In Prag kann man auch stilvoll Absinth trinken
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Absinth

In Prag kann man auch stilvoll Absinth trinken

Abseits der Touristen-Locations mit schlechtem, künstlich eingefärbtem Absinth und fragwürdigen Feuerritualen wächst in Prag eine neue Barkeeper-Generation heran, die wirklich Ahnung von Absinth hat.

Es ist gerade Mittag, als Aleš Půta seinen ersten Drink für heute macht: ein Glas St. Antoine, eine der angesehensten Absinthsorten in Tschechien. Wir sitzen im oberen Bereich der Hemingway Bar, die Půta 2009 eröffnet hat und die sich mittlerweile zum inoffiziellen Absinth-Mekka Prags entwickelt hat. Man könnte sagen, ein richtiger Männerort, selbst wenn die Mittagssonne durch die Fenster scheint: dunkles, glänzendes Holz, man sitzt auf Ledersofas. „Um 13 Uhr brauche ich noch keinen Drink", meine ich zu ihm. Er schließt den Hahn des mit Eiswasser gefüllten Absinthbrunnens, die Flüssigkeit im Glas wird neblig, der sogenannte Louche-Effekt. Půta versichert mir: „Den kann man täglich trinken."

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Er nimmt Absinth extrem ernst. Auf der Karte des Hemingway gibt es gut ein Dutzend tschechische Absinthe, noch mal doppelt so viele gibt es aus Frankreich und der Schweiz, außerdem einen eigenen Absinth-Cocktail. Doch nur einen Steinwurf entfernt machen Touristenläden mit künstlich eingefärbten und aromatisierten Spirituosen ihr Geschäft, die sie auch als Absinth verkaufen.Manchmal geben die Hersteller auch Pfefferminz- oder Cannabisaroma hinzu. Aleš erzählt mir, dass auch ab und zu ein Tourist bei ihm vorbeischaut auf der Suche nach einem smaragdgrünen Absinth. Das nutzen Aleš und sein Team natürlich zum Missionieren: „Wir versuchen, sie ein wenig zu bilden", meint er sanftmütig. Bei den gefärbten Sorten lässt er allerdings nicht so viel Milde walten.

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Aleš Půta im Hemingway Bar. Foto von der Autorin

In den letzten zehn Jahren sind gehobene Cocktailbars wie das Hemingway wie Pilze aus dem Boden geschossen, in der Bierstadt Prag hat sich eine Cocktailkultur entwickelt. Einige tschechische Spirituosenhersteller füllen Absinth in kleinen Mengen ab, darunter auch die Žufánek-Destille und die Firma Hill's, die Absinth angeblich in den 1990ern wieder auf den tschechischen Markt gebracht hat. Und im Hemingway werden all diese Sorten einem immer weiter wachsenden Publikum für Spirituosen zugänglich gemacht. Aber seit 2010 sorgen auch neuere Läden für ein gesteigertes Interesse, darunter die Black Angel's Bar, Public Interest und die kleine Schwester des Hemingway, die Cash Only Bar.

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Dank der Generation von Aleš Půta füllt sich die tschechische Hauptstadt mit exquisiten Cocktails und Spirituosen. „In einer typisch amerikanischen Familie trinkt Großvater vielleicht einen guten Bourbon oder Old Fashioneds und Manhattans. Der Vater dann vielleicht, weil er viel in die Karibik reist, Mai Tais und Daiquiris", überlegt er. „Mein Vater hat nur Bier und Becherovka getrunken, mein Opa genauso." Damit begibt er sich mit seinen Mitstreitern auf neues Terrain. Interessanterweise sind viele Barkeeper in bekannten Cocktailbars rund um den Globus aus der ehemaligen Tschechoslowakei, manche nennen sie auch „tschechoslowakische Mafia". Da sind Erik Lorincz aus der American Bar, Alex Kratena aus dem Artesian, Marian Beke aus dem Gibson und Zdenek Kastanek aus dem 28 Hong Kong Street: „Das sind alles Tschechen oder Slowaken. Das hilft auch uns."

ARTIKEL: Absinth macht weder verrückt, noch wird er angezündet

Doch in einer Stadt, in denen wilde Männermeuten ihren Junggesellenabschied feiern—und wo das Pils immer noch weniger kostet als eine Flasche Wasser—, zieht die Aussicht auf einen billigen Absinth, der eigentlich aussieht wie Listerine, immer noch. Dazu kommt, dass viele auf die kleine Feuershow abfahren. „Das ist ziemlich dumm. Es ist gefährlich und bringt überhaupt nichts. Aber so was zieht", meint Aleš dazu.

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Die Absintherie bietet auch das beliebte—wenn auch umstrittene—Feuerritual an

In der Absintherie, einer Bar Schrägstrich Absinthmuseum mit zwei Läden in Prag, schaue ich mir die Pyro-Show einmal an. Das Hemingway ist das Absinthparadies, die Absintherie eher der Absinth-Vergnügungspark. Jiří Kořínek leitet die Absintherie und erzählt mir, dass sie 100 verschiedene Absinthsorten haben, auch viele aus dem Hemingway. Sein Team versteht sein Handwerk, das sieht auch Aleš so: „Sie haben einfach Ahnung von dem, was sie machen."

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Der Verkaufsschlager der Absintherie sind jedoch die mazerierten Absinthsorten mit allem dazugehörigen Schnickschnack und natürlich vielen Flammen. „Wenn man jemandem erzählt, dass man Absinth verkauft, bekommt man meist als Antwort: ,Oh, Absinth. Das hab ich einmal getrunken und es war schrecklich!'", meint Jiří Kořínek. „Ich meine dann immer nur, dass das kein Absinth, sondern nur Mist war." Er gibt allerdings auch zu, dass eben dieser „Mist" ziemlich beliebt ist, weshalb er auch in der Absintherie groß beworben wird. Sie spielen mit dem Bild der tschechischen Hauptstadt, das Touristen haben; sie bedienen ein Publikum, das von Prag gerade mal so viel weiß, wie auf drei Seiten Reiseführer stehen. „Sie müssen die Karlsbrücke sehen, die Prager Burg und Sie müssen Absinth probieren", meint Jiří. „Für mich ist das nur leere Werbung."

Jiří Kořínek ist von Absinth besessen—egal ob es um den neonfarbenen „Absinth" oder gereifte Absinthe in limitierten Auflagen geht (einige hat er zusammen mit Žufánek speziell für die Absintherie entwickeln lassen). Sein neuestes Projekt ist das Restaurant Chili Point: „Wir machen alles mit Chilis: Marmelade, Schokolade, Saucen und auch Alkohol mit Chili." Kurz bevor ich gehe, erzählt er mir noch begeistert, wie sich der Mensch an immer mehr Schärfe gewöhnen kann und dass extrem scharfes Essen auch tödlich sein kann. Superlative scheinen ihn magisch anzuziehen.

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Jiří Kořínek in seiner Absintherie

Analog zum Chili Point gibt es auch in der Absintherie ähnliches zu kaufen: Absinth-Schokolade, Absinth-Bier und Absinth-Eis, geplant ist auch noch ein Absinth-Lutscher. Absinth-Marmelade (mit Grapefruit oder Pflaumen) verkauft sich gut als Souvenir. Die meisten Gäste bestellen sich mazerierten Absinth als Shots. Jiří Kořínek bewundert die neue, aufstrebende Cocktailszene in Prag und hat auch selbst eigene Drinks kreiert. Es gibt eigene Versionen der Klassiker, zum Beispiel einen „Absinthe Mule" oder einen „Absinthe Alexander", und ein paar eigene Drinks, zum Beispiel mit Heidelbeeren und Salbei oder Rhabarber und Wasabi.

Am Nachmittag mache ich mich auf in die zweite Location der Absintherie, ein paar Studenten sitzen gerade an der Bar und schauen der hübschen Barkeeperin dabei zu, wie sie gerade ein paar Cocktails mixt. Ich esse ein Absinth-Pistazien-Eis, es ist immerhin Juli und ziemlich heiß (im Hintergrund läuft „White Christmas"…). Jiří Kořínek erzählt mir, dass die Gäste ab und zu eines der Bilder berühmter Absinthtrinker von der Wand stibitzen. Er zuckt mit den Schultern: „Na ja, das ist OK." Das Licht ist schummrig, alles ist sauber und einladend. Auch wenn natürlich die üblichen „Saufgruppen" vorbeischauen, ist der Laden ziemlich stilvoll.

Ein Beweis dafür, dass die Prager Barkultur langsam ihren Kinderschuhen entwächst und erwachsen wird.