Ein ukrainisches Kochbuch zeigt den Weg ins Teigtaschen-Paradies
Alle Fotos von der Autorin

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Kochbuch

Ein ukrainisches Kochbuch zeigt den Weg ins Teigtaschen-Paradies

"In Kochbüchern geht es nicht nur um einen bestimmten Koch“, sagt Olia Hercules, Autorin von 'Mamuschka: Osteuropa kulinarisch entdecken'. "Ich liebe Rezepte, weil sie Geschichten über eine ganze Kultur erzählen."

Ich komme mir vor wie in einem Film: eine kleine Küche mit knallgrünen Wänden, ein kleiner Tisch, Regale, die vor Kochbüchern und Notizheften in verschiedenen Sprachen nur so überquellen, alte Schwarz-Weiß-Fotos von Verwandten aus der Zeit der Sowjetunion, im Hintergrund dudelt leise das Radio…

Inmitten dieser Kulisse steht eine hübsche junge Frau mit buntem Kopftuch und kocht, schneidet und schmort Dinge.

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Die ukrainische Köchin Olia Hercules in ihrer Küche in London. Alle Fotos von der Autorin.

Olia Hercules wurde in der Ukraine geboren, wuchs im griechischen Teil Zyperns auf und lebt und arbeitet heute in London. Wenn es nach ihr geht, sollte die osteuropäische Küche für mehr bekannt werden als nur Borschtsch, Kohl und undefinierbare Pampe.

„Der Ruf der osteuropäischen Küche ist so schlecht, weil Journalisten in den 70ern in den sowjetischen Restaurants schreckliches Essen vorgesetzt wurde", erklärt Olia. „Zu der Zeit war das Essen in keinem Restaurant auf der Welt grandios—du kannst dir also vorstellen, wie es dann in der Sowjetunion war. Man kann so ein großes Land aber nicht nur danach beurteilen."

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Manti-Teigtaschen, gedämpft und gefüllt mit Rind- oder Schweinefleisch.

Egal, was man sich unter 70er-Jahre-Sowjetküche nun vorstellt, die Gerichte von Olia sind meilenweit davon entfernt. Heute versucht sie sich an Mini-Manti.

„Manti sind eigentlich türkisch, werden aber auch viel in Usbekistan gegessen. Meine Großmutter hat sie immer gemacht", erinnert sich Olia.

Manti sind eine Art Teigtaschen—aber nicht die fetttriefenden, teigigen Bällchen, die in einer glibbrigen Brühe schwimmen. Manti sind eher wie große Ravioli oder Dim Sum, von einer dünnen Schicht Teig umhüllt, der nur aus Mehl, Eiern und Wasser besteht. Päckchen gefüllt mit Rind- oder Schweinefleisch und dann gedämpft. Einfach nur lecker.

Olia Hercules wurde in der Südukraine geboren, einem Schmelztiegel verschiedener Kulturen und kulinarischer Einflüsse.

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Rezepte, die Hercules' Küche schmücken.

„Die Halbinsel Krim war ja nicht weit entfernt und einige Krimtataren lebten auch bei uns", erklärt Olia. „Im Osten war Russland, Moldawien war auch ganz in der Nähe. Ich bin also mit verschiedenen Gerichten aufgewachsen. Einige davon waren stark angelehnt, na ja, nicht an die nahöstliche, aber definitiv an die türkische Küche."

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Auch Olias persönliche Geschichte ist von verschiedensten Kulturen geprägt.

„Ich habe eine armenische Tante, die in Aserbaidschan aufgewachsen ist. Meine Großmutter kommt aus Sibirien", erzählt Olia. „Die Bolschewiki waren nicht gerade nett zu ihr und ihrer Familie. Sie entschied sich zu gehen, stieg in einen Zug und fuhr nach Usbekistan in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Auf ihrer Reise traf sie meinen Großvater, einen Ukrainer, und mein Vater wurde schließlich in Taschkent geboren. Die sogenannte „brotreiche Stadt" in Zentralasien war wie ein Magnet für alle, die in Sibirien am Hungertuch nagten. Dort lernte meine Großmutter ein paar Rezepte kennen, bevor sie dann in die Ukraine zog."

Diese bewegte Familiengeschichte spiegelt sich auch in Olias kleiner Küche wider: am Kühlschrank hängen Rezepte in kyrillischer Schrift, in ihren Notizbüchern stehen Rezepte auf Englisch und Ukrainisch, in Gläsern fermentieren Lebensmittel vor sich hin.

„Wenn's etwas abwegig schmeckt, ist es genau mein Ding!", so Olia. „Fermentieren ist etwas typisch osteuropäisches, wir fermentieren viel im Winter und kochen im Sommer mit Kräutern. Ohne geht es nicht! Oh, und Brühe, ganz viel Brühe!"

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Ihr Buch Mamuschka: Osteuropa kulinarisch entdecken ist ein Kompendium osteuropäischer Rezepte, ein kulturelles Allerlei. Ich stelle mir bildlich vor, wie die kleine Olia am Rockzipfel ihrer Großmutter hängt und mit Begeisterung lernt, wie man traditionell ukrainisch kocht.

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Aber Olia holt mich schnell zurück in die Realität:

„Essen war schon immer meine Leidenschaft, egal was. Aber ich muss gestehen, dass ich nie besonders erpicht aufs Kochen war."

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Ihre kulinarische Erleuchtung hatte sie jedoch nicht in der Ukraine oder überhaupt in Osteuropa, sondern in Sizilien, wo sie als Italienisch-Studentin eine Zeit lang lebte. Sie arbeitete als Kellnerin in einem Restaurant und der Besitzer setzte ihr einmal einen Teller Spaghetti mit Seeigeln vor die Nase. Das veränderte alles.

„Das werde ich nie vergessen! Unbegreiflich, wie man aus etwas so Einfachem etwas machen kann, das so unglaublich gut schmeckt", beschreibt Olia dieses Aha-Erlebnis. „Zurück in England kochte ich plötzlich mit Begeisterung. Ich dachte die ganze Zeit nur ans Kochen, träumte sogar davon. Was komisch war, denn Kochen war früher gar nicht so meins."

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Sie bekam einen Job bei Yotam Ottolenghi, später als Food-Stylistin. Eine Reihe glücklicher Zufälle führte dann dazu, dass sie ein Kochbuch mit den Rezepten ihrer Kindheit schrieb.

„Die Zutaten, insbesondere saisonale, waren bei uns immer sehr wichtig", sagt Olia.

Die Rezepte ihrer Großmutter hatten alles, was sie selbst gerne mag. Also skypte sie mit ihrer Familie und lernte, wie diese traditionellen Gerichte zubereitet werden.

Das Aufschreiben der Rezepte erforderte allerdings etwas mehr Genauigkeit.

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„Zu Besuch in der Ukraine folgte ich meiner Mutter und meiner Tante auf Schritt und Tritt durch die Küche—mit Küchenwaage und Messlöffeln. Sie wimmelten mich immer ab, denn so würden sie nicht kochen", erzählt Olia. „Wenn wir kochen, dann mit Augenmaß und nach Bauchgefühl. Ich wollte die Rezepte aber für Leute aufschreiben, die nicht so kochen. Am liebsten hätte ich alles viel lockerer aufgeschrieben, aber ich habe alle Zutaten genau abgemessen und alles zigmal getestet. Das Schönste ist für mich aber immer noch, wenn die Leute ihre eigenen Versionen daraus kreieren."

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Für Olia sollte ihr Buch mehr als nur eine Ansammlung von Rezepten sein.

„In Kochbüchern muss es es nicht immer nur um Rezepte gehen, die sich ein Koch ausdenkt. Kochbücher sind das, was du draus machst", erklärt Olia. „Für mich sind Rezepte und Kochbücher deshalb so interessant, weil sie Geschichten erzählen—über eine Kultur oder einen anderen Teil der Welt. Mich interessieren immer auch die Menschen dahinter. Faszinierend, was unsere Großmütter so gekocht haben."

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Seit einiger Zeit interessieren sich die Leute wieder mehr für traditionelle Rezepte und Arten der Zubereitung, egal ob Fermentiertes, Eingelegtes, Eingekochtes oder Eintöpfe—zum Glück für Olia.

„Für mich ist das total komisch. Das, womit ich aufgewachsen bin, ist jetzt wieder Mode. Auf einmal total hip. Bei mir geht's aber weniger um Schönheit durch gesundes Essen, bei mir gibt's Speck und Butter. Ein bisschen Fleischbrühe hier, eine gute Portion Fett da, aufgelockert mit was Frischem oder was Saurem, wie Sauerampfer—viel besser als öde Chia-Samen. Die Menschen verfallen gerade einer regelrechten Panik, wenn es ums Essen geht. Das ist doch nur Pseudowissenschaft, Leute! Entspannt euch einfach und esst."

Das lass ich mir nicht zweimal sagen, wenn ich mir die köstlichen Teigtaschen auf meinem Teller so ansehe.