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Konditor

Der beste Job in der Küche ist der des Konditors

Als Konditor hast du nicht nur großen kreativen Freiraum, die Leute vertrauen auch dir und deiner Fantasie. Niemand legt sich mit dem Konditor an.

Männlich, Konditor, 28, London

Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich später mal Konditor werde. Ich wuchs in Neuseeland auf und es war immer mein Traum, so ein Koch wie Gordon Ramsay zu werden: stur und großtuerisch würde ich mich nicht davor scheuen, meine Autorität und mein Können zur Schau zu stellen. Dieser Tagtraum löste sich schlagartig in Luft auf, als ich in die Gastronomieschule ging. Beim Kochen bist du nämlich viel zu beschäftigt, als dass du ein Vollidiot sein könntest—außer du hast dich bis ganz nach oben gearbeitet und dein gesamter Ruf hängt davon ab, wie gut die anderen deine Gerichte kochen. Als sich mein Ziel, professioneller Koch zu werden gefestigt hatte, hätte ich mich nie dort gesehen, wo ich mich heute befinde; ein stämmiger, 1,80m großer Typ mit Tattoos und einem Bart in der Konditoreiabteilung.

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Eine der wichtigsten Inspirationsquellen für meinen Wunsch, Konditor zu werden, war mit Sicherheit Heston Blumenthal. Der Mann ist ein Zauberer. Ich war schon in der Schule ein Naturwissenschaftsfreak und spielte oft mit Bunsenbrennern und Erlenmeyerkolben herum. Seine Anwendung von Naturwissenschaft und Chemie auf Essen veränderte etwas in meinem Kopf. Ich kann mich noch dran erinnern, wie ich ihn das erste Mal sah, als er flüssigen Stickstoff verwendete und ich mir dabei dachte: „Das ist verdammt cool, ich will das auch machen."

Eigentlich habe ich aber nur Konditorkurse belegt, weil alle anderen voll waren und meine Mama zu mir sagte, wenn ich meinen Hintern nicht bewege und mit meinem Leben etwas anfange, zwingt sie mich, auf einer Milchfarm zu arbeiten und den ganzen Tag Kuhfladen zu schaufeln. Sicher nicht.

Ich dachte mir, ich mache einfach ein paar Semester in der Konditorenschule und wechsle dann irgendwie in die wahre Kochkunst, Wild kochen, das Fleischerhandwerk, französisch Saucen. Bald fand ich heraus, dass die Arbeit als Konditor sehr viel mit Wissenschaft zu tun hatte und ich war entzückt. Alles ist so präzise, es hängt so von Chemikalien und molekularen Strukturen ab und ich ertappe mich dabei, wie ich mir wünschte, dass die Zeit langsamer vergeht. Ich wollte noch so viel lernen. Ich fühlte mich, als wäre ich wieder im Labor—mit dem kleinen Unterschied, dass ich, wenn ich nur gut genug bin, auch dafür bezahlt werden könnte.

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Heute arbeite ich in einem fantastischen Restaurant in London, in dem wir den Gästen nur ein einziges Menü servieren. Als Konditor habe ich deshalb nur drei Gelegenheiten, mich auszuzeichnen: beim Predessert (eine Art Gaumenneutralisierer, meistens wird etwas ausprobiert und wenn es gut ankommt, wird es als richtiges Dessert serviert), beim Dessert und bei den Petits Fours.

Jeder Gang eines Menüs muss perfekt sein, bis hin zu den Petits Fours—sie sind das letzte, was die Leute essen, bevor sie das Lokal verlassen. Eines der absolut leckersten Petits Fours, die ich gegessen habe, war ein Rhabarber-Marshmallow, das in einem Holzofen geschmort wurde, im Lyle's, dem Restaurant von James Lowe. Verdammt, war das gut. Ich verließ das Restaurant und dachte mir: „Diesem Typen liegt echt was daran, dich in gutem Stil nach Hause zu schicken." So sollte es aber auch sein. Ein Petit Four sollte nicht irgendetwas Nebensächliches sein, ein beschissenes kleines Schokoladentrüffel, das in so viel Kakaopulver gewälzt wurde, dass es die Queen Elizabeth 2 versenken könnte. Es gibt keine Entschuldigung. Vor einigen Jahren hatte ich die Freude im noma zu essen. Ihre Knochenmarktoffees (die in ausgehöhlten Knochen serviert werden) waren für mich ein Erweckungserlebnis.

Abgesehen vom offensichtlichen kreativen Freiraum der Arbeit als Konditor, gibt es außerdem für Desserts viel unterschiedlichere Techniken als in jeder anderen Abteilung in der Küche und man kann viel spielerischer arbeiten. Ein weiterer Vorteil ist, dass du im Grunde in Ruhe gelassen wirst. (Ich hoffe echt, dass mein Chef das nicht liest und errät, dass ich es bin). Das wurde mir bei meiner ersten Küchenerfahrung ziemlich schnell klar. Man vertraut auf deine Fantasie. Niemand legt sich mit dem Konditor an.

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Die Arbeit eines Konditors ist etwas so Spezifisches, Wissenschaftliches und technisch Anspruchsvolles und es hängt so von einer unkonventionellen Herangehensweise an alltägliche Dinge ab, dass es dir viel Respekt verschaffen wird, wenn du die Kunst erst einmal beherrschst. Es ist so, als würdest du auf einem anderen Planeten leben. Viele Desserts, die ich in der Vergangenheit gegessen habe, sahen auch definitiv wie von einem anderen Planeten aus, als wäre ein Alien in die Küche marschiert und hätte es aus einem Tentakel auf den Teller gespritzt.

Ein Dessert, so wie es beispielsweise bei uns derzeit auf der Karte steht, kann aus zehn verschiedenen Elementen bestehen, die alle ihren eigenen Herstellungsprozess erfordern. Der Chefkoch des Restaurants (besonders, wenn es nur ein Menü gibt, kommt mir vor) wird das Dessert immer wieder probieren. Im Allgemeinen hast aber du das absolute Entscheidungsrecht—keiner hinterfragt den nerdigen Konditor oder die Inhaltsstoffe, die er verwendet. Vielleicht hinterfragen sie es, wenn du flüssigen Stickstoff für ein süßes Granita mit Kapuzinerkresse verwendest und verdrehen die Augen, wenn sie den kalten quellenden Rauch sehen. Aber dann probieren sie es und sagen, „Ah, OK. Ich verstehe."

Niemand will in ein aufregendes neues Restaurant gehen, besonders, wenn es von einem jungen Team betrieben wird und dann ein Stück Apfelkuchen mit Vanillesauce serviert bekommen. Naja, vielleicht manchmal. Aber ich glaube, grundsätzlich erwarten sich die Leute heutzutage etwas Aufregendes. Sie wollen herausgefordert werden und das verdienen sie auch bei dem Haufen Geld, den sie für einen Restaurantbesuch hinlegen.

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Das Dessert kann eine richtige Überraschung für die Leute sein. Ich sehe wahnsinnig gerne Leuten zu, wie sie ein Dessert serviert bekommen, das aus Zutaten besteht, von denen sie sich nicht vorstellen konnten, dass sie zusammenpassen—wie beispielsweise Schokolade und intensiv riechende Kräuter. Du siehst ihnen an, wie sie sich denken, bäh, und dann probieren sie es und haben ein kleines Aha-Erlebnis. Genau das macht die Arbeit als Konditor so aufregend—es ist ein Spiel mit der Wahrnehmung der Leute.

Die Kunst, den schmalen Grat zwischen Die-Grenzen-gerade-genug-ausweiten-und-trotzdem-noch-lecker-schmecken und der Scheiße-ist-das-eklig-Zone nicht zu überschreiten, macht einen guten Konditor aus. Ein Freund von mir erzählte mir von einem Dessert, das im noma serviert wurde und aus Kartoffelpüree, Pflaumen und Sahne bestand. Also ging ich in die Arbeit und versuchte es so nachzumachen, wie ich mir vorstellte, dass es schmecken würde und ich ersetzte Pflaumen durch Aprikosen.

Es war widerlich. Unglaublich schlecht. Mit diesen Typen kannst du dich einfach nicht messen.

Konditorwaren sind etwas extrem individuelles—du kannst nicht plagiieren, weil es immer irgendwer irgendwo herausfinden wird. Konditoren sind sehr besitzergreifend, wenn es um ihre Kreationen geht. Das macht das Ganze aber auch wieder so aufregend. Es ist ein permanentes Streben nach ultimativer Individualität.

Ich würde jedem jungen Menschen empfehlen, der Koch werden möchte, eine Fachschule für Konditoren zu besuchen. Es geht nicht nur um Macarons, Biskuit und Schweinsohren—obwohl dir die Basistechniken später noch zugutekommen werden. Vielleicht machst du mal Maroni- und Pinienmacarons und kannst jemanden damit begeistern, wie du neue Geschmacksrichtungen mit alten Techniken verbindest. Meiner Meinung nach haben Fleisch, Fisch und Gemüse ihre Limits, egal wie einfallsreich du bist. Als Konditor kannst du alles kreieren. Ich habe sogar schon mein eigenes Bier als Zutat für mein Eis gebraut.

Jede gute Küche braucht einen ausgezeichneten Konditor und davon gibt es nicht so viele. Du wirst wahrscheinlich nie arbeitslos sein und wenn du einmal eine gute Küche gefunden hast, in der du glänzen kannst, wirst du schnell als der Küchennerd gelten. Du könntest dich in keiner besseren Lage befinden. Die Leute respektieren dich. Außerdem ist es kompletter Schwachsinn, wenn du glaubst, es wäre nichts für Männer. In welcher Welt ist es denn noch in Ordnung, der Meinung zu sein, dass Frauen für die Kuchen zuständig sein sollten?

Mich bringt es immer zum Lachen, wenn Leute Bemerkungen in diese Richtung machen. Die Arbeit als Konditor ist eines der männlichsten Dinge, die ich jemals gemacht habe. Flüssiger Stickstoff und die riesigen, blauen Flammen eines Gasbrenners sind nichts für Feiglinge. Und wenn du und ich nur ein bisschen ähnlich sind, dann wirst du als Konditor das Gefühl haben, dass du dafür bezahlt wirst, den ganzen Tag in einem Labor rumzuexperimentieren. Es ist einfach großartig.