Kochen mit Muxes, Mexikos drittem Geschlecht
Alle Fotos vom Autor

FYI.

This story is over 5 years old.

Gender

Kochen mit Muxes, Mexikos drittem Geschlecht

Muxes sehen sich weder als Mann noch als Frau, sondern als drittes Geschlecht: „Es muss aufhören, dass wir wie eine Touristenattraktion behandelt werden.“

Im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, ein paar Kilometer von der pazifischen Küste entfernt, liegt die kleine Stadt Juchitán de Zaragoza. Hier lebten einst die Zapoteken, deren Sprache und Kultur in der Region hier immer noch lebendig ist. Was in Juchitán besonders heraussticht, sind die muxes. Muxes heißt auf Zapotekisch „Frauen".

Doch sie sind keine Frauen. Sehr vereinfacht gesagt sind es Menschen, die als Männer geboren wurden und sich wie Frauen kleiden. Doch sie sehen sich nicht als Cross-Dresser oder als Transgender. Sie werden eher als „das dritte Geschlecht" angesehen, sie sehen sich weder als Mann noch als Frau.

Anzeige
muxes_victoria_DSC_0024

Weil sie gesellschaftlich anerkannt sind, werden sie oft nicht in dem Maße diskriminiert, wie es schwulen Männern und Transfrauen hier passiert. Viele muxes arbeiten in traditionellen Frauenberufen, andere machen auch typische Männerarbeiten.

Bei den Las Velas von Oaxaca — Partys, bei denen alle tanzen, essen und trinken — haben die muxes ihren Platz gefunden: Hier ziehen sie die traditionellen Tehuana-Trachten an und veranstalten seit den 1970ern auch ihre eigene vela, genannt „Die unerschrockenen Sucherinnen der Gefahr". Ein Zeichen, dass die Gesellschaft und die Regierung an die sexuelle Vielfalt in Oaxaca glauben.

Um mehr über die Kultur der muxes zu lernen, bin ich nach Juchitán gereist und habe mich dort mit verschiedenen muxes getroffen, die mir ihre Geschichte erzählt haben, während sie mir ein traditionelles Gericht aus der Region kochten.

LA TOYA

Victoria López Ramírez, besser bekannt als La Toya, ist 32 Jahre alt. Zusammen mit ihren Schwestern lebt sie bei ihrer Mutter María. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich damit, Frauen und anderen muxes Make-up und Haare zu machen. „Ich verkaufe Kleidung, unterrichte Zumba und mache Blumenarrangements für Geburtstage und Hochzeiten", erzählt sie mir lächelnd. Seit sie jung war, wusste sie, dass sie sich zu Männern hingezogen fühlt. „Mit 12 wollte ich eine muxe sein. Ich habe es selbst nicht verstanden. Meine Familie hat es zuerst nicht gut aufgenommen, aber dann mussten sie es einfach akzeptieren."

Anzeige

Zurückhaltend spricht La Toya über Juchitán. „Selbst wenn sie uns in dieser Stadt frei leben lassen, sollte man nicht denken, dass es das Paradies ist … Es gibt Homosexuelle, die muxes sind, die hier nach Juchitán flüchten, weil wir hier irgendwie akzeptiert werden. Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns. Es muss aufhören, dass wir wie eine Touristenattraktion behandelt werden."

muxes_victoria_DSCF6472

La Toya kocht mir ein Gericht, das es normalerweise zum Frühstück gibt: Hirschgulasch mit grünen Chilis Knoblauch und Tomaten. Weil Hirschfleisch ziemlich zäh ist, kocht sie es mindestens drei Stunden zusammen mit Knoblauch und Öl in Wasser. Dann gibt sie Tomaten, achiote, eine rote Würzpaste aus Annattosamen, und noch etwas Chili hinzu.

muxes_victoria_DSCF6491

Ich frage sie, ob es stimmt, dass einige Familien ihre Kinder sogar drängen, muxe zu werden. „Davon weiß ich nichts", meint sie. „Sicher ist, dass dir niemand beibringen kann, schwul zu sein. Du kannst dir nicht etwas aneignen, das ganz natürlich ist. Es gibt Familien, die wollen, dass ihre Kinder Machos sind, aber du kannst nichts gegen den natürlichen Instinkt eines Menschen machen. Deshalb kommen viele nach Juchitán — um so zu sein, wie sie wirklich sind."

muxes_victoria_DSCF6479

GALA

muxes_gala_DSCF6542

Gala ist mittlerweile 22 Jahre alt, sie hat aber schon mit vier angefangen, Frauenkleider zu tragen. „Dadurch [dass ich nach Juchitán gekommen bin] konnte ich mich outen, vorher habe ich mich nicht getraut", erzählt sie mir. „Ich war schon immer homosexuell und glaubte, dass meine Familie mich ablehnen würde. Als ich mich entschieden habe, muxe zu sein, war es einfacher und nicht so traumatisch. Es war eine große Erleichterung und jetzt bewundert mich jeder. Als muxe homosexuell zu sein, wird von der Gesellschaft eher akzeptiert."

Anzeige

Gala arbeitet mit ihrer Tante in einer belebten botanero, einer Art Bar. Hier serviert sie kleine Gerichte, Bier, Tequila und Mezcal.

muxes_gala_DSCF6632

Sie macht mir einen Garnelen-Salat, den sie sonst in der Bar verkauft. Dafür kocht sie die Garnelen mit Zwiebeln, Zitrone und Tomaten und gibt zum Schluss etwas Koriander darüber. Gegessen wird der Salat mit gebackenen Tortillas, genannt totopos.

muxes_gala_DSCF6628

Ihr zweites Gericht ist eine botana, eine Vorspeise. Dazu macht sie aus gelbem Maismehl, Tomaten, Epazote — einem mexikanischen Gewürz — , Zwiebeln und Rindfleisch eine kräftige Fleischbrühe, typisch für Juchitán.

muxes_gala_DSCF6670

„Wir sind keine Männer oder Frauen", meint Gala resolut. „Wir sind ein drittes Geschlecht. Männer sind Männer, Frauen sind Frauen und muxes sind muxes. So einfach."

muxes_gala_DSCF6663

FELINA

muxes_felina_DSCF6687

Felina Santiago ist 48 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrer Nichte und ihrem Vater. Mit ihrem Gehalt als Friseurin unterstützt sie ihn ein wenig. Sie bittet mich, sie nicht bei ihrem Geburtsnamen zu nennen, fügt aber hinzu: „Zu unserer Identität als muxes gehört es zwar, unsere echten Namen zu behalten und unsere Identität zu schützen. Gleichzeitig geht es auch darum, eins mit den Traditionen hier in Juchitán zu werden. Der Unterschied liegt darin, wie wir leben und nicht wo. Hier bin ich Felina Santiago."

Muxes kleiden sich nicht unbedingt als Frauen. Doch die meisten von ihnen nehmen ihre Rolle als muxes in der Gesellschaft wahr. „Es ist eine Art zu sein", meint Felina. „Die meisten sind Männer oder Frauen, wir nehmen das Beste aus beiden Welten mit. Klar sind wir homosexuell, doch wir verhalten uns anders. Wir schlafen mit heterosexuellen Männern — die, wie ich immer sage, heimlich schwul sind — und würden niemals eine muxe als Partner haben. Nie."

Anzeige

Ich frage Felina, ob es stimmt, dass vor nicht allzu langer Zeit viele Männer in Juchitán sogar Geld zahlten, um ihre Jungfräulichkeit an eine muxe zu verlieren. Sie rollt mit den Augen und erklärt mir: „Muxes waren immer offen für sexuelle Erfahrungen, aber nie für Geld … Viele Männer in dieser Stadt hatten ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit einer muxe, noch bevor sie es mit ihrer offiziellen Freundin getan haben. Aber das würde keiner zugeben."

muxes_felina_DSCF6706
muxes_felina_DSCF6710

Felina macht mir einen gebackenen Fisch, ein sehr einfaches Gericht. Sie erzählt mir, dass man eigentlich jeden Fisch aus der Region dafür nimmt, sie hat sich für einen Barsch entschieden. Den füllt sie mit gewürfelten Zwiebeln, Tomaten und Koriander und bindet ihn mit einem Faden zusammen. Dann kommt er 45 Minuten lang in einen traditionellen Ofen, den comiscal, einer Art Kessel im Boden.

muxes_felina_DSCF6729

In einem der Zimmer in Felinas Haus steht ein Altar mit einem Bild Unserer Lieben Frau von Guadalupe und einem Meer aus Kerzen und Blumen. Und hier steht ein Foto ihrer Mutter, die vor einigen Jahren verstorben ist. „Meine Mutter war der wichtigste Mensch in meinem Leben, sie hat mich in allem unterstützt", erzählt sie. „Väter wollen dich immer,heilen', doch Mütter haben immer Verständnis. Am Ende akzeptiert jeder unser Geschlecht. Sie haben keine andere Wahl."

muxes_felina_DSC_0047

MÍSTICA

muxes_mistica_DSCF6921

Mística Sánchez Gómez ist 37 Jahre alt. Sie verdient ihr Geld damit, jeden Tag bunte Gelees in der ganzen Stadt zu verkaufen. Ich treffe sie an einem Sonntag auf dem Friedhof, wo sie gerade ihre Gelees feilbietet — die in nur wenigen Minuten ausverkauft sind. „Das mache ich jeden Tag", erzählt sie mir. „Ansonsten koche ich für jeden, der mich fragt."

Anzeige
muxes_mistica_DSCF6876
muxes_mistica_DSCF6903

Mística macht mir ein traditionelles Frühstück aus Tomaten und Leguan. Zuerst tötet sie das Tier und lässt es langsam ausbluten. Dann röstet sie es über dem Feuer, sodass die Haut weich wird und sie die Schuppen entfernen kann. Sobald der Leguan sauber ist, kommt er in einen Topf mit Wasser zusammen mit Tomaten, achiote und Chilis. Am besten schmecken die Beine und der Schwanz, das sind die begehrtesten Stücke. Auch die Eier des Leguans kocht Mística für 30 Minuten.

muxes_mistica_DSCF6926

„Seit ich mich erinnern kann, mache ich typische Frauenarbeiten",sagt sie. „Ich mache die Wäsche, verkaufe meine Marmeladen und Käse. Ich respektiere mein biologisches Geschlecht und denke nicht mal an eine Geschlechtsumwandlung. Ich bin muxe und integriert, ich habe einen angesehenen Platz in der Gesellschaft. Darauf bin ich stolz."

muxes_mistica_DSCF7008