Die „vegetarierunfreundlichste" Küche der Welt denkt um
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Vegetarier

Die „vegetarierunfreundlichste" Küche der Welt denkt um

Sally Butcher, Yotam Ottolenghi und Sabrina Ghayour beweisen: Persische Küche liegt im Trend. Besonders die iranische galt bisher als eine der vegetarierunfreundlichsten Küchen der Welt. Doch dank innovativen Köchen und gesundheitsbewussten jungen...

Persische Küche ist angesagt: Yotam Ottolenghi hat den Trend angeführt und mit seinen Büchern Zutaten wie Granatapfelsirup und getrocknete Limetten dem geneigten Hobbykoch nahe gebracht. Kochbücher wie Veggiestan und Snackistan von Sally Butcher oder Persiana von Sabrina Ghayour haben sich zu großen internationalen Erfolgen gemausert. Doch traditionelle persische Küche, wie man sie in Restaurants in Frankfurt, Berlin, London und L.A. aufgetischt bekommt, ist vor allem eines: vegetarierfeindlich. Lange Spieße mit gegrilltem Lamm- und Rindsfilet auf riesigen Reisbergen und Schmorgerichte mit Fleisch, Fleisch und noch mehr Fleisch.

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Im Land selber ist die Lage ähnlich, auf Reiseblogs und in Reiseforen heißt es allenthalben, Iran sei das vegetarierunfreundlichste Land der Welt—und das muss bei Konkurrenten wie Argentinien etwas heißen. Ein Essen ohne Fleisch sehen Iraner generell nicht als „richtige" Mahlzeit an. Nicht einmal Frühstück und Street Food sind vor Fleisch sicher: So wird Halim, das traditionelle iranische Pendant von süßem Porridge, mit Truthahn gekocht und sogar die erst seit kurzem auf iranischen Straßen angebotenen Falafel werden mit gehacktem Hühnerfleisch „iranisiert". Einige traditionelle vegetarische Gerichte gibt es zwar, wie die persische Kräutertortilla Kuku, doch sie spielen als Hauptgerichte kaum eine Rolle oder werden als Arme-Leute-Küche belächelt.

iranMezze

Vegetarische, iranische Mezze

Sally Butcher, ausgewiesene Expertin, was persische Küche und Vegetariertum angeht, vermutet, dass das viel mit Status zu tun hat: „Kein Fleisch zu essen, ist für viele noch gleichbedeutend mit Armut." Sie selber kam zur iranischen Küche durch ihren Ehemann, mit dem sie seit 14 Jahren im Londoner Stadtteil Peckham das persische Feinkostgeschäft Persepolis führt: „Ich habe in all den Jahren nur drei iranische Vegetarier kennengelernt. Die meisten anderen sind absolut schockiert von dem Gedanken, kein Fleisch zu essen." Die passionierte Köchin fing irgendwann an, Rezepte für ihren Kundennewsletter zu entwickeln, und daraus entwickelte sich dann der Bestseller Veggiestan. Ihr kleines Geschäft, wo man ihre Kreationen probieren kann, mauserte sich zum Deli. „Klar, wenn Iraner auswärts essen, gibt es immer Kebab. Sie lieben es einfach, über offenem Feuer zu grillen. Doch die Schmorgerichte, die man im Alltag isst, werden mit sehr wenig Fleisch zubereitet." Nicht nur iranische, sondern viele Küchen im Nahen Osten, bauen darauf auf, dass von einem Stück Fleisch Gerichte für eine ganze Woche gekocht werden. Dabei kommt alles zur Verwendung: Fleisch, Knochen, nichts wird verschwendet. Die Hauptrolle, insbesondere in der persischen Küche, spielen saisonales Gemüse, Kräuter und Gewürze.

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Sally

Sally Butcher vor ihren Rezepten

Sally ist selbst keine begeisterte Fleischesserin und fing deshalb irgendwann an, es einfach wegzulassen und gegen andere Zutaten auszutauschen: „Wir haben vor ein paar Tagen den typisch iranischen Olivieh-Salat, eine Art Kartoffelsalat, das erste Mal vegetarisch zubereitet. Bei der Blindverkostung hat keiner in der Verwandtschaft gemerkt, dass da kein Huhn drin war!" Immer öfter probieren auch iranische Kunden ihre Interpretationen und sind überrascht, wie gut Granatapfel-Walnuss-Sauce auch ohne Fleischbällchen schmecken kann.

Doch auch im Iran selbst gibt es Anzeichen für einen Wandel: Seit weit über 30 Jahren behauptet sich schon das Restaurant Ananda in Teheran, das lange als einziges dezidiert vegetarisches Restaurant des Landes von dem kleinen iranischen Vegetarierverband betrieben wurde. Mittlerweile konkurriert es mit neuen vegetarischen Delis und schicken Restaurants für Oberklasse und Touristen. Gerade bei der urbanen, gut ausgebildeten Jugend findet der Vegetarismus einige neue Anhänger—was auch teilweise mit Rebellion gegen Traditionen, Familie und Gesellschaft zusammenhängt. Ein weiterer Motivationsfaktor sind Gesundheit und Fitness: „In iranischen Medien habe ich ein Umdenken beobachtet, Iraner sowohl im Land selbst wie auch im Ausland interessieren sich immer mehr für gesunde Ernährung und scheinen, ihren Fleischkonsum reduzieren zu wollen." Die Gründe liefern medizinische Studien aus dem Iran, die die hohen Zahlen an Herzkrankheiten im Land mit der Ernährung der Bevölkerung erklären. Das beschert nicht nur der iranischen Vereinigung der Vegetarier Zulauf, sondern sorgt für großes Interesse an der Rawfood-Bewegung, die in vielen der größeren Städte mittlerweile Treffen veranstaltet und besonders unter besser gestellten iranischen Hausfrauen große Fans gefunden hat.

Suppe

Eines der wenigen traditionell iranischen, vegetarischen Gerichte aus Bohnen, Eiern, Eis und Brühe.

Ob nun ein Umdenken aus medizinischen, politischen oder persönlichen Gründen – am Wichtigsten ist doch, dass es schmeckt. Sally konnte sogar ihre Schwiegermutter überzeugen: „Sie wird nie Vegetarier werden – sie ist Iranerin, natürlich isst sie Fleisch. Oft ist sie aber ganz überrascht, wie authentisch die Gerichte auch ohne Fleisch schmecken können. Mittlerweile akzeptiert sie es als eine Lebensphilosophie, und als eine sehr leckere noch dazu."