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Kochbuch

Essen wie Jackson Pollock

In einem neuen Kochbuch sammelte die Fotografin Robyn Lea Rezepte von Jackson Pollock und seiner Frau Lee Krasner, die von anekdotischen Einblicken in das Leben der Künstler, wie sie kochten und wie sie aßen, begleitet werden.

Die Öffentlichkeit hat sich an eine geteilte Sicht über Jackson Pollock gewöhnt: einerseits visionäres Spritz-Genie, andererseits zu Wutanfällen neigender Alkoholiker, der ein Leben in Chaos führte. Er hatte aber noch eine andere Seite. Er war ein riesiger Backfan mit einer Speisekammer voller französischer Haushaltswaren, Rezeptbücher mit Anleitungen zu blueberry blintz und clam pie. Pollocks Rezept für Apfelkuchen hat immerhin die höchste Auszeichnung bei einer Landwirtschaftsmesse in Long Island bekommen.

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Die australische Fotografin Robyn Lea recherchierte über Pollock für ein Fotoprojekt, als sie herausfand, dass er—wie sie selbst—ein Kochenthusiast war. Sie bekam Zugang zu einem Rezepten von Pollock und seiner Frau Lee Krasner und fing an, diese Rezepte bei aufwändig inszenierten Dinner-Partys zu kochen. Die Resultate waren so positiv, dass Lea beschloss, ihre Entdeckungen mit der Welt zu teilen.

Im Kochbuch Dinner with Jackson Pollock: Recipes, Art & Nature sammelte Lea mehr als 50 Rezepte von Pollock und Krasner, die von anekdotischen Einblicken in das Leben dieser herausragenden Maler und wie sie gekocht und gegessen haben, begleitet werden. MUNCHIES hat sich mit Lea unterhalten, um mehr über den interessanten Schnittpunkt zwischen leidenschaftlichem Hobbykoch und gequälter Künstler herauszufinden.

MUNCHIES: Hey, Robyn. Erzähl uns, wie ist das Projekt entstanden? Robyn Lea: Als ich vor vier Jahren nach Amerika kam, machte ich ein paar Fotos für eine Geschichte für ein australisches Magazin. Ich fühlte mich von Pollocks Haus und Studio sehr angezogen. Nachdem ich das erste Mal dort war, nutzte ich jede Gelegenheit, zurückzufahren. Irgendwann fand ich mich in der Speisekammer wieder und fotografierte all die Gegenstände, die sich da drin befanden. Ich fragte mich, wie wohl ihre Dinner-Partys ausgesehen haben, und wünschte mir, dabei gewesen zu sein. Wer kochte? Über was unterhielt man sich? Wie präsentierten sie ihr Essen? Das alles interessierte mich sehr, ich bin ja auch selbst ein bisschen ein Foodie.

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Ich fragte mich, ob es wohl irgendwelche Rezeptbücher mit Notizen oder mit markierten Stellen gibt, die mir einen Hinweis darauf geben könnten, was sie gegessen haben. Die Zuständige für das Haus sagte, dass es handgeschriebene Rezepte von Jackson Pollock und Lee Krasner gibt, die sie für mich einscannte und mir per E-Mail zuschickte. Als ich zurück ins Haus ging, fand ich unzählige Rezeptbücher.

Es entwickelte sich zu einem recht großen Projekt. Zuerst stieß ich auf die Rezepte, dann veranstaltete ich eine Reihe von Dinner-Partys in meinem Haus, um sie alle auszuprobieren. Alle waren begeistert und wir waren überrascht, wie unglaublich gut die Gerichte schmeckten. Dann fing ich an, mehr über die einzelnen Rezepte herauszufinden—wer sie ihnen gegeben hatte und ich versuchte, sie als kulinarisches Erbe aufzuarbeiten, nicht nur der Hamptons, sondern von der Kindheit von Jackson. Er war ein mehrgleisiger Prozess.

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Robyn Lea.

Als du das erste Mal seine Speisekammer betreten hast, gab es da irgendetwas Ungewöhnliches daran? Hatte er beispielsweise richtig gute Messer? Das Erste, was mir auffiel, war ihre Sammlung von Le Creuset-Töpfen. Sie hatten aber nicht nur Kochtöpfe, sondern auch Backgeschirr. Einige waren aus Keramik, andere waren aus schwerem Eisen. Ich dachte mir, Meine Güte, das waren die 40er und 50er. Für einen Amerikaner in einer Kleinstadt ist eine solch große Sammlung an exklusivem französischen Küchengeschirr echt interessant und ungewöhnlich.

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Wofür steht das deiner Meinung nach? Für mich bedeutet das, dass sie leidenschaftliche Foodies waren. Ich glaube nicht, dass Leute so viel Geld dafür ausgeben würden oder überhaupt den Wert verstehen würden, wenn sie nicht zumindest ein bisschen besessen von Essen wären. Sie hatten auch Geschirr von der ungarischen Designerin Eva Zeisel; diese Kollektion befindet sich entweder im Metropolitan Museum of Art oder im MOMA, sie ist auf eine Weise der Inbegriff von Schönheit, was das Geschirrdesign dieser Zeit anbelangt.

Sie hatten nicht nur Interesse am Essen selbst, sondern auch an der Präsentation am Tisch. Es ist wahrscheinlich keine große Überraschung, dass es für sie nicht nur um den Geschmack ging. Es ging um Farben, die Präsentation und das Anrichten.

Was du hier beschreibst, klingt sehr viel präziser, als Pollocks Kunst aussieht. Als ich mit dem Projekt anfing, hatte ich genau die gleiche Einstellung. Ich hatte das Bild dieses wilden Künstlers im Kopf. Genial, instinktiv, leicht verrückt, aber fantastisch. Langsam stellte sich aber heraus, dass alle seine Rezepte extreme Präzision verlangten. Wenn man einen halben Teelöffel zu viel von etwas erwischt, funktioniert das Rezept nicht mehr. Er backte auch sehr viel. Ich dachte darüber nach, welche Leute ich kenne, die gerne backen, und bemerkte, dass es fast ein Charakterzug ist. Da fing ich an, anders über Pollock nachzudenken. Wie häufig zu lesen ist, bestritt er, dass seine Arbeiten Zufall waren. Er sagte, dass er wusste, wie jeder einzelne Tropfen auf der Leinwand landen würde. Mittlerweile überdenkt man die Vorstellung, dass er nur mit Farbe um sich gespritzt hat. Manche sehen in Pollocks Ansatz eine unglaubliche Präzision. Da besteht eine Parallele zwischen dem Backen und dem Malen.

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Wie würdest du das Essen beschreiben? Es waren sehr viele klassische amerikanische Rezepte dabei und auch relativ viele Gerichte aus den Südstaaten. Gute Freunde von ihnen kamen aus dem Süden und zeigten ihnen, wie man Chili con Carne und andere Sachen zubereitet. Es gab aber auch überraschende Dinge wie die syrische Küche, die ihnen ihre Künstlerfreundin Lucia Wilcox näher brachte. Sie hielten oft Dinner-Partys mit Surrealisten im Stil von künstlerischen Salons ab und machten syrische Picknicks am Strand.

Meinst du, eine Dinner-Party mit Jackson Pollock hätte Spaß gemacht? Naja, ich möchte nicht ganz außer Acht lassen, dass er eine recht schwierige Persönlichkeit war. Besonders später im Leben, als der Alkoholismus ein extrem deprimierender Teil seines Alltags wurde. Aber was bei den Dinner-Partys dieser Zeit vor sich ging, ist nicht mit den früheren vergleichbar. Die Leute beschreiben ihn als eine sehr aufmerksame, neugierige Person mit einem Interesse für andere. Ich glaube, eine Dinner-Party bei ihm Zuhause wäre interessant, unter anderem auch weil Lee Krasner eine unglaublich gute Geschichtenerzählerin war. Die Leute klebten an ihren Lippen. Sie hatte eine sehr starke Meinung und war manchmal recht herrisch. Ihr Gast zu sein, wäre sehr faszinierend.

Wurde über jede Speise länger gesprochen oder wurde das Essen einfach auf den Tisch gestellt? Einer ihrer Freunde, der regelmäßig bei ihnen zum Essen eingeladen war, erzählte uns, dass es ziemlich schwierig war, ein Gericht zu ihren Partys mitzubringen. Wenn Lee beispielsweise jemanden darum bat, ein Dessert mitzubringen, erklärte sie der Person gang genau, wie sie es zu kochen hat, wie es angerichtet werden soll und welche Zutaten die Person verwenden muss.

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Ziemlich verrückt. Das zeugt von einer unglaublichen Leidenschaft für Farbe, Form und Präsentation. Es ist eine Erweiterung der künstlerischen Mentalität. Andererseits ist es sehr einschränkend, oder gar unhöflich, wenn jemand anbietet, ein Dessert mitzubringen und die Gastgeberin schreibt einem jedes kleinste Detail vor. Wirklich verrückt!

Haben dir die Pollock-Dinner-Partys, die du veranstaltet hast, Spaß gemacht? Manchmal kopierten wir Originalrezepte und verwendeten sie als Tischsets, für jeden Gast ein anderes. Jacksons Handschrift war so präzise. Es sieht aus, als hätte er auf liniertem Papier geschrieben, obwohl es leeres war. Lees Handschrift war wilder. Sie verwendete jedes Schreibutensil und jedes Stück Papier, das sie gerade zur Hand hatte.

Gab es auch Rezepte, die nicht besonders gut waren? Ein Rezept gab es in ihrer Sammlung für Zwiebelsuppe. Ich probierte es aus, aber es schmeckte gar nicht gut. Die Suppe war wässrig und irgendetwas stimmte einfach nicht. Interessanterweise fand ich ein handgeschriebenes Rezept für Zwiebelsuppe im Rezeptbuch von Jacksons Mutter. Dieses hingegen war ausgezeichnet. Wir fragten uns, ob es vielleicht falsch abgeschrieben wurde. Das Käsekuchen-Rezept war auch nicht besonders gut und wir haben es nicht ins Buch genommen. Die Rezepte stammen aus den 30ern, 40ern und 50ern—die Zutaten waren damals einfach anders. Ein Ei heute ist nicht mehr das Gleiche wie damals. War die Milch roh oder nicht homogenisiert? Das wirkt sich alles auf die Konsistenz aus.

Welches ist dein Lieblingsrezept? Das kommt auf die Jahreszeit an. Die frischen Johnnycakes sind super; das Rezept ist sehr einfach. Dazu gibt es eine schöne Geschichte. Jackson und sein Bruder Charles reisten in einem Ford Modell T quer durch Amerika nach Kalifornien. Das war während der Weltwirtschaftskrise, sie hatten also kein Geld und so wurden Johnnycakes überall, wo sie waren, zu einem wichtigen Teil ihrer Ernährung. Meistens peppten sie sie mit irgendetwas Billigem auf. Die Geschichte der beiden Brüder ist so interessant.

Gab es irgendwelches Essen, das für Jackson ein schwacher Punkt war, das er immer und immer wieder aß? [Lange Pause] Gute Frage. Ehrlich gesagt war Alkohol seine größte Schwäche. Als er versuchte, vom Alkohol loszukommen, verschrieb ihm ein Pharmazeut eine Diät, die seine Alkoholsucht heilen sollte. Er hatte eine lange Liste von Dingen, die er essen durfte oder eben nicht. Zwei Mal pro Tag einen Eiweißdrink, Mineralinjektionen, .. Irgendwie ist es witzig, aber gleichzeitig auch traurig, wie sehr er versuchte, sich selbst zu heilen. All diese Quacksalber gaben ihm alle möglichen Heilmittel. Das zeigt ihn von einer anderen Seite. Normalerweise halten wir ihn für eine unverantwortliche Person, aber das zeigt, dass er versuchte, Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu heilen.

Vielen Dank fürs Gespräch, Robyn.