Rohe Rinderleber fürs Paleo-Baby–ist das denn in Ordnung?

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Rohe Rinderleber fürs Paleo-Baby–ist das denn in Ordnung?

Babys und Innereien? Das müssen doch wieder diese verrückten Steinzeit-Freaks sein! Wie ein Säugling reagiert, wenn er das erste Mal rohe Leber zu essen bekommt, und was die Ärzte dazu sagen.

Babys und Innereien? Das müssen doch wieder diese verrückten Steinzeit-Freaks sein! Wie ein Säugling reagiert, wenn er das erste Mal rohe Leber zu essen bekommt, und was die Ärzte dazu sagen.

Sie gluckst vergnügt, lächelt und wackelt aufgeregt mit dem Ärmchen. Hunger hat sie. Nuckelt an ihrem Bilderbuch, saugt an ihrem grauen Strickjäckchen. Ob sie noch so strahlen würde, wenn sie wüsste, was ihre Eltern ihr gleich vorsetzen werden?

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Knapp sieben Monate alt ist Emilia jetzt, alt genug für die erste feste Nahrung also. Ärzte raten, mit sechs Monaten mit der Einführung der sogenannten Beikost anzufangen. Das erste, was deutsche Babys in diesem Alter essen, ist meist Gemüsebrei – Möhren, Kartoffeln, Kohlrabi – mit ein wenig Fleisch. So empfehlen es die Experten.„Die drei Nahrungsmittel, die dir der Kinderarzt nie empfehlen würde: Eigelb, Leber, Knochenbrühe", entgegnet Iris Benedens, die Mama der kleinen Emilia. Davon heute auf dem Speiseplan: rohe Rinderleber, vorher zwei Wochen tiefgefroren, um Keime und Krankheitserreger abzutöten.

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Warum? Weil Iris und Leon Benedens den Paleo-Lifestyle leben. Sie legen Wert auf frische Lebensmittel, ernähren sich von Gemüse, Fleisch und Fisch, Obst, Nüssen und Samen. Auf Getreide, Milchprodukte und Hülsenfrüchte verzichten sie ganz, auch Zucker und verarbeitete Lebensmittel kommen ihnen nicht auf den Tisch. Dafür gerne Innereien. „Leber ist eines der nahrhaftesten Nahrungsmittel überhaupt", sagt Iris und zählt auf: „Eisen, Folsäure, Vitamin B12 – und ganz wichtig: Cholesterin."Cholesterin? Wer würde seinem Kind etwas geben, das dessen Arterien verstopft und Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt?

Der Alternativmediziner Chris Kresser zum Beispiel. Der US-Amerikaner ist einer der bekanntesten Befürworter der Paleo-Ernährung, in der die wissenschaftliche Rehabilitierung des ach so bösen Cholesterin schon lange bekannt ist. In seinem Programm „The Healthy Baby Code" rät er Eltern, auf fett- und cholesterinreiche Nahrung zu setzen, um die Entwicklung von Hirn und Nervensystem zu unterstützen. Als erste Beikost für sechs Monate alte Babys empfiehlt er daher unter anderem Eigelb, Lebertran und Leber.

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Emilia strampelt. Vielleicht merkt sie, dass es gleich so weit sein muss. Gerade ist Papa Leon nach Hause gekommen, jetzt wird angerichtet: Iris hat das tiefrote Stück Leber schon vor einer Stunde aus dem Kühlschrank genommen, es soll ja nicht zu kalt sein für die Kleine. Während Iris das tote Organ mit der Gabel bearbeitet, berichtet Leon von Emilias ersten Essversuchen. Vor gut einer Woche habe sie das erste Mal etwas anderes als Muttermilch bekommen: das Eigelb von einem weich gekochten Hühnerei. „Aber so riiichtig essen war das noch nicht", sagt Leon und lacht. Das dazugehörige Erinnerungsvideo zeigt zwei gut gelaunte Eltern, ein Baby und eine Löffelspitze voll Eigelb, die am Ende eher im Gesicht, als im Mund der Kleinen landet.

„Man merkt auf jeden Fall, dass sie bereit ist", sagt Iris. „Sie interessiert sich für unser Essen, greift schon danach, und alt genug ist sie auch." Bleibt die Frage, wie ein Baby auf etwas reagiert, das schon die meisten Erwachsenen nicht mögen. Leber? Zu bitter, dieser metallische Geschmack – nein, danke.

Aber kann denn ein Baby, das in seinem Leben noch fast nichts gegessen hat, schon gepolt sein auf Süßes? Immerhin ist Muttermilch süß. Der Löffel will jedenfalls nicht rein. Emilia presst die Lippen zusammen, dreht den Kopf zur Seite, guckt angestrengt. Keine guten Zeichen. „Wir wollen sie ja auch nicht zwingen", sagt Iris. Aber möglicherweise geht es ja in Kombination mit etwas Süßem, Banane vielleicht? Banane geht, aber Leber-Bananen-Brei – für Emilia immer noch pfui.

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Vielleicht ist die Paleo-Ernährung einfach nicht das Richtige für Babys? „Aufgrund ihres hohen Energiebedarfs benötigen Babys tatsächlich relativ viel Fett", sagt Professor Mathilde Kersting. Sie ist die stellvertretende Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE), der deutschen Referenz in Sachen Kinder- und Säuglingsernährung. Besonders cholesterinreich müsse die Beikost aber nicht sein, da Cholesterin auch im Körper gebildet werde. „Die erste Beikost muss eine gute Quelle für Eisen sein, da der Eisenbedarf im zweiten Lebenshalbjahr besonders hoch ist", sagt Kersting.

Aber was ist nun mit Eigelb, Lebertran und Leber? Von Eigelb als Beikost hält die Ernährungswissenschaftlerin wenig – das darin enthaltene Eisen könne vom Körper nicht gut aufgenommen werden, für das Cholesterin seien Milch und Fleisch ausreichend. Und beim Lebertran komme es auf die richtige Dosierung an – zu schwierig in der Handhabung. Zur Leber sagt sie: „Leber ist reich an vielen Nährstoffen, nach ausreichender Erhitzung kann sie ähnlich wie Fleisch in der Beikost eingesetzt werden." Doch rohe Leber eigne sich aus hygienischen Gründen nicht.

Wenn Emilia an diesem Tag tatsächlich etwas von der Leber „gegessen" haben sollte, war es nicht viel–und wohl nicht beabsichtigt. „Vielleicht ist sie ja eher der süße Typ", sagt Leon schmunzelnd. Außerdem müsse seine Tochter ja erst einmal das Essen lernen. Aber versuchen werden die beiden Eltern es sicher noch einmal mit der Leber. Nächstes Mal vielleicht gekocht? Die FKE-Chefin warnt indes vor zu viel Protein, denn das belaste die Nieren des Babys. Wie gut, dass Emilia offenbar auf Banane steht.

UPDATE: Mittlerweile–gut drei Wochen später–scheint Leber zu Emilias Leibspeise geworden zu sein. Allerdings nicht roh, sondern in Butter angebraten. Dafür gäb's sicher auch von der Expertin einen Daumen hoch.

Iris und Leon bloggen–auch über Baby-Ernährung.