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Promi bäcker

Wir haben den besten und wildesten Bäcker Deutschlands getroffen

Jochen Gaues bäckt seit Jahrzehnten Brot für die Spitzengastronomie. Seinen Weinkeller finanzierte er mit Schwarzgeld, und als man ihn einmal aus seiner eigenen Firma schmiss, schlich er sich zurück, um seinen Sauerteig zu holen.

Was er werden wollte, war für Jochen Gaues, Jahrgang 1966, früh klar. Mit acht Jahren malte er Bäckereien mit Schablonen im Kunstunterricht, während seine Mitschüler ihre Meerschweinchen malten. Seine Eltern waren Akademiker, sie schickten ihn zum Psychologen. Ein Handwerk beherrschen zu wollen, das konnte doch nichts sein! „Entspannen Sie sich", sagte die Psychologin, „ihrem Sohn fehlt nichts."

Er will einfach nur Bäcker werden. Er verlässt die Hauptschule nach der neunten Klasse, um in die Lehre zu gehen.

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Sein Onkel hatte ihn infiziert, er war damals Bäckermeister in Wolfsburg, wo Jochen Gaues später seine Ausbildung machen würde. Er ist begabt und dickköpfig. Vieles von dem, was er in seiner Zunft zu sehen bekommt, macht ihn wütend. Ja, es macht ihn wütend. Das ist keine Untertreibung. Er ist ein leidenschaftlicher Mensch, er schreit und flucht „Scheiße" oder wahlweise „verdammte Scheiße". Geräusche seines reißenden Geduldsfadens. „Scheiße" findet er auch industrielle Hilfsmittel. Sie verwässern den Geschmack, sie machen das Brot berechenbar, langweilig. Sie sorgen für gleiche Qualität, die in Gaues Augen schlechte Qualität ist. Gleich zu Beginn seiner Karriere verzichtet er auf Produkte der Industrie. Sauerteig, Mehl und Hefe sind das Brustbein seiner Bäckerarbeit. Er lässt den Teig länger gehen, als es andere Backstuben machen. Die Hefe in seinem Ciabatta bekommt Zeit. Zeit ist eigentlich seine wichtigste Zutat. Er lässt dort Zeit, wo Zeit zu lassen Sinn macht und überall anders brennt er Kerosin ab.

1989 macht er sich selbständig, der Laden wächst schnell. Damit die Kunden nicht so lange warten müssen, macht er den zweiten Laden auf. Mitte der 90er gilt er als der beste Bäcker Deutschlands (und damit der Welt) und kauft sich einen Ferrari.

Den Weg in die Spitzenküche verdankt er auch seiner Trinkfestigkeit und Lebenslust. Als es richtig zu laufen beginnt, baut er sich einen Weinkeller und füllt ihn mit den Grand Crus aus Bordeaux: 400 Kisten, 4000 Flaschen feinster Weine.

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Er lagert die Weine nicht, eine vernünftige Geldanlage hat er nicht im Auge–aber eine Hausbar. Denn er weiß, wie man Rotwein ordentlich verkostet: Man trinkt ihn, verdammt noch mal.

Das Problem: Er kauft ihn mit Schwarzgeld. „Die Steuerfandung war nicht umsonst da", sagt er und lacht. Vorbei, vergessen. Nichts mehr als eine Anekdote. Nur dass sie seinen Ferrari unter Wert verschleudert haben, ärgert ihn.

Mit dem Weinkeller fährt er ganz nach oben. Er nimmt an einer Weinverkostung teil, bei der auch Deutschlands Spitzenköche dabei sind. Er ist der Beste, auch bei der Verkostung.

Spitzenkoch Christian Lohse war es, mit dem er sein bestes Brot, das Kohlspeckbrot, entwickelt hat. Unter das Brot kommt ein Blatt Wirsing, darauf Speck und etwas Knoblauch. Wahnsinnig gut.

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Dennoch kommen seine Brote immer wieder mal zurück aus den Sterneküchen, weil sie zu schwarz sind. Nein, nein, nein. So sei das nicht: „Salz ist der größte Geschmacksträger. Dann kommt lange nichts, dann Röstbitterstoffe". Was andere verbrannt nennen, nennt er geschmackvoll.

Er wird Promi und bäckt für Leonardo di Caprio, die deutsche Nationalmannschaft und die Bundespräsidenten Herzog, von Weizsäcker und Wulf. Jack Nicholson schmuggelt sein Brot im Privatflieger in die USA.

Zeitweise nennt man ihn Champagner-Jochen, heute plagt ihn jedoch Sodbrennen. In einer dieser sehr flüssigen Runden unter den Reichen, Schönen und Brotliebhabern des Landes, sagt seine zweite Frau Betty einmal: „Ey, du mit dem einen Ohr. Jetzt gib du auch mal einen aus!". Gemeint war der für seinen Geiz bekannte Niki Lauda.

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Er fühlt sich oft kopiert. Für ihn ist das ein Ärgernis, vor allem ein finanzielles. „Ich hab's erfunden, ich hab's gemacht, ich werde gefickt", sagt er mit spöttischer Gelassenheit. Einmal hat ihm ein ehemaliger Mitarbeiter das Rezeptbuch geklaut, Gaues hat ihn erwischt und gefeuert. Nicht des Diebstahls wegen. Sondern weil der Mann zu „dämlich" war, sich „fünf Rezepte zu merken". Mittlerweile hat er das Buch wieder abgeschafft, er hält sich sowieso nicht daran. Das Rezept sei er, sagt Gaues.

„Perfektion", sagt Gaues, „ist es, viele kleine Dinge richtig zu machen". Als wir ihn besuchen, sprüht er seine Formen mit Olivenöl ein, mit einem elektronischen Zerstäuber. Wenn er Oliven in seinen Broten verarbeitet, benutzt er die Lake, um zu würzen. Seine Mitarbeiter schütten sie weg. Die Köche in den Michelin-Restaurants merken es, wenn er nicht da ist.

Jochen Gaues Hände behandeln das Brot mit einer Selbstverständlichkeit, die man nur bekommt, wenn man gewisse Dinge mehrere Millionen Mal gemacht hat. Er ist ein Malocher, ein harter Arbeiter. Er steckt alles hinein, was er hat.

Wenn man Gaues nach einer Waage fragt, dann haut er sich auf den Brustkorb. Sein Sauerteig, die Grundlage für die meisten Waren, ist noch von 1989. Als seine Frau ihn verließ, nahm er den Teig mit nach Hause und setzte ihn immer wieder neu an. Als man ihn einmal aus seiner eigenen Firma schmiss, schlich er sich heimlich zurück und fror sich Teile des Sauerteigs ein.

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Einmal sagte jemand zu ihm: „Du bist kein Bäcker. Du bist Künstler". Das gefällt ihm. Manchmal ist er aber auch wie ein Kind. Ein Kind, das sich zehn Mal im Kreis dreht um dann einen Hügel hinab zu rennen.

Demnächst kauft er sich wieder einen Ferrari. Recht hat er..