hochdruckkonservierung haltbar gemacht", erklärt Marx de Salcedo. "Mitte der 90er und in den frühen 2000ern setzte das Militär alles daran, Technologien weiterzuentwickeln, mit denen Lebensmittel ohne Erhitzen haltbar gemacht werden können, weil sich dadurch Geschmack und Textur sehr verändern. Und die Hochdruckkonservierung, auch Hochdruckpasteurisierung (HPP) genannt, ist eine der Früchte dieser Arbeit. Dabei werden die Lebensmittel in Wasserbehältern einem immensen Druck ausgesetzt. Daran haben viele große Unternehmen wie zum Beispiel Mars Inc. oder Unilever mitgearbeitet." In deutschen Supermarktregalen finden sich überwiegend Smoothies, die "schonend pasteurisiert" oder "schonend erhitzt" wurden. Das HPP-Verfahren wird nur von vereinzelten Herstellern von zum Beispiel kaltgepressten Säften angewandt; wer das Etikett genau liest, weiß mehr.

Da amerikanische Hersteller teilweise auf eine Pasteurisierung verzichteten, weil dadurch der Geschmack verfälscht würde, gab es in den 90ern zahlreiche Fälle von Lebensmittelvergiftungen. "Dann hat man die Hochdruckpasteurisierung für Saft angewandt, weil dadurch der frische Geschmack erhalten bleibt. Und wie Studien gezeigt haben, werden dadurch Nährstoffe nicht geschädigt und es entstehen auch keine schädlichen Nebenprodukte."

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Auch Pringles kommen aus der Ideenschmiede des US-Militärs

Anastacia schnappt sich eine Packung Pringles und meint: "Du weißt das vielleicht schon, aber als der Erfinder der Pringles-Dose starb, wurde seine Asche in genau so eine Dose gepackt." Wir schweigen für einen kurzen Moment.

"Aber hinter der Idee zum Pringles-Chip steckt eigentlich ein Projekt des Quartermaster Corps, der Logistikeinheit des US-Militärs, und des US-Landwirtschaftsministeriums, um getrocknete Kartoffelflocken entwickeln zu können. Daraus entstanden dann in etwas anderer Form diese Chips."

Nicht nur Kartoffelflocken, sondern auch eine weitere Zutat für leckere Chips ist militärischen Ursprungs: "Käsepulver wurde ursprünglich erfunden, um Gewicht und Volumen der Nahrung, die teilweise über weite Strecken transportiert werden musste, zu reduzieren." Das US-Militär hat versucht, verschiedenen Lebensmitteln Wasser zu entziehen, aber am Käse scheiterten sie immer, weil dieser einfach nur zu Staub zerfiel. Aber sie haben den Käsestaub trotzdem verpackt und verschifft, damit man daraus Saucen und Suppen machen konnte. "Nach dem Ende des Krieges stand also die Käsepulverindustrie erstmal ohne Kunden da, also wandten sie sich an Lebensmittelhersteller", erklärt Anastacia. "In den Staaten hat Frito-Lay als erster Fertiglebensmittelhersteller 1948 Käsepulver eingesetzt: Cheetos." Auf dem deutschen Chips-Markt hält Käsepulver mittlerweile auch Einzug.

Nächster Stopp ist die Fleischabteilung. Aber Fleisch ist doch einfach nur Fleisch? Wie kann das Militär denn hier mitmischen?

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"Das hier alles ist irgendwie eine militärische Erfindung, allerdings eine sehr alte", erklärt Anastacia. "Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Fleisch nicht ohne Knochen und nicht gekühlt verkauft. Die Tiere landeten im Ganzen beim Fleischer, der das dann für den Kunden zuschnitt. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg mussten dann so viele amerikanische Soldaten versorgt werden, dass das Militär entschied, das Fleisch sofort zu schneiden und in Behältern einzufrieren."

Der Prozess hatte anfangs seine Macken: "Beim ersten Mal hat es nicht geklappt, weil sie alles zusammen eingefroren haben und das auch noch langsam, wodurch das Fleisch braun und unansehnlich wird. Als sie es dann verschifft haben, mussten die Armeeköche das Fleisch rabiat mit Äxten zerhacken. Diese Schwachstellen hatten sie dann im Zweiten Weltkrieg ausgebügelt."

Die Armeeköche waren einfacher zu überzeugen als die durchschnittliche Hausfrau, aber irgendwann hat sich die neue Technik auch bei den Verbrauchern durchgesetzt. "Durch Umstellung in der Lebensmittelindustrie gab es auch erstmalig ein größeres Profitdenken und verschiedene Modelle. Entweder ist die Fleischindustrie in den großen Städten angesiedelt oder in der Nähe von Bahnstrecken oder es sind Massentierhaltungsbetriebe mit Autobahnanbindung", meint sie. "Heute werden 90 Prozent des Fleisches in den USA in solchen Kartons verkauft. Das ist das Erbe des Krieges."

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Fleischkonserven ermöglichten es, mehr Soldaten zu versorgen

Weiter geht's zum Dosenfleisch, Wiener Würstchen im Glas und anderen Fleischkonserven. Das war die tägliche Ration der Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Dosenravioli gehören in jede anständige Militärküche.

Die Methode, Essen in Behältern zu konservieren, wurde ursprünglich von einem französischen Konditor, Nicolas Appert, erfunden, um die Truppen Napoleons zu versorgen, und dann vom Briten Peter Durand auf Blechdosen übetragen. Das war mehr als zehn Jahre bevor Louis Pasteur, der Erfinder des Pasteurisierens, überhaupt geboren wurde. Viele Armeen weltweit nutzten die Konservendosen, aber sie waren auch nicht ohne Nachteile.

Verpackungen aus Aluminumverbundfolie werden auch bei der Babynahrung eingesetzt

"In den 60ern wurden Verpackungen aus Aluminiumverbundfolie entwickelt, die die Dosen ersetzten", so Anastacia Marx de Salcedo. "Die Dosen hatten ihre Tücken, teilweise verletzten sich Soldaten daran. Sie waren unhandlich, teuer und schwer. Im Laufe der 60er-Jahre hat das Natick Center also einen beschichteten Beutel entwickelt, in dem man das Essen direkt kochen kann." Die Erfindung hört sich erstmal einfach an, aber dazu brauchte es auch neue Fabriken und Maschinen. "Am Ende wurde in diesen Beuteln dann der Hauptgang der Soldatenration abgefüllt und auch Brot. Auf dem asiatischen Markt hat sich diese Erfindung richtig durchgesetzt." In deutschen Supermarktregalen finden sich diese Beutel meist bei der Tiernahrung, aber auch bei Fertigsuppen, Kuchenglasur und Fruchtpürees treffen wir immer öfter auf Aluminiumverbundfolie.

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Aber was ist eigentlich mit dem Müll, hat man daran bei der Entwicklung gedacht? "Ja natürlich", meint Marx de Salcedo, "Die Militärrationen sind wie ein Happy Meal. Die Ingenieure haben versucht, eine Möglichkeit zu entwickeln, mit der sie den ganzen Abfall der Einmannpackungen in Energie umwandeln können. Allerdings kann man die Aluminiumbeutel wegen der Folie nicht dafür nehmen."

Dank Hürdentechnologie bleiben diese Tortillas schön frisch

Bei den abgepackten Tortillas im nächsten Regal wird Anastacia richtig euphorisch: "Das ist eine meiner Lieblingstechnologien, um Lebensmittel haltbar zu machen: die Hürdentechnologie." Bei der Hürdentechnologie werden mehrere Konservierungsmethoden gleichzeitig angewandt. Mit mehreren Hürden, sogenannten Hemmfaktoren, versucht man Mikroorganismen zu stoppen,indem man zum Beispiel die Wasseraktivität reduziert, den pH-Wert erhöht und andere künstliche oder natürliche Konservierungsstoffe einsetzt.

"Bei solchen Tortillas werden drei Hürden eingebaut. Zuerst wird die Wasseraktivität reduziert", erklärt Marx de Salcedo. "Wasseraktivität hat nichts mit der Wassermenge in den Lebensmitteln zu tun. Früher dachte man, dass Lebensmittel verderben, weil sie einfach Feuchtigkeit enthalten. In den 50ern hat der Bakteriologe William James Scott herausgefunden, dass es sogenanntes aktives oder verfügbares Wasser gibt, das nicht durch das Essen gebunden ist. Wenn man also die Menge des freien Wassers reduzieren kann, würde das Essen immer noch schön saftig bleiben, aber Mikroorganismen könnten sich nicht vermehren." Marx de Salcedo vermutet, dass die zwei anderen Hürden entweder antimykotisch oder antibakteriell wirkende Substanzen und die Plastikverpackung sind. "Gibt's hier überhaupt ein Mindesthaltbarkeitsdatum?"

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Bei den Energie- und Müsliriegeln erzählt mir Anastasia: "Die Geschichte des Energieriegels geht zurück bis zur Jahrhundertwende. Damals gab es in den Militärrationen erstmals Schokolade, die als Notration dienen sollte. Aber da Menschen nunmal Schokolade lieben, können sie sich nicht etwas für den Notfall aufheben." Deshalb mussten Zutaten her, die die Schokolade weniger appetitlich machten. Dabei hat sich das US-Militär jedoch selbst übertroffen: Den Soldaten wurde von der Schokolade schlecht und sie verloren Gewicht. Bis kurz vorm Zweiten Weltkrieg lag das Projekt auf Eis. Dann haben sie sich mit Hershey's zusammengetan und den Ration D-Riegel entwickelt. Der Riegel sollte "kaum besser schmecken als eine gekochte Kartoffel".

Amerikanische Militärschokolade war der Ursprung unserer heutigen Energieriegel

Neben der Schokolade gab es natürlich auch gefriergetrocknetes Essen. "Das Militär wollte die gesamte Militärnahrung auf gefriergetrocknete Riegel umstellen: Frühstücksflocken, Suppen, ganze Mahlzeiten", erklärt Marx de Salcedo. Aber die Leute haben schnell gemerkt, dass gefriergetrocknetes Essen so gar keinen Spaß macht. Das Natick Center brauchte also einen Plan B. Damals in den 60ern hat General Foods Hundefutter entwickelt, das ohne Kühlung auskam, einfach verpackt war und nicht zu hart und nicht zu weich war. Dann haben sie mit General Foods und dem MIT zusammenarbeitet, um die Feinheiten noch auszubessern und so das Konzept der Wasseraktivität auf das Essen zu übertragen. Während der Apollo 15 Mission 1971 haben die Astronauten die Früchte dieser Forschung essen können: die Vorgänger der Energie- und Müsliriegel, wie wir sie heute kennen.

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Aluminiumfolie wurde in Kriegszeiten vielseitig eingesetzt, danach kam sie auch in die Haushalte

Wie ich in unserem weiteren Gespräch erfahre, hat das US-Militär bei noch viel mehr Dingen irgendwie seine Finger im Spiel gehabt: bestrahlte Lebensmittel, unglaublich weiche Cookies, sogar Frischhalte- und Aluminiumfolie. Irgendwie steckt überall ein bisschen Militär drin.

Trotz all der "Einmischung" könnte man jetzt aber auch sagen, dass das Militär ja damit auch zu wirklich bedeutenden Erfindungen in der Lebensmitteltechnologie beigetragen hat – und sie versuchen sich sogar am Recycling. Was kann also an ein bisschen militärischem Einfluss schon verkehrt sein?


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"Das Gesetz verlangt es, dass eine Militärration drei Jahre bei 26° C haltbar bleibt", erklärt Marx de Salcedo. Klar, das Essen für die Truppen muss lange haltbar und günstig sein und einen breiten Geschmack treffen. "Genauso wird das Militäressen gestaltet und damit am Ende auch das Essen für die Verbraucher. Das Problem daran? Das Militär darf seine entwickelten oder geförderten Technologien auch in Produkte für den Verbrauchermarkt einbringen, um so vorbereitet zu sein. Kein Scherz, auch wenn das wie eine Verschwörungstheorie klingt. So kann sich das Militär dann an die Lebensmittelproduzenten wenden, die dann Militärrationen produzieren."

Natürlich ist es für die Industrie auch finanziell sinnvoll, wenn sie billigere, länger haltbare Produkte herstellen. "Mittlerweile werden dazu chemische Zusatzstoffe und verschiedene Konservierungsstoffe eingesetzt – Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdickungsmittel. Dadurch wird das Essen gesundheitsschädlicher", mahnt sie.

"Diese Militärrationen sollen über eine kurze Zeit hinweg in stressigen Extremsituationen gegessen werden. Langfristig hat das aber Auswirkungen auf die Gesundheit, das Gesundheitssystem und die Umwelt. Es ist eben Essen für den Notfall", meint Marx de Salcedo. "Wenn das Militär seine Militärtechnologien für den gemeinen Verbraucher nutzen darf, müsste dass auch bedeuten, dass wir als Verbraucher ein Mitspracherecht bei diesen Technologien haben müssten. Aber das ist nicht so."