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Gefängnis

Gefängnisessen in den USA: Wenn der einzige Lichtblick zum Horror wird

Während meiner sieben Monate in einem amerikanischen Bezirksgefängnis erlebte ich ein kulinarisches Desaster, für das Aramark verantwortlich war—ein privates Unternehmen, das beschuldigt wurde, Häftlingen verrottetes Essen zu servieren.

Als ehemaliger Jugendstraftäter mit einer Hollywood-Gang-artigen Beziehung zum Gesetz hatte ich schon öfter das Essen in der Ausnüchterungszelle erlebt und dachte, ich wäre darauf vorbereitet, was mich in der Kantine eines Bezirksgefängnisses erwarten würde, nachdem mein Verhalten mir einen längeren Aufenthalt beschert hatte.

Als ich meine siebenmonatige Haftstrafe antrat, wurde jedoch schnell klar, dass ich mir das Ausmaß des kulinarischen Horrors, der mich erwarten sollte, niemals ausmalen könnte hätte.

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Wenn man mal die Möglichkeit außer Acht lässt, dass wir tatsächlich Müll zu essen bekamen—eine berechtigte Sorge in Michigan—, kann man sich die cartoon-artigen Gerichte wie Suppe mit Lyoner-Wurst, die uns vorgesetzt wurden, nicht vorstellen. Dass die „Fleischbällchen" in leuchtend grauer Sauce ein Grund zu Freude sein würden, weil sie das Beste waren, was aus dieser Küche kam, konnte ihn ja nicht ahnen.

Die Wellen der Verzweiflung, die einen überkommen, wenn man getrocknete Bohnen aus dem Gefängnisladen kauft und sie mit lauwarmem Wasser in einer von Fruchtfliegen befallenen Dusche „kocht", die gleichzeitig auch als Waschmaschine dient, kann mich sich ebenfalls nicht vorstellen.

Man war gerade dabei, Aramark nach ein paar schrecklichen Vorfällen mit verdorbenem Essen, unhygienischen Bedingungen und anderen alarmierenden Verstößen gegen Gesundheitsvorschriften aus den Michiganer Gefängnisküchen zu vertreiben.

Der Geschmack war jedoch im Vergleich zum ständigen Hungergefühl gar nichts. Es kam zwar nicht vor, dass jemand buchstäblich verhungerte, aber um 15:30 Uhr bekamen wir Abendessen, vier Scheiben feuchtes Weißbrot mit ein bisschen schwitzender Lyoner und zwei Kekse. Und alles, was wir zwischen dem Mittagessen um 10:30 Uhr und dem Frühstück um 4:30 aßen, war ein kleiner Snack.

Innerhalb weniger Wochen verlor ich durch die Kombination von zu wenig Kalorien, ungenießbarem Essen und kleinen Portionen zehn Kilo und das obwohl ich davor schon spindeldürr war. Tagsüber diskutierten mein Zellengenosse und ich, welches Restaurant in Detroit das Reuben-Sandwich mit dem meisten Fleisch hatte und wir versuchten, uns gegenseitig mit unseren Kartoffelsalatrezepten zu übertrumpfen. In der Nacht träumte ich von Pizza und Gyros.

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Was wir auch nie gedacht hätten, war, dass das Unternehmen, das für unsere Verpflegung zuständig war—Aramark—, 2014 in Ohio 240 Mal angezeigt wurde, weil es dafür verantwortlich war, dass Häftlingen zu wenig zu essen gegeben wurde, laut ACLU. Während ich im Gefängnis war, war man gerade dabei, Aramark nach ein paar schrecklichen Vorfällen mit verdorbenem Essen, unhygienischen Bedingungen und anderen alarmierenden Verstößen gegen Gesundheitsvorschriften aus den Michiganer Gefängnisküchen zu vertreiben.

In den letzten zehn Jahren sorgte Aramarks verrottetes Essen und die niedrigen Kalorienzahlen für genügend Aufstände, Hungerstreiks, Gewalt und Proteste, dass einige Stimme in und um die Gefängnisindustrie seine Rezeptbücher im Grunde als Sicherheitsbedrohung bezeichnen.

Um eins klarzustellen: Keiner verlangt von Wärtern, dass sie das Silberbesteck polieren und ein üppiges Büffet für einen Haufen Schläger, Schwachköpfe, Vergewaltiger und Mörder auftischen.

Im Juli, kurz nach meiner Entlassung, kündigte Michigan seinen 145 Million Dollar schweren, drei-jährigen Vertrag mit Aramark—trotzdem bleibt es weiterhin das größte Unternehmen in den amerikanischen Gefängnisküchen,auch wenn sich die Probleme im ganzen Land ausgebreitet haben.

Um eins klarzustellen: Keiner verlangt von Wärtern, dass sie das Silberbesteck polieren und ein Büffet für einen Haufen Schläger, Schwachköpfe, Vergewaltiger und Mörder auftischen. Man findet auch vernünftige Argumente, wieso Gefängnisessen beschissen sein sollte, aber was es nicht sein sollte, ist verrottet, von Maden befallen, aus dem Müll geholt, mit Rattenkot gespickt oder sonst auf irgendeine Art und Weise verdorben.

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Das Mittagessen sollte auch nicht so übel sein, dass es die Gefängnishöfe destabilisiert. Das passiert aber immer wieder in Gefängnissen, deren Küchen von Aramark betrieben werden, sagt Mike Brickner, der Senior Policy Director der ACLU Ohio.

„Gefängnisse sind sehr sensible Umgebungen und Dinge wie Essen werden für Leute, die inhaftiert sind, sehr wichtig. Es ist ein Sicherheitsproblem für andere Gefangene und Vollzugsbeamte", sagt er. „Was wir mit Aramark und der Privatisierung der Lebensmittelversorgung beobachten, ist, dass es die Situation chaotisch macht."

Aramark-Angestellte wurden erwischt, wie sie mit Häftlingen vögelten und Drogen und Handys schmuggelten. Ein ehemaliger Mitarbeiter in Michigan wird angeklagt, weil er den Mord eines Häftlings in Auftrag gegeben haben soll.

Aramark ist der größte institutionalisierte Lebensmittelkonzern, dessen Kunden Gefängnisse, Nationalparks, Krankenhäuser, Schulen und Baseballstadien sind. Jedes Jahr bereiten seine Mitarbeiter 380.000.000 Mahlzeiten in über 500 Gefangenenlagern zu. Diese Zahl sinkt aber in letzter Zeit, weil sich Aramark—unter anderem durch die bekannten Vorfälle in Michigan und Ohio —als Aushängeschild für alles, was an der Privatisierung falsch ist, etabliert.

Während der letzten 18 Monate wurden Aramark-Mitarbeiter anscheinend dabei erwischt, wie sie Essen aus dem Müll holten, um es noch einmal zu servieren und Häftlinge anwiesen, Kuchen zu verteilen, an denen Ratten genagt hatten. Häftlinge in einem Gefängnis entdeckten Rattenkot auf ihren Tabletts und zwei der Gefängnisse des Bundesstaates zählten ingesamt 15 „Vorfälle in Zusammenhang mit Maden", darunter einer in Jackson, Michigan, wo 30 kranke Häftlinge unter Quarantäne gestellt wurden. In Kent County, Michigan, verklagen 16 Häftlinge Aramark beim Bundesgericht, weil Angestellte des Unternehmens Gefangenen wissentlich verdorbene Chicken-Tacos serviert haben sollen, woraufhin 250 erkrankten. Und in Macomb County, Michigan, bekamen die Häftlinge monatelang nur kaltes Essen, nachdem die Küche nach einem Schimmelbefall geschlossen werden musste.

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Aramark-Angestellte in beiden Bundesstaaten wurden erwischt, wie sie mit Häftlingen vögelten und Drogen und Handys schmuggelten. Ein ehemaliger Mitarbeiter in Michigan wird angeklagt, weil er den Mord eines Häftlings in Auftrag gegeben haben soll. Laut ACLU und Überwachungsgruppen sollen hunderte von Aramark-Angestellten in jedem der Bundesstaaten entlassen worden sein.

Anders als Michigan entschied sich Ohio im Juni, den Vertrag mit Aramark um 24 Monate zu verlängern und die Vergütung von umgerechnet gut 97 auf mehr als 114 Millionen Euro zu erhöhen, und es geht genau gleich weiter, sagt Brickner.

Findet es die amerikanische Gesellschaft akzeptabel, Leuten Müll, verrottete Nahrungsmittel und Maden zu essen zu geben, wenn die Steuerzahler des Bundesstaates dadurch 14 Millionen Dollar pro Jahr sparen?

„Es widerspricht wirklich gegen alle Logik, dass ein Bundesstaat weiterhin mit Aramark zusammenarbeiten möchte, wenn es so deutlich ist, dass es seit der Privatisierung nicht mehr funktioniert", sagt er. „Keiner hier sagt, die Leute sollten jeden Tag Hummer bekommen, wir sagen einfach nur: ‚Sorgt dafür, dass die Leute, die eingesperrt sind, das absolute Minimum bekommen, was Essen und das, was ihr Körper zum Überleben braucht, anbelangt.'"

In anderen Bundesstaaten wie Kentucky, New Jersey und Florida ist die Situation ähnlich. Angefangen von verseuchtem Essen, schwerem Gewichtsverlust und Rattenkot im Essen sind Probleme, die sich auch durch die anderen Bundesstaaten ziehen. Das Florida Department of Correction trennte sich 2009 von Aramark, nachdem das Unternehmen umgerechnet 4,4 Millionen Euro für Mahlzeiten in Rechnung stellte, die das Unternehmen die gemacht hatte.

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In Kentucky führte das Essen von Aramark 2009 zu einem Aufstand, bei dem acht Gefängniswärter und acht Häftlinge verletzt wurden. Im Internet muss man nicht lange nach ähnlichen Geschichten suchen.

Trotzdem unterzeichnen Regierungen immer wieder Deals mit dem Unternehmen, weil sie dadurch scheinbar Geld sparen. Michigan und Ohio sollen rund 14 Millionen Dollar (mehr als 12 Millionen Euro) pro Jahr sparen, die für andere „unerlässliche" Programme eingesetzt werden können, so die Aramark-Pressesprecherin Karen Cutler.

Angesichts Aramarks zweifelhafter Erfolgsbilanz stellt sich die Frage: Findet es die amerikanische Gesellschaft akzeptabel, Leuten Müll, verrottete Nahrungsmittel und Maden zu essen zu geben, wenn die Steuerzahler des Bundesstaates dadurch 14 Millionen Dollar pro Jahr sparen?

Mitte Juli, inmitten der Empörung der Öffentlichkeit, schien es, als würden der Gouverneur von Michigan sowie das Michigan Department of Correction klar Stellung beziehen, als sie den Vertrag mit Aramark kündigten. Der Bundesstaat stellte jedoch klar, dass die Maden nicht der Grund für ihre Entscheidung waren, sondern Aramarks Forderung nach einer höheren Vergütung.

Auch wenn es der republikanischen Regierung des Bundesstaates zwar nichts auszumachen scheint, dass Aramarks Essen Häftlinge krank macht, erkennt sie jedoch an, dass es ein ziemlich schlechtes Licht auf die Privatisierung wirft, wenn regelmäßig Ausdrücke wie „partielle Quarantäne" und „Madenplage" in den Schlagzeilen auftauchen.

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Wenn man anfängt, schlechteres Essen und kleinere Mengen zu servieren, schafft man schwerwiegende Sicherheitsprobleme.

Doch der Staat hat sich nur für ein anderes privates Unternehmen entschieden. Für Alex Friedmann, den stellvertretenden Leiter des Human Rights Defense Center und Redaktionsleiter von Prison Legal News, ist das eine schlechte Entscheidung. Er erklärt, der Sinn der Privatisierung von Gefängnisessen liege darin, Kosten zu reduzieren und das kann nur erreicht werden, indem man die Lebensmittelqualität senkt, kleinere Portionen serviert oder Mitarbeiter entlässt—die Ursache für Aramarks Probleme und der aller anderer privater Anbieter.

Friedmann, der selbst zehn Jahre inhaftiert war, spricht aus Erfahrung, wenn er sagt, dass die Mahlzeiten einige der wenigen Dinge sind, auf die sich Häftlinge jeden Tag freuen können. Mit Essen herumzupfuschen, ist „nicht clever".

„Im Gefängnis verlieren die Häftlinge alles—ihre Rechte, ihre Besitztümer, ihre Fähigkeit, sich frei zu bewegen und sie sind komplett der Gnade der Gefängniswärter unterworfen. Deshalb ist Essen unglaublich wichtig. Wenn man anfängt, schlechteres Essen und kleinere Mengen zu servieren, schafft man schwerwiegende Sicherheitsprobleme."

Wenn man die Zeit im Gefängnis überleben will, ohne den Verstand zu verlieren, geht es darum, die Zeit irgendwie totzuschlagen und Hunger macht das verdammt schwierig.

Diejenigen, die draußen Leute kennen, können sich Geld für den Gefängnisladen gutschreiben lassen und aus den salzigen Snacks, getrockneten Bohnen, Tortillas, Süßigkeiten, Thunfisch, Chips, Beef-Sticks und anderem Junkfood auswählen. Aus den dort erhältlichen Zutaten kann man einen Burrito mit der Größe eines Fußballs zubereiten und die können manchmal einen unerträglichen Tag durch ein bisschen Abwechslung, die in Gefängnissen generell rar ist, ganz in Ordnung machen.

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Wenn genügend Tage in Ordnung sind, scheint die Zeit vielleicht nicht mehr ganz so still zu stehen.

Aber sogar der Laden im Gefängnis ist fragwürdig. Die Produkte kosten meistens ungefähr doppelt so viel wie draußen und Häftlinge kaufen die Snacks von Aramark, was wiederum zu der Vermutung führte, dass Aramark einen Anreiz hat, die Inhaftierten hungern zu lassen.

Ja, eine Made ist eklig und genau genommen ein Verstoß gegen die Verfassung, aber ein Häftling müsste zuerst einen Schaden, ein Leid oder ein anhaltendes Muster beweisen können, die man in Form einer Sammelklage vor Gericht bringen könnte.

Die Mahlzeiten enthalten also zu wenige Kalorien, schmecken wie Müll (weil sie es vielleicht auch sind) und könnten verdorben sein. Was kann ein Häftling dagegen unternehmen?

Nicht viel.

Einzelklagen werden nicht funktionieren, sagt Dan Manville, Leiter der Civil Rights Clinic an der Michigan State University.Ja, eine Made ist eklig und genau genommen ein Verstoß gegen die Verfassung, aber ein Häftling müsste zuerst einen Schaden, ein Leid oder ein anhaltendes Muster beweisen können, die man in Form einer Sammelklage vor Gericht bringen könnte. Ein paar Maden und ein paar Kalorien zu wenig werden nicht ausreichen.

„Wenn man nicht beweisen kann, dass man wirklich abgenommen hat, wird das Gericht keinen Schaden feststellen. Man bekommt am nächsten Tag zu essen. Ja, man hat Hunger, aber es besteht kein anhaltender Schaden", sagt Manville.

Glücklicherweise haben Michigan, Ohio, Florida und weitere Bundesstaaten Aramark mit einem Bußgeld von mehreren hunderttausend Dollar belegt. Michigan hob insgeheim die Hälfte des Bußgelds wieder auf und keiner kann mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob das Unternehmen je einen Groschen bezahlt hat.

Brickner glaubt, das öffentliche Bewusstsein ist der beste Weg zu einer Veränderung. Bevor Michigan den Vertrag kündigte, zeigte eine Umfrage im Bundesstaat, dass 62 Prozent der Einwohner Aramark weg haben wollten und das könnte daran liegen, dass es sich bei den Häftlingen zwar um Kriminelle handelt, die meisten Leute sind aber trotzdem der Meinung, dass ein menschlicher Umgang die Pflicht eines Erste-Welt-Landes ist.

„Wir wollen dafür sorgen, dass sie sich in einer Umgebung befinden, die ihre Rehabilitation begünstigt und das ist an einem Ort, an dem sich Leute über Essen streiten, nicht der Fall", sagt Brickner. „Ist es clever, dafür zu sorgen, dass diese Leute menschlich behandelt werden, während sie eingesperrt sind."