FYI.

This story is over 5 years old.

Bäcker

Wie ich als Bäcker zu einem entspannteren Menschen wurde

Weil ich genug von den starren Strukturen und Regeln in meinem Job als Koch hatte, hing ich meine Schürze kurzerhand an den Nagel und eröffnete meine eigene kleine Bäckerei.
Lodge Bread Co.'s loaf. Photos courtesy of Caleb Coppola

Als Koch wird man, egal in welchem Restaurant man arbeitet, irgendwie immer wie ein kleines Kind behandelt.

Du musst die ganze Zeit Regeln befolgen, nach festen Vorgaben arbeiten, die Zutaten jedes Mal in der gleichen Art und Weise schneiden und so weiter. Das ist bei diesem Beruf so. In den letzten 16 Jahren habe ich in vielen Restaurants gearbeitet und war ständig mit diesen extrem starren Strukturen konfrontiert, wodurch ich meine Begeisterungfür Essen verloren habe.

Anzeige

Obwohl ich Küchenchef eines erfolgreichen Restaurants in L.A. war, hat mich das nicht erfüllt. Ich bin extra hierher gezogen, um mein eigenes Restaurant zu eröffnen. Allerdings habe ich schnell festgestellt, dass ich damit nur Zeit totschlage: Ich wollte immer mehr im Leben erreichen. Aber niemand sagt dir, dass es vollkommen in Ordnung ist, der Küche den Rücken zu kehren—schon gar nicht, um sich auf ein kleines kreatives Projekt wie eine Bäckerei zu konzentrieren. Wenn du dann irgendwann doch in einem Anfall von Wahnsinn deine Kochschürze an den Nagel hängst, ist das so, als hättest du einfach aufgegeben: Weil du die Gastronomie verlassen hast, bist du automatisch ein Loser. Meiner Meinung nach ist das aber vollkommen OK. Auch vor drastischen Entscheidungen sollte man keine Angst haben.

lodge_pizza_night

Als ich das Brotbacken für mich entdeckt habe, wollte ich unbedingt aus dem Kochberuf raus und meine eigene kleine Bäckerei eröffnen. Durch das Backen habe ich gelernt, loszulassen. Während meiner gesamten Laufbahn als Koch habe ich immer das Gegenteil getan, daher war es nicht einfach, jetzt alle Regeln über Bord zu werfen. Jeden Tag ist das eine neue Herausforderung für mich. Brot hat mich dadurch auch gerettet.

Jeden kleinen Fehler bäckt man also in das Brot ein. Erst am nächsten Tag lernt man daraus und versucht, ein besseres Brot zu backen.

Vor einem Jahr habe ich als Koch aufgehört und ich gewöhne mich nur langsam daran, dass es in Ordnung ist, wenn alles mit Mehl eingestaubt ist und dass alles nicht mehr so strukturiert ist. Meine alten Freunde sind immer noch sauer auf mich, dass ich mit dem Kochen aufgehört habe. Aber das ist mir egal.

Anzeige

Als Koch kann man sich ein neues Gericht überlegen oder die Karte neu gestalten. Wenn das dann bei den Kunden nicht ankommt, kann man einfach alles austauschen und etwas komplett Neues ausprobieren. Beim Brot gibt es nur einen Versuch: An einem 18-Stunden-Tag muss man ein perfektes Brot hinbekommen.Jeden kleinen Fehler bäckt man also in das Brot ein. Erst am nächsten Tag lernt man daraus und versucht, ein besseres Brot zu backen.

Den Wandel vom Koch zum Bäcker vergleiche ich gern mit einem Drogen- oder Alkoholentzug, eine befreiende Transformation.Bäcker sind wie Hippies, die einfach entspannt das Leben genießen, also das komplette Gegenteil zum Koch. Auf der High School war ich die ganze Zeit high und hätte so fast meinen Abschluss nicht geschafft und die Kochschule habe ich einfach hingeschmissen. Backen passt also einfach zu mir.Es gibt mir ein befreiendes und inspirierendes Gefühl, genauso wie damals beim Skaten.

Wenn man sich für eine Bäckerkarriere entscheidet, darf man sich nicht um den Mainstream kümmern und es muss einem egal sein, was die Leute wollen oder von dir halten. Du musst dich damit abfinden, dass du pro Tag nur 250 Brote backen kannst und dass viele Kunden es scheiße finden, wenn deine Waren schon früh ausverkauft sind. Auch muss dir klar sein, dass du dein Brot nicht an jeden Bio-Supermarktverkaufen kannst und du nicht, die ganze Zeit auf Expansion und Werbung aus bist, wie in der Gastronomie sonst üblich.

Anzeige
lodge_dark_bread

Als mir dasbewusst wurde, hab ich meine Schlüssel abgegeben, meine Kündigung eingereicht und bin gegangen. Mein damaliger Kollege und jetziger Geschäftspartner hat noch am selben Tag genau das Gleiche getan.

An diesem Abend haben wir ungefähr vier Joints geraucht und darüber gequatscht, eine Bäckerei zu eröffnen. In nur einem Tag haben wir einen Geschäfts- und Budgetplan aufgestellt. Mein Ex-Mitbewohner hatte ein Haus in Marina del Rey und bot uns an, in seinem dürftigen Carport, der nur mit ein paar Neonlampen beleuchtet war, zu backen. Nach zwei Wochen hatten wir uns einen miserablen gebrauchten Ofen aus dem Gastrohandel geholt und haben mit dem Brotbacken angefangen.

Das wollten wir 30 Tage lang so durchziehen—aber unsere Carport-Bäckerei lief zehn (geniale) Monate lang. Damit die Nachbarn nicht die Behörden riefen, mussten wir ihnen immer Gratisbrot geben. Oh ja, wir hatten Ratten, die Mehl im Wert von mehreren Hundert Dollar gefressen haben. Eines Tages klaute uns eine Eichhörnchen-Gang sogar ein Brot. Es war verrückt, aber die coolste Zeit, die wir je hatten.

Das Beste: Unsere Bäckerei haben wir später ganz in der Nähe des Carports aufgemacht. Die Nachbarn, die uns damals noch mit den Behörden gedroht haben, sind jetzt unsere Stammkunden. Vor allem aber habe ich durch das Backen meine Begeisterung für Essen wiederentdeckt.

Niemand schreibt mir vor, wann ich zur Arbeit kommen muss und ich kann beim Backen so laut Musik—2Pac, E40, Reggae und Slayer—hören, wie ich will.

Aufgezeichnet von Javier Cabral.