Wie man aus 7000 Jahre alter Eiche Messer macht

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Wie man aus 7000 Jahre alter Eiche Messer macht

Umgeben von Kühen, Schweinen und Hühnern macht Fingal Ferguson auf seinem Bauernhof im westirischen Cork in tagelanger Arbeit Messer von unglaublicher Schönheit, die bei jedem Koch das Herz höher schlagen lassen.

Auf einer kleinen Farm im westlichen Teil des irischen Countys Cork, wo sich vor allem Schweine, Kühe und Hühner tummeln, stellt Fingal Ferguson erstklassige Kochmesser in Handarbeit her. Seine kleine Werkstatt im hinteren Teil eines Stalls sieht zwar ziemlich behelfsmäßig und marode aus, aber hier entstehen Messer von unglaublicher Schönheit: ein einzigartiges Muster auf den Klingen und Griffe aus Büffelhorn oder Hirschgeweih. Oder aus Holz: Apfel, Tamarinde, Rosenholz oder Mooreiche. Köche sind in etwa so begeistert von Fingals Messersammlung wie Rambo von einer Waffenausstellung.

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„Fingals Messer sind unglaublich ästhetisch", meint Koch Lee Tiernan aus London. „Er benutzt ungewöhnliche Materialien für die Griffe und jedes seiner Messer ist einzigartig. Dabei achtet er auf jedes Detail. Einfach genial. An der Qualität seiner Messer sieht man, wie gut er auch bei seinen anderen Projekten ist."

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Alle Fotos von Jørn Tomter

Er macht nämlich außerdem Salami, Schinken und Würste in der Räucherkammer des Familienbauernhofes. Die Farm Gubbeen liegt auf dem südwestlichsten Zipfel der irischen Insel. Fingal ist also Farmer, Messerschmied und Koch—eine Art Mann der Renaissance, der uns Städter dumm aussehen lässt.

Als Kind hat Fingal von seinem Onkel eine Messersammlung bekommen und ist anfangs ziemlich achtlos damit umgegangen: Er hat nur mit den Messern gespielt und sie an Bäume geworfen. „Was kleine dumme Jungs eben so tun", meint Fingal. Später hat ihn die handwerkliche Raffinesse der Messer fasziniert, also hat er gelernt, wie er die Messer selbst repariert und wie er sie herstellt. Er hat mehr als 300 Messer gemacht, alle mit individuellen Designs, was schon mal mehrere Tage in Anspruch nehmen kann. Seine Warteliste ist endlos.

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Auf dem Boden der Messerwerkstatt liegt überall Dreck und Stroh herum. Hier stehen seine Schleiftische, eine Poliermaschine und ein Ofen für die Wärmebehandlung des Messerstahls.„Die Mikrostruktur ist entscheidend. Wenn man die Klinge aufbricht, muss sie sehr fein sein. Bei falscher Wärmebehandlung sieht man kleine Punkte und Linien. Je feiner die Mikrostruktur, desto besser kann man das Messer schärfen."

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Fingal trägt eine braune Samtschürze und eine Atemmaske, die ein bisschen aussieht wieaus Ghostbusters. Gerade macht er ein Messer aus schwedischem AEB-L Edelstahl. Der Griff besteht aus 7.000 Jahre alter irischer Mooreiche, die Fingal von einem befreundeten Messerschmied bekommen hat, Rory Conner, den er auch als seinen Mentor bezeichnet. Auf dem Griff sieht man Fingals Markenzeichen: ein kleiner Vorsprung, hinter den man ein oder zwei Finger klemmen kann, um beim Schneiden die richtige Balance zu finden. „Als würde man einen Stift halten", meint Fingal. „Dadurch gelangen deine Finger nicht zu nah an die Klinge und man bekommt keine Blasen, was mir ziemlich oft passiert. Das Messer ist ergonomisch, aber ich würde das Design nicht weiter verkomplizieren. Es liegt einfach gut in der Hand."

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Handhabung, sicherer Halt, Schärfe und Stahlqualität—darauf muss man bei einem Messer achten. Das Gewicht muss entsprechend der Verwendung angepasst werden, meint Fingal: „Ein japanisches Santoku-Messer muss leicht sein, sodass man flink damit schneiden kann. Ein europäisches Kochmesser muss fest genug sein, um auch Knochen schneiden zu können, aber eben auch leicht genug sein. Das Material für den Griff sollte schön aussehen und gleichzeitig extrem robust und vielseitig sein."

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Um die Klinge zu formen und Unebenheiten, die durch das Erhitzen im Ofen entstanden sein könnten, auszugleichen, nimmt er ein grobes Band für die Schleifmaschine. Seine Schritte laufen in einem sanften, gleichmäßigen Rhythmus ab, denn „einen kleinen Fehler ausbessern zu müssen, kann ewig dauern." Dabei dreht er die Klinge immer am Band hin und her, taucht sie in Wasser, überprüft die Messeroberfläche, legt die Klinge auf seinem Finger ab, um das Gleichgewicht abzustimmen. Es ist, als guckt man einem Koch dabei zu, wie er vorsichtig einen Teller anrichtet: mit einer Pinzette legt er jede einzelne Zutat auf, Tropfen für Tropfen folg die Sauce, dann einzelne Salatblätter. Der Nagel seines linken Zeigefingers ist zwar blau angelaufen, aber noch hat Fingal alle Finger an der Hand. Nur der Fingerabdrucksensor auf seinem Iphone will nicht so recht funktionieren: „Ich habe drei Finger eingespeichert, aber keiner geht, weil sie sich immer verändern."

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Ein Truthahn kommt vorbei und wirft einen Blick in die Werkstatt. Während das Metall rasselnd am Schleifstein bearbeitet wird, grunzen hungrige Schweine und die Vögel zwitschern

Der Bauernhof ist seit sechs Generationen in Familienbesitz. Heute stellt die gesamte Familie preisgekrönten Käse und Wurst her. Fingal ist für das Räuchern verantwortlich, sein Vater bestellt die Felder, seine Mutter macht den berühmten Bauernkäse und seine Schwester ist für den biologisch-dynamischen Gemüseanbau zuständig. Ein kompletter Kreislauf: Aus der Milch der Kühe wird Käse gemacht, aus den Schweinen Salami und Chorizo. Manchmal bekommen die Schweine die Reste der Molke, aus der Fingals Schwester später auch Gin machen will. Oft ist das idyllische Landleben ein romantischer Trugschluss, aber ein Tag auf der Gubbeen-Farm ist wirklich wie ein Jungbrunnen für die Seele.

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Fingal lebt zusammen mit seiner Frau und seinen vier Söhnen in einem Haus am oberen Ende der Wiesen, wo die Kühe morgens grasen, und von wo aus man einen Panoramaausblick über die weiten Felder, die felsige Küste und die Atlantikinseln Coney Island, Long Island und Baltimore hat. Diese Namen haben irische Einwanderer in Erinnerung an ihre Heimat mit nach Amerika gebracht. Um das Abendbrot zu machen, gräbt Fingal ein Loch in den Boden, macht darin ein Feuer und spießt ein Lamm, das er mit Butter eingerieben und mit Rosmarinzweigen gespickt hat, auf ein Asado-Kreuz. Das Lamm kommt von Tomi Ungerers Bauernhof, ein bekannter Kinderbuchillustrator undErotikmaler. Die Leute aus West-Cork scheinen von Natur aus mehrfach begabt zu sein.

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Zurück in der Werkstatt fixiert Fingal den Griffe aus Mooreiche mit Zwei-Komponenten-Epoxidharz und sogenannten Loveless-Schrauben, bevor er ihn weiter abschleift, um einen sanften Übergang zur Klinge zu erzeugen. Auch wenn die grobe Form des Messers vorher mit einem Marker auf einem Stahlblech vorgezeichnet wird, ist Fingal beim Finish etwas freier. Was geht in seinem Kopf vor, wenn er stundlang hochkonzentriert dieser anstrengenden Arbeit nachgeht? „Entweder ist das total entspannend oder es verschlimmert den eigenen Gemütszustand noch mehr. Im Kopf geht man immer die nächsten Schritte durch. Man kann immer noch mehr abschleifen, aber nicht wieder einfach etwas ,dranpacken'. Du musst immer darauf achten, dass die Klinge nicht zu schmal wird. Langsam sieht das Messer so aus, wie du es dir die ganze Zeit vorgestellt hast."

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Nach dem Polieren hält er das Messer hoch gegen das Licht. „Sieht gut aus", meint er. „Jetzt noch das Finish…" Er klebt einen Sticker mit einem Ausschnitt seines Logos—ein F—auf die Klinge und greift nach einem Kfz-Batterieladegerät. Daneben sitzt eine Henne mit getupftem Gefieder, die sich den ganzen Tag keinen Zentimeter bewegt hat, obwohl um sie herum die ganze Zeit die Funken stoben. Sie war wohl zu sehr damit beschäftigt, auf der Werkbank Eier zu legen.

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Fingal klemmt das positive Kabel an die Stahlklinge und das negative an ein Wattestäbchen, das vorher in Ätzflüssigkeit getaucht wurde, die er nun auf das Logo auftupft. Während der Strom fließt, werden durch Elektrolyse Metallpartikel abgetragen, sodass der Buchstabe in die Klinge geätzt wird. Dann ist es fertig, nach 7000 Jahren.