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Paris

Für diesen Pariser Koch kann das Essen nicht scharf genug sein

Haan Palcu-Chang vom Le Mary Celeste versucht nicht die französische Küche neu zu erfinden, aber er mag es eben schärfer. In seinem Pariser Restaurant serviert er über die Hälfte der Gerichte mit Chili, ganz zum Leidwesen mancher festgefahrener...
Photo by Diane Yoon.

Haan Palcu-Chang wollte eigentlich gar keine Bombe auf die Gaumen der Pariser legen, aber trotzdem kam es so. „Als wir eröffneten, drehten die Leute komplett durch, weil in der Hälfte unserer Gerichte Chilis drin sind", lacht er.

Der kanadische Koch vom Le Mary Celeste, einer Cocktailbar/Restaurant im Marais ignoriert jegliche Grenzen und trotzt allen Traditionen, die in der Vergangenheit die französische Küche prägten. Die Gerichte im Le Mary Celeste—das nach einem britischen Schiff aus dem 19. Jahrhundert benannt wurde, das auf mysteriöse Weise zurückgelassen und mit 1701 intakten Fässern Alkohol wieder gefunden wurde—können nicht auf einen Herkunftsort oder eine Küche eingegrenzt werden. Sie können wohl am ehesten als Landstreicher verstanden werden.

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Rindfleisch-Ceviche mit Erdnüssen, Jalapeños und Bohnensprossen. Quinoa-Terrine mit Chimichurri und Hoisin-Sauce. Kalbstartare mit eingelegter roter Bete, Rhabarber und Dill. Hummersandwich mit Grillkäse.

Vagabunden, alle zusammen.

Für Palcu-Chang ist das eine natürliche Entwicklung. „Ich denke nicht darüber nach", sagt er zu mir. „Manche Zutaten, die ich verwende, sind asiatisch. Andere nicht. ‚Oh mein Gott, es ist Fusionsküche!' Das war aber nie das Ziel."

„Ich sehe mich selbst nicht als kreative Person, weil für mich die Dinge einfach Sinn ergeben, wie ich sie mache", sagt er. „Ich sitze nicht da und denke über Geschmacksprofile nach."

Bevor er in Paris ankam, kochte Palcu-Chang schon in Vancouver—dort besuchte er die Gastronomieschule und landete seinen ersten Job in einer Küche—in Toronto und in Kopenhagen, wo er sich als Michelin-Sternekoch behauptete. Als Kind eines chinesischen Vaters und einer rumänischen Mutter erklärt er seine internationale Herangehensweise an Essen mit seiner Kindheit in Toronto. „Ich bin in der multikulturellsten Stadt der Welt aufgewachsen", sagt er. „Es war für mich normal, kalte Kohlrouladen zum Frühstück und zu Mittag mit meinen chinesischen Großeltern Dim Sim zu essen."

Paris ist zweifelsohne ein kulinarisches Zentrum, aber anstatt sich auf Altbewährtes zu verlassen, experimentiert Palcu-Chang mit neuen Kreationen. Er spielt mit französischen Zutaten, aber ohne die Erwartungen an typisch französische Aromen. Wie schmeckt Endiviensalat mit Tamarinde? Oder rohes Rindfleisch mit Bohnensprossen? „Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen diesen verschiedenen Aromen und der Struktur zu finden", sagt er. „Es geht also im Grunde um Yin und Yang, was in der asiatischen Küche eine wichtige Rolle spielt."

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Es dauerte eine Weile, bis die Pariser diese Balance verstanden hatten. „Wir servieren unsere Austern nicht mit einer traditionellen Mignonette-Sauce. Stattdessen gibt es eine thailändische Nam Chim-Sauce, die mit vielen Thai-Chilis gemacht wird", sagt er. „Am Anfang flippten die Leute aus, aber als sie sich langsam an die Schärfe gewöhnten, sagten sie ‚Das schmeckt eigentlich richtig gut.' Mittlerweile sind die meisten unserer Kunden Pariser."

Trotzdem musste er sich manchen unerschütterlichen Elementen der französischen Esskultur beugen. „Nach sechs Monaten mussten wir Brot anbieten", lacht er. „Das ist so ein kulturelles Ding." In seiner Küche gibt es eine Notreserve Brot—das einzige, was nicht im Haus gemacht wird—falls Gäste danach fragen. „Ich sehe nicht ein, wieso ich zu Tacos Brot servieren sollte", sagt er, „aber die Franzosen werden danach fragen."

Im Le Mary Celeste stehen nur kleine Gerichte zum Teilen auf der Karte. „Ich finde, diese Vorspeise-Hauptspeise-Nachspeise-Sache hat so etwas Besitzergreifendes. Es macht das Essen zu einer einzelgängerischen Aktivität, weil die Gerichte vor dir nur für dich allein sind", sagt Palcu-Chang. „Es ergibt für mich einfach keinen Sinn, diese traditionell westeuropäische Ein-Gericht-pro-Person-Art zu essen."

Obwohl die Gäste anfangs über diese Abweichung von den Traditionen überrascht waren, funktioniert das Konzept des Le Mary Celeste. Das beweisen die zahlreichen Stammgäste und die Erwähnung im Le Fooding-Guide 2014 als „Best Bar of Delights".

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Auch in den gefüllten Eiern, dem einzigen Gericht, das immer auf der Tages- und der Wochenkarte steht, wird das deutlich. Nicht zu verwechseln mit den gummigen Mayonnaise-Eiern, die es sonst in jedem Laden gibt, der französisch sein will. Palcu-Changs' gefüllte Eier sind knusprig (dank dem gebratenen schwarzen Reis), cremig (dank des vielen frischen Ingwers) und leicht scharf.

Es sind die kleinen Details, die das Essen aufregend und unvergesslich machen und der grundsätzliche Ansatz, der es wichtig macht. Palcu-Chang hat seine Zeiten in den Küchen schon hinter sich, in denen Herumschreien zum Standardumgangston gehört. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern will er eine gesündere, freundlichere Philosophie verfolgen und seine Mitarbeiter in der Küche behalten. Er ist der Meinung, dass es das ist, was ihn am meisten von den anderen abhebt. Nicht das Essen, das er kocht.

„Das Essen ist das Endresultat", sagt er. „Natürlich ist das sehr wichtig—aber ich möchte sicherstellen, dass meine Mitarbeiter glücklich sind und dass ich ein gutes Gefühl bei dem habe, was ich mache."

Und er ist dann glücklich, wenn das Essen scharf ist.

„Ich glaube fest daran, dass leckeres Essen am Ende des Tages einfach leckeres Essen ist", sagt er. „Es ist egal, woher du kommst. Früher oder später wird das den Leuten klar."