Heroin, Cosa Nostra und Käse: Die dunkle Seite der Pizza
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Kriminalität

Heroin, Cosa Nostra und Käse: Die dunkle Seite der Pizza

Pizza ist nur auf den ersten Blick unschuldig: Historisch gesehen ist unser aller Lieblingsessen ziemlich eng mit der Mafia verbunden. Wir haben uns das einmal genauer angeschaut.

Alles hat eine dunkle Seite—nicht nur die Macht, auch die Pizza.

Vor fünf Jahren wurde John „Johnny Pizza" Porcello verhaftet und wegen organisierter Kriminalität angeklagt. Das war eine der größten Aktionen gegen Bandenkriminalität in der Geschichte des FBI.

Eine Pizza-Zeitschrift beschrieb ihn als Typen mit harter Schale und weichem Kern. Er besaß eine Pizzeria in der Bronx und war Mitglied einer berüchtigten Genueser Mafia-Familie. Am Ende plädierte er schuldig wegen Kreditwuchers und das Gericht beschloss eine Pfändung seines Vermögens in Höhe von 18.000 US-Dollar.

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Auch wenn seine Pizzerien selbst keine kriminellen Geschäfte waren, erinnern seine Taten—mal ganz abgesehen von seinem Spitznamen—an die Zeit, als Pizza und Verbrechen noch wesentlich enger miteinander verwoben waren.

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Das schwarze Feuerloch. Foto via Flickr

Anfang des 20. Jahrhunderts immigrierten gut 4 Millionen Italiener in die USA und hatten eines der heute am weitesten verbreiteten Gerichte im Gepäck: Pizza. Aber nicht nur die, sondern auch eine etwas andere Form der Konfliktlösung, die ihre Wurzeln in den Verhaltenskodizes der sizilianischen Clans findet. Der Ursprung der amerikanischen Cosa Nostra beziehungsweise Mafia.

Im Verlauf der Jahre gab es immer mal wieder Berührungspunkte zwischen Pizzas und Verbrechen, am meisten jedoch während des Pizza Connection Trial 1987: Der junge Staatsanwalt Rudolph W. Giuliani deckte einen Verbrecherring auf, in den zahlreiche Pizzerias in den Vereinigten Staaten verwickelt waren.

Mit den Pizzerien als Tarnung schaffte es die sizilianische Mafia in den USA zwischen 1975 und 1984 insgesamt 750 Kilogramm Heroin mit einem damaligen Verkaufswert von schätzungsweise 1,6 Milliarden Dollar einzuschmuggeln. Der Prozess zog sich über zwei Jahre und bewies zum ersten Mal eine eindeutige Verbindung zwischen der sizilianischen Mafia, die in Palermo Morphin aus der Türkei verarbeitete, und der Bonanno-Familie in New York, die für den Vertrieb in den USA zuständig war.

Antonio Nicaso ist Experte für organisiertes Verbrechen und Autor zahlreicher Bücher zum Thema. Mit ihm habe ich mich über die historische Verkettung zwischen Pizza und organisierter Kriminalität unterhalten, um so zu verstehen, wie einfache Pizzerias einen milliardenschweren Drogenring am Leben halten können.

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„Das kann man mit jedem Restaurant schaffen", meint Nicaso. „Aber damals war es einfacherer, eine Pizzeria zu kaufen. So konnte man Geld verdienen und unter der Ladentheke Heroin verkaufen. Einige Kunden kamen wegen der Pizza, andere wegen des Heroins. Die Pizzerias standen alle in Verbindung mit der Bonanno-Familie, der wohl ,sizilianischsten' der Fünf Familien, weil am gewaltbereitesten und mit den meisten Verbindungen nach Sizilien."

Obwohl das Netzwerk der Pizza Connection ziemlich komplex war, ist es ersteinmal total einfach, eine Pizzeria in ein kriminelles Unternehmen zu verwandeln, meint Nicosa. Man braucht nur Pizza, illegale Drogen und ein bisschen Kreativität bei der Buchhaltung. „In einer Pizzeria kann man gut Geld waschen. Die meisten Pizzerias sind natürlich in ehrlichen Händen, aber wenn ein Mafioso oder Mafia-Freunde eine Pizzeria haben, werden am Ende des Tages einfach falsche Quittungen geschrieben, denn meistens wird ja bar bezahlt."

„Wenn man an einem Tag also 200 Kunden hat, kann die Buchhaltung dann die Bilanzen so frisieren, dass man auf einmal 500 Kunden hatte. Das ,fehlende' Geld wird dann durch den Verkauf von Heroin oder Drogen eingefahren. Also eine der einfachsten Formen von Geldwäsche."

Aber Pizzerias waren nicht nur ein guter Weg, um Geld zu waschen. Pizzalieferservices waren beliebt und hatten eine große Reichweite. Damit hatte man also sofort ein gutes Netzwerk für den Drogenhandel. „Das System war nicht nur wegen der Geldwäscheoption finanziell so attraktiv, sondern auch weil mit dem Lieferservice schon eine Art Vertriebsnetzwerk existierte", erklärt Nicaso.

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„Damit konnte man Pizzas und gleichzeitig Heroin ausliefern. Das war eine wirklich kreative Art der Geldwäsche und des Drogenhandels, mit einem ordentlichen Geschäft als Tarnung. Irgendwann hatte die Bonanno-Familie dann das Heroin-Monopol in Nordamerika inne, weil sie auch nach Kanada gute Beziehungen hatten, sodass die Pizza Connection sich bis nach Windsor in der kandischen Provinz Ontario ausbreitete."

Obwohl das FBI alles versucht hat, hat der Prozess zur Pizza Connection nicht wirklich dazu beigetragen, den Hunger der Amerikaner nach Heroin—oder eben Pizza—zu stillen. Weniger als zehn Jahre später fanden Behörden heraus, dass Original Ray's Pizza auf der Third Avenue in New York, inmitten von Manhattan, eigentlich das „Hauptquartier eines riesigen Drogenrings" war und zusammen mit einer Fleischerei in Brooklyn und einem Café Kokain und Heroin im Wert von mehreren Millionen US-Dollar in ganz New York gehandelt hat.

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Nicht nur Mafiaboss, sondern auch Käsekönig: Al Capone. Foto via WikiCommons

Doch nicht nur Geldwäsche und Drogenhandel machen Pizzerias für Mafia-Banden so attraktiv: Kurz nach der Verhaftung von „Johnny Pizza" 2011 behauptete die Zeitung Village Voice, indem sie sich auf den verstorbenen Krimiautor Jonathan Kwinty und sein Buch Vicious Circles: The Mafia in the Marketplace stützte, dass ein gewisser Herr Capone kulinarisch mindestens genauso einflussreich für die New Yorker Küche war, wie Mario Batali oder David Chang.

In seinem Buch beschreibt Kwinty wie das wohl bekannteste Gesicht der Prohibition, Al Capone, die Inhaber von Pizzerias in New York dazu drängte, Käse mit geringem Feuchtigkeitsgehalt, der besser schmilzt, zu kaufen—natürlich von seinen eigenen Höfen in der Nähe von Fond du Lac in Wisconsin—, statt des „echten" Mozzarellas, der in New York, insbesondere auch in Brooklyn, von Einwanderern aus Neapel hergestellt wurde. Wer sich weigerte, Capones Käse zu kaufen, der hatte bald eine Brandbombe oder ähnliches in seinem Restaurant—erzählt man sich zumindest.

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Weil Capones Syndikat aus Chicago einige der etablierten Pizzerias in New York wie Lombardi's, Patsy's und John's aber respektierte, durften diese weiter den Käse aus New York benutzen, solange sie versprachen, dass sie Pizza nie im Einzelstück verkaufen würden. Deshalb, so Kwitny, steht bei John's in der Bleecker Street immer noch „No Slices" auf der Markise.

Wir haben einen der Geschäftsführer von John's gefragt, aber der wusste von nichts. Stattdessen sollten wir Scott Wiener fragen, er hätte alle Antworten für uns.

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John's Pizzeria auf der Bleecker Street. Foto von MsSaraKelly via Flickr

Scott Wiener ist Geschäftsführer von Scott's Pizza Tours, ein wahrer Pizzahistoriker und außerdem steht er mit seiner Sammlung an Pizzaschachteln im Guinnessbuch. Er ist also absolut süchtig nach Pizza. Die meisten Geschichten in Kwintys Buch bestätigt er.

„Joe Bonanno [30 Jahre lang der Kopf der Bonanno-Familie] war Teilhaber einer Firma namens Grande, ebenjener Käsefabrik in Fond du Lac, Wisconsin. Die Firma existiert noch, es gibt aber keine Verbindung zur Mafia mehr."

Früher aber schreckte Grande nicht vor etwas besonderen Verkaufstechniken zurück, so Wiener. „Sie riefen bei den Pizzerias an und meinten: ,Hey, falls Ihr Käselieferant diese Woche nicht liefern kann, unter dieser Nummer erreichen sie einen anderen Hersteller.' Und mit großer Sicherheit wird die Konkurrenzfirma gerade in Brand gesetzt: ,Oh komisch, was für ein Zufall!' Solche Praktiken gab es definitiv damals, außerdem verlangten sie von kleineren Firmen Schutzgeld."

Allerdings glaubt Scott Wiener nicht an die Geschichte, dass Capone den Verkauf von einzelnen Pizzastücken rabiat unterbunden hat. „Der Käse mit geringerem Feuchtigkeitsgehalt war von der Mafia, und wenn man den anderen frischen Käse verwendet hat, hat man nur einzelne Stücke verkaufen können. Aber viele Pizzerias, auch John's, haben den Käse mit höherer Feuchtigkeit genommen. Das ergibt irgendwie keinen Sinn. Die meisten der Pizzerias verkaufen deshalb keine Einzelstücke, weil sie in ihrem Kohleofen keine einzelnen Stücke wieder aufwärmen konnten. Die wären sonst verbrannt."

Davon mal abgesehen ist auch Antonio Nicaso weitestgehend einer Meinung mit Kwinty: „Al Capone war einer der ersten, der den Geschäften Käse und andere Zutaten aufgezwängt hat", meint er und fügt hinzu, dass es solche „Product-Placement-Methoden" auch noch heute gibt.

„Damals haben sie von den Restaurants ein monatliches Schutzgeld erpresst", erklärt Nicaso. „Heute wird statt Schutzgeld in Kanada und in den USA von den Restaurants verlangt, wie Ermittlungen gezeigt haben, die mafiaeigenen Produkte zu verwenden: Tomaten, Käse, Wein, Pasta und Kaffee. Legambiente, eine italienische Umweltorganisation, hat herausgefunden, dass immer mehr kriminelle Organisationen Teil der sogenannten Ökomafia sind."

Al Capone hat einmal gesagt: „Ich bin ein ganz normaler Mensch, ich befriedige nur eine Nachfrage." Und wenn man das Aufkommen der Ökomafia als ein Zeichen werten darf, dann werden wir wohl weiter von Männern wie Capone abhängig sein, um unsere innere Leere mit Alkohol, Drogen oder Pizzas zu füllen.