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Englischer Sekt ist der neue Champagner

Während sich das südenglische Klima immer weiter dem der Champagne annähert (danke, Klimawandel!), produzieren englische Winzer international angesehene Schaumweine, die mit Preisen überhäuft werden.
Foto vonTom Coates via Flickr

„Breaky Bottom" und „Camel Valley" klingen vielleicht wie der Name von Cidres, sie sind es aber nicht. Es sind englische Schaumweine—preisgekrönte, englische Schaumweine.

Das sind nicht unbedingt drei Wörter, von denen man erwarten würde, sie in einem Satz zu lesen, ja nicht einmal in einem Buch.

Englische Weine werden kaum höher geschätzt als „Klassiker" wie Liebfraumilch der 1970er-Jahre, aber vielleicht ist es an der Zeit, die Vorurteile gegen Schaumwein aus England über Bord zu werfen, denn sie müssen sich mittlerweile vor Champagner nicht mehr verstecken.

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Dieses Jahr räumten Englands beste Perlweine bei der International Wine Challenge (IWC) insgesamt 17 Goldmedaillen und bei den Decanter World Wine Awards 81 Preise ab. Champagner-Produzenten müssen momentan noch keine Angst haben, dass die englischen Produkte den Markt überschwemmen, aber über die Qualität der Konkurrenz sollten sie sich zumindest Gedanken machen.

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Danebury Vineyards, Hampshire. Foto von Danebury Vineyards.

Frankreichs prestigereiche Cuvées werden aus drei Traubensorten—Chardonnay, Pinot Noir und Meunier—hergestellt und viele der über 500 englischen Winzereien, die sich hauptsächlich entlang der Südküste erstrecken, aber bis nach York hochreichen, bauen nur diese Rebsorten an, als Zeichen des Respekts an die Kreation aus dem Jahr 1697 von Dom Pierre Pérignon.

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Italiens Bestseller, der Prosecco, mag zwar bei vielen die erste Wahl sein, aber das liegt hauptsächlich an wirtschaftlichen Faktoren: Die Produktionsmethode sorgt dafür, dass er erschwinglich und gut ist. Eine Flasche bekommt man schon unter 10 Euro. Die englischen Winzereien halten sich hingegen an die ausgeklügelte méthode champenoise oder méthode traditionelle, bei der der Wein in der Flasche ein zweites Mal gärt. Der Prozess ist zeit- und arbeitsintensiver, aber es ist der einzige, mit dem so qualitativ hochwertiger Schaumwein hergestellt werden kann.

Während die französische Champagne vom maritimen Klima mit kontinentalen Tendenzen profitiert, ist das unberechenbare maritime Wettersystem Englands und der übermäßige Niederschlag nicht unbedingt förderlich für den Anbau verschiedener Sorten, besonders schwarzer, die Wärme brauchen, um richtig zu reifen. Zum Glück mögen die Chardonnay-, Pinot Noir- und Meunier-Trauben das kühle Klima mit gerade genügend Sonne. Und da sich Englands Klima immer weiter dem der Champagne annähert (danke, Klimawandel!), sind die Trauben glücklich.

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Das Resultat? Preisgekrönter englischer Sekt.

Was die Wärme anbelangt, sind die beiden Region gleichauf: Frankreichs heiliger Boden bekommt 1.600 Stunden Sonnenschein pro Jahr, während es in Südengland zwischen 1.550 und 1.600 sind, laut Met Office. Bei den Niederschlagswerten gibt es jedoch Unterschiede: die Kalksteinböden der Champagne absorbieren zwischen 600 und 670 Millimetern Regen pro Jahr, in der hügeligen Kreidelandschaft in Südengland regnet es jährlich 950 Millimeter.

In Restaurants findet man auf Weinkarten vier Champagner und ein englischer Sekt—es sollte umgekehrt sein.

Der Meteorologe Alex Jarman sagt, mehrere Faktoren seien für das warme Wetter in Südengland verantwortlich, wenn auch die Temperaturen immer noch kühl genug sind, dass die Trauben ihre hohe Säure behalten, die für die Schaumweinherstellung nötig ist.

„Der Klimawandel ist nur ein Zeichen und bis 2050 soll die durchschnittliche, jährliche Temperatur auf der ganzen Welt um zwei Grad Celsius ansteigen", erklärt er. „Dazu kommt noch ein doppelt so hoher CO2-Ausstoß und schon haben wir heißere Sommer in England: für den Anbau von Trauben ist das im Vergleich zu vor 50 Jahren von Bedeutung."

Der Klimawandel ist aber nicht der einzige Faktor.

„Die Meeresströmung des Golfstroms kommt von der amerikanischen Ostküste und durchkreuzt den Atlantik von West nach Ost. Sie sorgt für warme Wassertemperaturen, die die Lufttemperatur erhöhen, wenn auch mit etwas Verzögerung", fügt Jarman hinzu. „Die Clausius-Clapeyron-Gleichung zeigt auch, dass die Sommer wärmer und trockener werden und die Winter wärmer und feuchter."

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Heureka! Südenglands maritime Klima bekommt kontinentale Tendenzen, genau wie das in der Champagne. Und es gibt ein paar international angesehene Weine, um das zu beweisen …

Beispiel A: Englands ältestes Weingut Hambledon Vineyard gewann dieses Jahr zwei IWC-Medaillen—eine Gold und eine Trophäe für seinen Classic Cuvée NV aus Champagne AOC-Trauben.

Neben dem Klimawandel als helfende Hand hat Hambledon noch ein paar weitere Trümpfe im Ärmel. Das Weingut aus Hampshire hat den gleichen Kalkboden wie Avize, ein Grand Cru-Dorf in Côte des Blancs in der Region Champagne-Region.Ihre ursprünglichen Reben wurden außerdem mit der Hilfe des Champagner-Meisters Pol Roger angebaut und ihr Winzer ist Hervé Jestin, der ehemalige Chef de Cave in der Champagnerie Duval-Leroy.

„Keiner dachte an Sekt, als wir unser Weingut 1952 gründeten", sagt Steve Lowrie von Hambledon Vineyard. „Das kam erst, als unserer derzeitiger Geschäftsführer Ian Kellert, ein ehemaliger Banker, der heute Biochemiker und Önologe ist, Forschungen anstellte, nachdem er das Anwesen 1999 kaufte und herausfanden, dass wir Ähnlichkeiten mit Avize haben."

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Englands ältestes Weingut: Hambledon Vineyard. Foto von Hambledon Vineyard.

Der Schwerpunkt liegt bei Hambledon mit seinen 20,2 Hektar Weinreben auf der Qualität, nicht der Quantität.

„Ich glaube nicht, dass sich die Champagne über unsere Menge Gedanken machen muss", merkt Lowrie an. „Auf wenn wir die maximale Menge produzieren, schaffen wir alle zusammen fünf oder sechs Millionen Flaschen Champagner und hier werden jährlich 30 Millionen Flaschen Prosecco verkauft."

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Bei English Oak Vineyard in Lytchett Matravers in Dorset sieht es ähnlich aus. Die Besitzer Sarah und Andrew Pharoah bekamen für ihren San Gabriel Blanc de Blanc Brut 2009 und den Engelmann Brut 2010 Silbermedaillen bei den Decanters World Wine Awards 2015.

Sie bauen ebenfalls ausschließlich Champagne AOC-Trauben an und Andrew sagt, dass der Boden ein großer Teil des Erfolges ihrer Weine ausmache.

„Historisch gesehen, haben wir um Poole herum ein mildes Klima und das passt zu dem, was wir machen. Es ist ähnlich wie das Klima in der Champagne und scheinbar sollen die Temperaturen ja tendenziell steigen", erklärt er. „Das bedeutet, dass auch das Klima der Champagne wärmer wird als früher, während unseres so wird, wie es dort lange Zeit war."

Die größte Herausforderung, sagt er, sei die starke Marke des Champagners.

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„In Restaurants findet man auf Weinkarten vier Champagner und ein englischer Sekt—es sollte umgekehrt sein", fügt er hinzu. „Während unsere Weine qualitativ immer hochwertiger werden, werden die Konsumenten immer mehr dafür sensibilisiert und fangen an, sie zu kaufen, nicht weil sie aus England kommen, sondern weil sie die besten sind. Das ist unser Ziel, ein Glas nach dem anderen."

Das führt uns zu Beispiel C: Danebury Vineyards. Das Weingut befindet sich in Hampshire und erstreckt sich über 2,8 Hektar. Für seinen Sekt im Champagnerstil werden Auxerrois Blanc- und Rulander-Trauben verwendet und ihr Cossak Brut 2010 hat ihnen mehrere Silbermedaillen eingebracht.

„Englischen Sekt zu trinken, wird zu einer Tradition, weil sie sehr gut gemacht sind", sagt Caroline Stevens von Danebury Vineyards. „Viele englische Weingüter haben versucht, Champagner zu schlagen und jetzt haben sie es geschafft, indem sie einfach das Gleiche tun, wie bisher. Die Zukunft sieht rosig aus."

Darauf trinken wir.