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politics of food

Ja, ich esse Robbenfleisch und scheiß auf PETA

"Mir fehlen die Worte, wenn ich daran denke, dass andere Kulturen von ihren natürlichem Ressourcen leben dürfen, während uns das verwehrt bleiben soll."
Foto: Ansgar Walk | Wikimedia Commons

Jetzt mal ganz im Ernst: Ich kann einfach nicht nachvollziehen, was daran logisch sein soll, gegen das Jagen von einer relativ kleinen Gruppe von Tieren zu demonstrieren, wenn du weißt, dass die Jagd auf sie komplett nachhaltig ist. Wenn sich Menschen hinter ihren Computern über Schlachtbetriebe aufregen, in denen millionenfach Tiere gequält und getötet werden, ist das eine Sache. Wir reden aber im Fall von nicht-kommerzieller Robbenjagd von armutsgeplagten Eingeborenen, die nichts weiter fordern, als von ihren lokalen natürlichen Ressourcen leben zu können. Es braucht scheinbar nur ein paar Promis wie Paul McCartney, die sich darüber auslassen, wie süß diese Robben doch sind, damit alle komplett durchdrehen.

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Wenn du vom Land kommst und es deswegen nicht gewohnt bist, dein Essen aus dem Supermarkt um die Ecke beziehen zu können, wirst du im Normalfall ein viel größeres Bewusstsein dafür haben, dass jedes Fleischstück auf ein Lebewesen zurückgeht. Kurioserweise ekeln sich sogar viele Fleischesser vor dem Gedanken, ein totes Tier anfassen zu müssen. Genau aus diesem Grund habe ich das Bild, auf dem mein Kind neben einer toten Robbe liegt, auf Twitter gepostet. Ich wollte mit dem Foto zeigen, dass überhaupt nichts an einem toten Tier eklig ist. Am Ende sind wir alle aus Fleisch und Blut. Und da das Tier sein Leben dafür lassen musste, damit wir unseren Hunger stillen können, sollten wir es ehren und achten.

Jeder, der versucht, mich und meinen Standpunkt schlecht zu machen, sollte im Frühling mal nach Nunavut reisen, wo er mit eigenen Augen erleben könnte, dass es dort so viele Robben gibt, dass man aus der Ferne glauben könnte, jemand hätte mit einer riesigen Pfeffermühle das Eis großflächig bestreut. Mir fehlen die Worte, wenn ich daran denke, dass andere Kulturen von ihren natürlichem Ressourcen leben dürfen, während uns das verwehrt bleiben soll. Viele Leute stimmen mir zu. Kein Wunder, denn das, was ich sage, ergibt einfach nur Sinn. Weißt du, was hingegen gar keinen Sinn ergibt? Dass Tausende von Leuten, die noch nie in ihrem Leben eine Robbe in freier Wildbahn gesehen haben, sich das Recht herausnehmen, im Schutz der Anonymität des Internets gegen mich und andere Befürworter einer kontrollierten Robbenjagd zu hetzen.

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Auch bei MUNCHIES: Politics of Food – Smokies


Die Wahrheit ist doch vielmehr, dass Robben Tierschutzorganisationen eine Menge Geld einbringen, weil eine reiche Frau aus Brooklyn dir keinen 500-Dollar-Scheck ausstellen wird, wenn ihr Fotos von Hühnern zugeschickt werden. Um echtes Mitleid (und damit auch Zahlungsbereitschaft) auszulösen, brauchst du schon das niedliche Gesicht einer Robbe. Bestimmte Personengruppen verdienen sich eine goldene Nase an Robben, und das sind für gewöhnlich gerade solche Personen, die sich nicht einen Lebensraum mit ihnen teilen.

Als mir bei der diesjährigen Verleihung des Polaris Music Prize während meiner Dankesrede "Scheiß auf PETA" rausgerutscht ist, war ich in der enormen Drucksituation, in nur zwei Minuten all das loszuwerden, was ich vor so einem Publikum zu diesem Thema schon immer sagen wollte. PETA hat sich hingegen viele Stunden Zeit gelassen, um meine Rede zu kommentieren, und ihr Statement lässt sich recht prägnant mit "Lies mal mehr zu dem Thema" zusammenfassen! Wo ist da die Logik? Ist das etwa eine von gegenseitigem Respekt geprägte Diskussion? Diese Organisation verunglimpft uns kanadische Ureinwohner schon seit Generationen, und jetzt ist mal endlich jemand auf die große Bühne gestiegen, um sich gegen ihren latenten Rassismus zur Wehr zu setzen. Zugegeben, ich habe mich mit dem Ausspruch nicht von meiner reifsten Seite gezeigt, aber wer mich kennt, weiß nur zu gut, dass ich im Allgemeinen viel fluche, aber im Herzen eigentlich eine warmherzige Person bin.

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Ich finde es echt schwierig, mit Menschen zu diskutieren, die zu einem Thema fanatische Ansichten vertreten. Ich habe keine Lust, mich mit jemandem zu unterhalten, mit dem ein sachliches Gespräch nicht möglich ist. Jedes Mal, wenn ich einen Kommentar oder einen Artikel zu den Themen Feminismus oder Rechte der Inuit poste, gibt es mindestens eine Person, die ein äußerst konstruktives "Oooh, da heult schon wieder jemand rum. Finde dich einfach damit ab" zum Besten gibt. Das werde ich aber nicht. Ich versuche stets, eine Streitfrage von allen möglichen Seiten zu betrachten, und solange du gute Argumente lieferst, werde ich auf meiner Position nicht verharren. Wenn aber jemand meinem Volk die elementarsten Menschenrechte absprechen will, kann ich auf die Unterhaltung gut verzichten.

Was die meisten Menschen nicht verstehen, ist eine genauso simple wie traurige Tatsache: Viele Kinder in indigenen Gemeinden haben Hunger, und das mitansehen zu müssen, tut einfach nur weh. Wie kann man den betroffenen Personen am besten helfen? Als Greenpeace in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts massiv gegen Robbenjagd zu protestieren begann, sind die Selbstmordraten in Nunavut stark angestiegen. Wenn man den Inuit die Perspektive auf ein besseres Leben geben will, muss dafür gesorgt werden, dass sie sich in ihrer Heimat wieder wohlfühlen und die Möglichkeit besitzen, für das Wohl der eigenen Familie sorgen zu können. Wenn du dein Geld mit etwas verdienst, was du wirklich gern und gut machst und was dir erlaubt, deine Kinder zu ernähren, wird es dir dabei helfen, über die wirtschaftlichen und sozialen Probleme deines alltäglichen Lebens hinwegzusehen. Das führt wiederum dazu, dass sich die Lebensqualität vieler Menschen verbessern wird, wodurch mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger indigene Frauen unserer Gemeinde vermisst und ermordet werden. Am Ende hängt das doch alles zusammen.

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Nunavut liegt so weit im Norden, dass es dort keine Bäume mehr gibt. Das Meer ist im Winter bis zu drei Meter tief zugefroren, die ganze Gegend ist also eine einzige (und sehr eisige) Wüstenlandschaft. Gleichzeitig besticht die Region durch ihre raue Schönheit, auch wenn es sehr schwer ist, dort ein würdevolles Leben zu führen. Es gibt beispielsweise keine Gewächshäuser und kaum Straßen. Wenn Essen eingeflogen wird, gefriert es zwangsläufig während des Fluges. Frisches Gemüse gibt es kaum, das meiste ist noch halb gefroren oder welk. Viele Kinder gehen hungrig in die Schule, weil die Eltern kein Geld für Frühstück haben. Das Ganze bricht dir das Herz. Du denkst unentwegt: "Oh Gott, wenn ich ihnen doch nur etwas Gutes tun könnte." Wenn du dich dann in anderen Teilen Kanadas oder im Ausland für sie einsetzen willst, stößt du auf all diese selbstgerechten Menschen, die Robbenjagd verachten, aber gleichzeitig fernab von unserer indigenen Realität in schmucken Häusern wohnen und in ihren örtlichen Supermärkten alles kriegen, was das Herz begehrt (sehr gerne auch teures Fleisch, da wird der Tierschutz-Gedanke einfach mal temporär ausgeschaltet).

Als damals die ersten Kolonialisten und Walfänger nach Nordkanada kamen, war ihnen die Idee von rohem Fleisch zuwider. Dann sind die Leute aber reihenweise an Skorbut gestorben, weil ihnen nicht bewusst war, dass Fleisch roh verzehrt werden muss, damit die Vitamine beim Kochvorgang nicht denaturiert werden. Für mich schmeckt Fleisch am besten, wenn es frisch ist. Darum halte ich auch nicht viel davon, es reifen zu lassen.

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Robbenfleisch ist extrem nährstoffreich – es ist dunkel und hat eine sehr dichte Struktur. Am liebsten esse ich rohe Robbenleber. Ich muss zugeben, dass man sich erstmal an den Geschmack gewöhnen muss, er ist schon sehr intensiv. Vor gewissen Tieren solltest du nicht nur aus geschmacklichen Gründen die Finger lassen, denn ihr Verzehr könnte für dich das Todesurteil bedeuten, wie im Fall von Eisbären. So solltest du niemals ihre Leber essen, weil dich die darin enthaltenen Vitamine umbringen könnten (aufgrund ihrer Vorliebe für Grönlandhunde ist die Leber von Eisbären extrem reich an Vitamin A, das bei Überdosis zu schweren Vergiftungserscheinungen führen kann – Mediziner sprechen von Hypervitaminose A).

Für mich ist Essen eine der größten Freuden am Leben. Das Tolle an meinem Beruf ist die Tatsache, dass ich in zahlreichen Ländern unterwegs bin und deswegen viele Erzeugnisse aus lokaler Produktion probieren kann. Wenn ich mal fern von meiner Heimat Fleisch esse, achte ich stets darauf, dass die Tiere aus artgerechter Haltung stammen. Wenn du jagen gehst, solltest du deine Beute nicht allzu lange verfolgen, weil der daraus resultierende Adrenalinanstieg beim Tier die geschmackliche Qualität des Fleischs beeinträchtigt. Wenn Tiere auf Schlachthöfen getötet werden, wissen sie schon lange vorher, welches Schicksal ihnen blüht. Der Tod liegt dort einfach in der Luft. Und bevor sie (endlich) getötet werden, müssen sie ein kümmerliches Dasein fristen. Isst du ihr Fleisch, ist die Angst der Tiere im Preis inbegriffen. Auf eine solche Art von "Geschmacksverstärker" solltest du – deiner eigenen Gesundheit zuliebe – besser verzichten.

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Viele Leute in meiner Heimat ernähren sich noch überwiegend von dem, was die dortige Natur ihnen bietet. Eine großartige Sache, finde ich, weil du so Mutter Erde respektierst, anstatt sie zu zerstören. Darum sollten wir Inuit eigentlich dafür gelobt werden, dass wir als eine der letzten Kulturen im Einklang mit der Natur leben. Stattdessen aber werden wir von bestimmten Gruppen (die aus niedlichen Robben einen finanziellen Nutzen ziehen) als blutrünstige Unmenschen dargestellt. Schau dir doch einfach nur die naturferne Einstellung vieler Menschen an. Ein Typ hat neulich Folgendes auf meiner Facebook-Seite gepostet: "Das ist doch blanker Wahnsinn, die armen Robben werden in ihrem natürlichem Lebensraum getötet, anstatt in eigens für sie errichteten Schlachthöfen." Was sollst du dazu noch sagen? Verkehrte Welt!

Viele Menschen werden krank, weil sie sich fast ausschließlich von industriell gefertigten Lebensmitteln ernähren. Jeder Mensch sollte Zugang zu gesundem – und dabei erschwinglichem Essen haben. Ich war schon an Orten, wo Limonaden weniger gekostet haben als Wasser. Nirgendwo sollten Leute in dem Irrglauben aufwachsen, dass dieses Zeug in irgendeiner Form gesund sein könnte.

Es ist höchste Zeit, dass wir unserem Planeten und unseren Mitmenschen mit mehr Respekt entgegentreten. Gleichzeitig sollten wir unser Bewusstsein dafür schärfen, was das wahre Übel unserer Zeit ist. Auf keinen Fall ist das für mich die ökologisch nachhaltige Jagd von Robben. Ich hege die Hoffnung und den Wunsch, dass all meine kanadischen Mitbürger und alle Völker dieser Welt eines Tages in einem gedeihlichen Miteinander leben werden. Ich finde, das sollte nicht zu viel verlangt sein.

Aufgezeichnet von Matthew Zuras

Oberes Foto: Ansgar Walk | Wikimedia Commons