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Restaurant Confessionals

In der Küche lernt man, wie man sich schlägt - und wie man eine Schlägerei beendet

Hitze, Egos, Druck, Enge. Wut, Messer, Kühlräume, Stress.

Willkommen zurück zu den Restaurant Confessionals, wo wir den Leuten aus der Gastronomie eine Stimme geben, die ansonsten viel zu selten zu Wort kommen. Hier erfährst du, was sich hinter den Kulissen in deinen Lieblingsrestaurants so alles abspielt. Dieses Mal erfahren wir, wie man einen Faustkampf in der Küche schlichtet.

In vielen Berufenund Branchengibt es irgendwann den Moment, wo der Schüler besser wird als sein Meister. Wenn so etwas jedoch in einer Küche passiert—ein vor Stolz, Selbstbewusstsein und Ego nur so strotzender Ort—, können sich Spannungen ziemlich spontan und intensiv entladen.

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In meinem Fall war der „Schüler" ein Junge, den ich anfangs als Tellerwäscher eingestellt hatte und der sich dann zu meinem wichtigsten Hilfskoch fürs Tagesgeschäft hochgearbeitet hatte. Sein „Meister" hat das Abendgeschäft übernommen. Ich habe mitbekommen, wie sich zwischen den beiden jeden Tag mehr Spannung aufbaute. Wenn man mit ihnen arbeitete, war es ein bisschen so, als wäre man in einem Viertel, wo sich zwei Gangs einen erbitterten Krieg liefern. Irgendwann wurde die Stimmung richtig geladen,es herrschte extrem dicke Luft.

Eines Tages, als es während der Mittagszeit gerade richtig rund ging, kam ich in die Küche und es passierte: Der erfahrenere Koch schrie „Chinga tu madre!" [Fick deine Mutter!] und sein jüngerer Kollege antwortete nur: „Fick dich!" In genau diesem Moment waren sie nicht mehr Schüler und Lehrer, sondern gleichwertig.Im nächsten Moment schleuderten sie sich gegenseitig durch die Küche und kamen gefährlich nah an die Fritteuse. Der jüngere von beiden wog mindestens 110 Kilo und war 1,60 groß, sein Mentor war 1,70 und wog gut 85 Kilo. Ich musste die Situation sofort entschärfen.

Mittags wollen die Kunden so schnell wie möglich fertig sein, da gibt es keinen Platz für irgendwelche Fehler in der Küche—oder schlimmer noch: dass sich Köche wegen der Fehler angreifen. Und wir haben auch noch eine offene Küche.

Zuerst griff ich mir den Jungen und schrie ihn an: „Schau mich an, du Arsch! Schau mich an!" Den Alten schickte ich raus, er sollte ein Runde gehen, und ging mit dem Jungen in den Kühlraum, während ich dem dritten Koch noch zurief, dass er den Tellerwäscher holen sollte, um ihm schnell beizubringen, wie man Salate anrichtet. Die beiden mussten jetzt irgendwie die restlichen acht Bons der Mittagszeit fertig machen. Viele wissen nicht, dass die Mittagsschicht in einem Restaurant viel stressiger ist als das Abendgeschäft: Mittags wollen die Kunden so schnell wie möglich fertig sein, da gibt es keinen Platz für irgendwelche Fehler in der Küche—oder schlimmer noch: dass sich Köche wegen der Fehler angreifen.

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Und wir haben auch noch eine offene Küche.

Im Kühlraum habe ich dem Jungen dann gesagt, dass er sich verdammt noch mal beruhigen soll. Die Leute denken immer, dass der Kühlraum einfach nur ein Kühlraum ist, aber ich schwöre: Seit ich in der Gastronomie arbeite, ist das mein persönlicher Zufluchtsort. Ich bin sicher, dass viele dank dieses Ortes keinen Nervenzusammenbruch erlitten oder—schlimmer noch—Selbstmord begangen haben. Hier kann man einfach runterkommen.Und noch besser: Hier gibt es keine Kameras, man hört nur das leise Summen der Lüftung. Und hier ist es natürlich etwas kühler, was einfach toll ist, wenn man stundenlang vor dem heißen Herd gestanden hat.

Ich meinte nur zu ihm: „Junge, was ist dein Problem?" Er antwortete: „Ich wollte nur meine Arbeit gut machen." Am Ende stellte sich heraus, dass er von seinem eigentlichen Mentor die ganze Zeit herumkommandiert und gemobbt wurde und er keinen Bock mehr darauf hatte. Als er das endlich losgeworden war, wusste ich nicht, ob ich auf ihn sauer sein, ihn dafür abmahnen oder ihn umarmen sollte. Natürlich will ich, dass meine Mitarbeiter mit einem gewissen Stolz an ihre Arbeit rangehen und es ihnen wichtig ist, dass sie als Teil meines Teams gutes Essen machen, aber ein Kampf löst nicht das Problem.Wir waren eine Zeit lang im Kühlraum und als ich ihn beruhigt hatte, ging ich nach draußen, um mit seinem Mentor zu reden.

Ich meinte zu ihnen: „Hier ist niemand größer oder kleiner als der andere. Scheiß auf euren Stolz, scheiß auf meinen Stolz. Am Ende zählen nur das Essen und die Gäste."

Ich sagte ihm: „Ihr beide seit jetzt gleichwertig, also lass ihn." Das Verrückte an der Arbeit in der Küche ist, dass man zwar befördert werden kann und immer weiter aufsteigt, oft aber weiter wie ein Stück Dreck behandelt wird. Um die ganze Situation noch zu verschlimmern, passierte all das an einem Freitag und wir lagen weit zurück mit den Vorbereitungen für einen großen Cateringauftrag.

Ich bin mit den beiden dann in die Küche gegangen, sie sollten sich gegenüberstehen und sich in die Augen schauen. Ich meinte zu ihnen: „Hier ist niemand größer oder kleiner als der andere. Scheiß auf euren Stolz, scheiß auf meinen Stolz. Am Ende zählen nur das Essen und die Gäste." Ich hab sie dann gezwungen, sich zu umarmen und ihre Wut am Herd abzukochen. Wenn sie das nicht getan hätten, hätte ich sie auf der Stelle gefeuert. Sie haben sich umarmt und als das Abendgeschäft vorbei war, hat der Ältere zum Jüngeren gesagt: „Es tut mir leid, Junge. Ich hab dich lieb."

Köche sind Künstler, die mit Leib, Seele und viel Stolz kochen. Wir haben den Vorfall alle vergessen und sechs Monate später wurde dem „Schüler" klar, dass er eher Koch ist und weniger eine Führungspersönlichkeit. Sein „Mentor" ist jetzt mein Souschef und beide arbeiten friedlich nebeneinander.

Aufgezeichnet von Javier Cabral