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Rindfleisch

Vor der Schlachtung: Wie ich meinem Fleisch begegnete

Der durchschnittliche Amerikaner isst ungefähr so viel Rindfleisch, wie ein Mann schwer ist. Aber auch wenn es ein „Weiderind” „aus „regionaler Zucht” ist, haben die wenigsten mit eigen Augen gesehen, wo das Tier herkommt. Deshalb besuchte ich eine...
Photos by Joshua David Stein.

Mein zukünftiges Ribeye-Steak starrte mich mit seinen schwarzen, leuchtenden Augen von einer Kleewiese auf einer Farm in Upstate New York an.

Eigentlich waren es mehrere Ribeyes, ein Filet Mignon und zahlreiche Burger. Meine Mahlzeiten waren aber—vorerst—noch keine. Sie waren bislang nur diese Kuh, die mit der Marke am Ohr, auf der 38 steht.

Meine Steaks hatten ihren abwesenden und irgendwie gruseligen Blick auf unsere Gruppe gerichtet, drei Schatten auf einem kleinen Pfad in der Mitte eines Feldes in Bettinger Bluff, einer Farm in Montgomery, New York. Da stand ich, fest entschlossen eine Kuh zu treffen (und mich vielleicht auch bei ihr zu entschuldigen), die wir aus dem einzigen Grund kaufen würden, sie später zu essen.

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Neben mir stand mein bester Freund Ben, der sein Leben in Manhattan für ein großes Haus in einem Vorort aufgab. Das hatte den Vorteil, dass er jetzt Platz für einen großen Tiefkühlschrank hatte, in dem wir das Fleisch aufbewahren konnten. Und dann war da noch Danny, ein Kuhfarmer mit einer Haut so dick wie Leder, der außerdem auch Baggerfahrer und Stallbursche für alles war und uns die Kuh verkaufte.

Danny trug ein Arbeitsshirt, auf dem „Pirog Brothers Excavators" stand. Die Inhaber der Farm waren eineiige polnische Zwillingsbrüder—mit dem Nachnamen Pirog—die auch als Baggerfahrer und Lieferanten von erstklassiger Erde tätig sind.„Es ist ziemlich schwierig, nur von der Viehzucht zu leben", sagte Danny. Wie dem auch sei, die Kühe sprachen Polnisch. Er stellte sich auf die niedrigste Holzlatte des Zauns und rief den Kühen zu: „Ka vas!" (Das heißt „Hey du!" auf Polnisch) „Ka vas!"

Langsam blickten die sieben Stiere im Gehege, die als nächstes geschlachtet werden sollten, auf. Sie waren in einer geordneten Reihe aufgestellt, wie die Polizei, mit den Köpfen gegen die späte Abendsonne gerichtet. Aber sie blieben distanziert. Wir beäugten die drei dicksten, die auf den Schlachthof in Schenectady, New York, abtransportiert werden sollten. Danny will mindestens 500-600 kg schlachten.

Das war vor zwei Wochen. Morgen werden die Kühe ihre Henkersmahlzeit verzehren (Gras mit Gras als Beilage) und ihr lebenslanges Zuhause verlassen, das schon von Anfang an ein Todestrakt war. Nachdem die Schlachtkörper zwei Wochen lang an Haken hingen wie in Rocky—um das Tier von Panikhormonen zu befreien, die seinen Körper durchdringen, wenn es realisiert, dass der Untergang naht—kommt die gute alte #38 zurück zur Farm, in sorgfältig geschlachteter Form und in Kühlpackungen, die Ben und ich abholen und aufteilen werden—140 kg Fleisch.

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Danny, der Stallbursche für alles auf der Bettinger Bluff-Farm.

Der durchschnittliche Amerikaner isst pro Jahr ungefähr einen Mann in Kuhfleisch umgerechnet, also ungefähr 77 kg. Ich konsumiere wahrscheinlich das Doppelte davon, weil ich ein Restaurantkritiker bin, der aus beruflichen Gründen essen geht. Und in Restaurants ist Fleisch immer noch das am häufigsten verwendete Protein, mit dem ein Koch sein Können zeigt. Niemand ist „bekannt" für seine Karotten. Trotz beliebter Slogans wie „aus regionaler Zucht" und „Weiderind" bestellt man im Restaurant keine Kuh. Das Tier, von dem das Fleisch kommt, wird so weit wie möglich ferngehalten. Das ergibt natürlich aus (fast) in jeder Hinsicht Sinn. Gastronomen wollen ihre Gäste nicht mehr als notwendig daran erinnern, woher ihr Essen kommt. Die Gäste wiederum wollen sich nicht zu lange mit der Vorgeschichte des Fleischs in ihrer Suppe aufhalten. Es funktioniert also. Außer natürlich für die Kuh. Ich versuche hier kein neues Konzept für ein Steakhouse vorzuschlagen, dessen Karte in Rubriken wie „Kuh #910VF" (oder schlimmer noch, „Betsy") eingeteilt ist, unter welcher eine lange Liste von Teilstücken der besagten Kuh aufgelistet sind. Das wäre äußerst unpraktisch und ein bisschen gruselig.

Aber auch mal an die Kuh zu denken, wäre gar nicht so übel. Das machen wir nämlich nie.

Ich habe jedenfalls schon einmal eine echte Kuh gesehen. Nicht wie meine Mutter, die in Chicago aufgewachsen ist und ehrlich der Meinung war, dass Kühe in etwa so groß wie Hunde sind. (Sie sah ihre erste Kuh mit 19.) Ich habe mich aber auch daran gewöhnt, mein Steak nach Preis, Alter und Teilstück des Tiers zu bewerten. Hmm Porterhouse für 75 Euro? Vielleicht. 28 Tage trocken gereift? Gekauft.

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Ich habe aber niemals die Verbindung hergestellt und die Zeit wie in einem Enya-Video zurückgedreht, um herauszufinden, woher mein Steak kommt. Mir ist natürlich klar, dass das Fleisch auf meinem Teller eine Kuh war, auf dieselbe Art, wie mir klar ist, dass sich das Klima wandelt. Das ist wirklich so und es ist furchtbar. Aber fühlt es sich nicht verdammt gut an, wenn du in einem Mustang-Cabrio die weite Straße entlang fährst, während dir der Wind durch das Haar bläst und du die Klimaanlage voll aufgedreht hast?

Ich trat die Reise ins Hudson Valley, 10km nördlich von Manhattan, an, um die Stufe im Prozess besser zu verstehen, in der ein lebendiges Ding in etwas Essbares verwandelt wird. Würde ich mich selbst vor diesem Vieh auspeitschen, zwischen Mist und Gras auf meine Knie fallen und um Vergebung flehen? Ich lass mich normalerweise nicht zu jämmerlichen Gesten herab (außer um meine Ehe zu retten). Kann ich mich bei einer Kuh entschuldigen, repräsentativ für alle anderen Kühe, die für mich im Laufe meines Lebens getötet wurden und noch werden? Mich bei jedem Carne Asada Taco, bei jedem Cheeseburger und jeder Rinderbrust zu entschuldigen, wäre wahrscheinlich ein bisschen umständlich. Es kam auch sonst keiner mit großen Entschuldigungsgesten gegenüber der gesamten Spezies an. Ich war hauptsächlich dort, um zu sehen, wie ich bei einer Konfrontation mit den Auswirkungen meines Fleischverzehrs fühlen würde.

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Außerdem, wer würde Nein zu 140kg Weiderindfleisch sagen, vor allem, wenn das Rind ein besonders schönes Leben hatte?

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Eine Herde ungerührter Rinder.

Danny starrte in ein langes Gehege, das mit Holzbretter eingezäunt war. „Ich nenne es die Green Mile", sagt Danny. Wenn er seine vier bis fünf Rinder ausgesucht hat, die jeden Monat geschlachtet werden, treibt Danny sie durch die Green Mile in einen wartenden Lastwagen hinein, der sie in einen eineinhalb Stunden entfernten Schlachthof—ein kleiner Familienbetrieb, der vom US Department of Agriculture zertifiziert ist—bringt. „Das Geschäft läuft gut", sagte er. „Es gibt momentan weltweit zu wenig Rindfleisch. Also haben wir viel zu tun."

An diesem Tag, an dem wir die Farm besuchten, musste aber keins der Tiere sterben. In der Wiese lag ein riesiges rotes Simmental-Angus-Rind, das aussah wie ein lebendes Ledersofa. In einem anderen Gehege schnüffelte ein schwarzer Angus-Ochse an einem Salzleckstein. Danny erklärte uns ein bisschen etwas über seine Herde. Es gibt zwei Ochsen—die später zu Hackfleisch werden—und eine Herde von 140 Zuchttieren, die mit ihren Kindern in einer angrenzenden Wiese gehalten werden. Wenn die Kälber ungefähr sechs bis acht Monate alt sind, werden sie von ihren Müttern getrennt. Die männlichen Kühe werden bei der Geburt kastriert und so zu Stieren gemacht, während die weiblichen verschont bleiben, um sich noch ein weiteres Jahr fortzupflanzen. „In ein paar Monaten werden sie getrennt. Da willst du nicht dabei sein, das ist verdammt laut.", erklärte mir Danny. Für einen kurzen Moment betrübte der Gedanke mein Gemüt, wie es wohl wäre, wenn mein Sohn mit acht Monaten von mir getrennt werden würde, aber mein trauriger Tagtraum wurde durch Dannys Gackern, das mich an George Bush erinnerte, unterbrochen. Wir blieben ein bisschen am Rand des Geheges stehen und beobachteten Kühe, wie sie uns beobachten. Manche badeten, andere schrieen. Eine kahle mit roter Marke am Ohr sah so aus, als wäre sie sich im Klaren, was hier vor sich geht. Sie stand vor der Herde und starrte uns mit ihren rot umrandeten Augen an. Dann trieb sie die anderen Kühe vom Zaun weg. „Sie ist eine Anführerin", sagte Danny.

Er erzählte uns, wie die Kühe leben und was sie zu fressen bekommen. Sie werden ausschließlich von Gras und Heu ernährt, das in weißem Plastik gelagert wird und das Feld wie lange Marshmallows einzäunt. Danny sprach mit so einer Selbstverständlichkeit über das Töten der Kühe, dass sich mein Unbehagen ein bisschen legte. Da man in Restaurants und Supermärkten nie darüber spricht, wird das Gefühl vermittelt, dass die Schlachtung etwas schändliches ist. Aber Dannys Leichtigkeit wirkte wie ein Elixier. Mein Stier war am nächsten Morgen an der Reihe. Die Fahrt dauert nur ein bisschen mehr als eine Stunde. „Sie müssen noch vor 10 Uhr getötet werden", erklärte mir Danny. „Wir arbeiten mit den Typen schon seit vielen Jahren. Sie zocken uns nicht ab." (Viele Schlachthöfe, sagte er, nehmen das eine oder andere Stück Fleisch von den besten Kühen und ersetzen es durch schlechteres.) Ein paar Stunden nachdem er das letzte Mal aufwacht, wird Kuh #38 sterben. Er wird auf jeden Fall schreckliche Angst haben, war sich Danny sicher. „Sie wissen, was auf sie zukommt. Es gab einen Schlachthof, der ein ganz kleines Fenster, vielleicht einen Meter breit, auf dem Stock hatte, auf dem die Tiere getötet werden. Die Kühe versuchten allen Ernstes durch dieses Fenster zu springen. Kannst du dir das vorstellen?", lachte er.

Naja, dachte ich mir, wie viele von uns werden nicht in furchtbarer Angst sterben? Obwohl die Kühe vielleicht im Hinblick auf die Hinrichtungsmethode verlieren würden, sind sie sich doch sicher nicht der Angst bewusst, von dieser Erde auszusterben?

Als die Sonne langsam unterging, waren die Kühe von uns gelangweilt. Und ich auch von ihnen. Es gab keine Gefühlsausbrüche und ich wurde auch nicht von Schuld geplagt. Ich hatte mein Fleisch getroffen, von Kuh-Angesicht zu Mann-Angesicht, und anstatt mir die Lust auf Fleisch zu verderben, fühlte ich mich danach besser. Wenn ich dieses Ribeye esse, wird es nicht von der Karte plötzlich auf meinen Teller gezaubert. Es wird sich mehr anfühlen, wie einen alten Freund zu treffen—und ihn zu essen. Als wir uns umdrehten und gehen wollten, dachte ich kurz daran, den Kühen zuzurufen: „Es tut mir leid!" Aber das tut es mir eigentlich gar nicht und außerdem hatte die gute alte #38 den Kopf im Klee vergraben.