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Fette

Alles, was du über Fett wusstest, ist falsch

Von wegen Fett ist ungesund! Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass wir für eine ausgewogene Ernährung auf gar keinen Fall auf fetthaltige Lebensmittel verzichten sollten.
Foto: Simon Doggett | Flickr | CC BY 2.0

Bei Diskussionen um gesunde Ernährung tritt mit so hoher Wahrscheinlichkeit die Gleichung Fett = ungesund auf den Plan, dass du meinen könntest, jedes Gramm Schweinefett müsste eigentlich direkt auf deinem Bäuchlein landen. Für all die unter euch, die in den 60er- und 70er-Jahren geboren wurden, gilt Fett höchstwahrscheinlich als Staatsfeind Nummer Eins. Darum trinken unsere Mütter und Tanten auch Magermilch, schmieren sich Margarine aufs Brot und verputzen fettarme Joghurts. Wenn wir aber einen Blick in den Kühlschrank unserer Großeltern werfen, stoßen wir da noch auf Vollmilch und die gute alte Butter. Wie sich die Zeiten ändern.

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Denn in den 60er-Jahren ist etwas passiert, das dazu geführt hat, dass wir unseren ausgewogenen und ökonomischen Ansatz zum Thema Essen—drei Mahlzeiten am Tag, viele stark fetthaltige Molkereiprodukte, Käse, Eier, Fleisch (wenn man es sich leisten kann), Gemüse und Getreide—über den Haufen geworfen haben. Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren auf dem Vormarsch und auf der Suche nach neuen Behandlungsmethoden und in dem Versuch, der Erkrankung auf den Grund zu gehen, ist es einem Pathologen namens Ancel Keys gelungen, die damalige US-Regierung davon zu überzeugen, dass der Hauptschuldige in gesättigten Fetten zu suchen sei. Nur dass damals Wissenschaft nicht nach denselben Standards wie heute betrieben wurde. Dass dies zu nicht allzu verlässlichen Ergebnissen führte, hat sich jedoch erst später herausgestellt. Darum ist es auch kein Wunder, dass das Fett-ist-ungesund-Dogma in den Köpfen vieler Menschen tief verankert blieb.

Doch nun scheint der Krieg gegen Fett beendet zu sein. Das TIME-Magazin hat aus diesem Thema eine Titelgeschichte gemacht. Und selbst eingefleischte Fettgegner müssen angesichts der neuen Beweislage zugeben, dass der wahre Killer Zucker ist—und eben nicht Fett. Ein Großteil dieser Beweise lässt sich in dem bahnbrechenden Buch The Big Fat Surprise: Why Butter, Meat, and Cheese Belong in a Healthy Diet von Nina Teicholz nachlesen. Neun Jahre Forschung stecken in dem Werk, das uns gehörig die Augen öffnet und bei dem unsere bisherigen Annahmen zum Thema Fett ordentlich ihr Fett abbekommen. Was ist der langen Rede kurzer Sinn? Alles, was du über Fett „gewusst" hast, ist falsch.

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Und was heißt das für meine Ernährung? Auf jeden Fall erst mal ein schön fettiges Rindfleischstück beim nächsten Restaurantbesuch.

MUNCHIES: Hey Nina. Was ist die zentrale These in deinem Buch The Big Fat Surprise, das mich nebenbei gesagt so sehr gefesselt hat, als wäre es ein Psychothriller?
Nina Teicholz: Hey! Super, das freut mich zu hören. Ich glaube, dass der Hauptbeitrag des Buches darin besteht, stichfeste Argumente für die These zu liefern, dass gesättigte Fette—entgegen dem, was uns fünf Jahrzehnte lang eingetrichtert wurde—nicht ungesund sind. Außerdem habe ich die ungewollten Folgen von der Verbannung von Fett aus unserer Ernährung beleuchtet.

Dein Buch ist das Produkt von neun—neun—Jahren Forschung.
Richtig. Ich hätte selber nicht gedacht, dass das Buch so viel Zeit in Anspruch nehmen würde! Ich muss aber schon zugeben, dass ich mich während dieser Zeit auch noch anderen Sachen gewidmet habe. Außerdem hatte ich keine große Erfahrung mit dem Schreiben von Büchern. Dazu kam dann noch der enorme Umfang der wissenschaftlichen Fachliteratur zu diesem Thema …

In deinem Buch schreibst du viel über Fett in Fleisch und Fleischprodukten und erklärst, warum wir uns vor ihm nicht fürchten müssen. Hast du vor den Nachforschungen zu deinem Buch selber Fleisch gegessen?
Nur sporadisch. Vor dem Buch habe ich mich überwiegend vegetarisch ernährt. Ich habe damals auch eine Restaurant-Kolumne für ein Magazin geschrieben, das mich für meine Beiträge nicht bezahlen konnte. Stattdessen habe ich das essen dürfen, was mir die Restaurants so anboten. Das reichte von rotem Fleisch und Geflügel bis hin zu Fisch oder Gänseleber.

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Wie hat dir beim ersten Mal Gänseleber so geschmeckt?
Hmm. Gute Frage. Es war auf jeden Fall eine sehr erdige und komplexe Geschmackserfahrung. Ein ganz neues Aroma.

Die folgende Passage aus deinem Buch ist mir ganz besonders im Gedächtnis geblieben. Du schreibst darin, dass sich fast nichts von dem, was wir heutzutage über gesättigte Fette zu wissen glauben, bei näherer Betrachtung als korrekt erweist. Das hört sich ziemlich erschreckend an. Wie konnte es denn überhaupt so weit kommen?
Unser Misstrauen gegenüber Fett ist mittlerweile schon über ein halbes Jahrhundert alt. Seit den 60er-Jahren wird uns erzählt, dass Fette ungesund sind. Dabei geht diese Ansicht auf eine äußerst fehlerhafte und kontroverse Studie zurück—nämlich auf Seven Countries von Ancel Keys. Dieser Studie zufolge stehen Fette—besonders gesättigte Fette—in einem engen Zusammenhang mit Herzerkrankungen. Das Problem ist jedoch, dass die Studie viele methodische Schwachstellen aufweist. Außerdem unterstützen die gesammelten Daten nicht das Fazit der Studie. Alles in allem also eine ziemlich große Überraschung.

Du willst uns also sagen, dass diese Studie, die so weitreichende Folgen für unsere Ernährung hatte—meine Tante etwa verschmäht bis heute Butter—als wissenschaftlich nicht fundiert einzuschätzen ist?
Ja, ich weiß, es klingt verrückt. Aber genau so ist es. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, wie ich in einer Science-Ausgabe aus dem Jahr 1999 auf einen Artikel von Gary Taube mit dem Titel The Soft Science of Dietary Fat stieß. Ich war einfach nur geschockt. Dieser Artikel war es auch, der mein Interesse für dieses Thema weckte. Ich war total entsetzt, auf wie dünnem Eis sich die Thesen zu einer fettarmen Ernährung bewegen. Doch der Glaube, dass Fett uns fett macht und ungesund ist, ist eben tief in der westlichen Kultur verankert.

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Was für Konsequenzen hatte nun die omnipräsente Forderung nach einer fettarmen Ernährung?
Dadurch dass wir Fett aus unserer Ernährung verbannt haben, nehmen wir heute deutlich mehr Kohlenhydrate zu uns, als das noch früher der Fall war. So ist zum Beispiel die Kohlenhydratzufuhr in den USA in den letzten 30 Jahren um 25 Prozent angestiegen. Das heißt natürlich auch, dass wir deutlich mehr Zucker konsumieren, seitdem sich die fettarme Ernährung durchgesetzt hat. Und dass wir mittlerweile bestimmte Pflanzenöle verwenden, die im letzten Jahrhundert noch keiner kannte, wie etwa Sojaöl oder Distelöl. Das Problem bei diesen Ölen besteht vor allem darin, dass sie bei Erhitzung äußerst instabil sind, was gesundheitliche Risiken birgt.

Das sind doch die Öle, die anfällig für Oxidation sind, oder?
Genau. Und auch die, die in Fritteusen zur Anwendung kommen, seitdem Produkte mit Transfetten vielerorts nicht mehr erhältlich sind.

Potentiell ungesunde Öle sind eine Sache, aber ich glaube kaum, dass viele Leute in Zukunft ein dickes, weißes Fettstück auf ihrem Teller anschauen und dabei denken: „Hmm, das wird mir bestimmt guttun."
Das haben damals die Jäger und Sammler aber anders gesehen—und tun es zum Teil immer noch. Denn denen zufolge ist gerade das fettigste Stück das beste. Von den Inuit weiß man, dass sie die Filetstücke auch schon mal an ihre Hunde verfüttern, wenn ihnen ein Fleischteil zu mager ist. Mageres Fleisch stand nicht hoch im Kurs. Ganz im Gegenteil zu Eingeweiden, Augen, Drüsen und Innereien, die aufgrund ihres hohen Fettgehalts besonders nahrhaft sind.

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365.214: Cowboy steak

Mut zum Fett. Foto: Jessica Spengler via Flickr.

So wie Leber aussieht, muss sie fast schon gesund sein. Du schreibst, dass wir unsere Kohlenhydratzufuhr einschränken sollten, damit eine fettreiche Ernährung gesund für uns ist? Ich für meinen Teil könnte niemals auf Kartoffeln verzichten.
Kein Problem. Ich bin auch gegen Extreme in der Ernährung. Ich sage nur, dass eine fettreiche und kohlenhydratarme Ernährung meiner Meinung nach die gesündeste ist. Denn wenn du zusätzlich auch noch viele Kohlenhydrate zu dir nimmst, kann das eine entzündungsfördernde Wirkung haben. Also iss deinen Rostbraten, lass das Fett am Fleisch, aber verzichte, wenn möglich, auf die fette Torte zum Nachtisch.

Und wie sieht's mit Sport aus? In deinem Buch sucht man vergeblich nach Sport-Tipps bei einer fettreichen Ernährung?
Laut meinen Untersuchungen ist auch bei einer fettreichen Ernährung körperliches Training kein absolutes Muss.

OK. Und was hältst du von dem aktuellen Eiweißwahn? Protein-Shakes sind ja gerade in aller Munde.
Eine eiweißreiche Ernährung ist ohne eine ausreichende Fettzufuhr nicht besonders gesund. Fett ist ein überlebenswichtiger Stoff, dem bei unserem Stoffwechsel eine immens wichtige Rolle zukommt. Unser Körper kann nämlich Proteine bei einem gleichzeitigen Mangel an Fetten und Kohlenhydraten gar nicht richtig verwerten. Gleichzeitig scheint der aktuelle Eiweiß-Hype damit zusammenzuhängen, dass wir Lebensmittel dadurch wieder salonfähig machen können, indem wir ihren hohen Eiweißgehalt betonen—so wie im Fall von Eiern, Butter sowie stark fetthaltigen Molkereiprodukten. Schließlich ist es weitaus einfacher zu sagen: „Ich esse das, weil es proteinreich ist." Oder hast du schon mal jemanden gehört, der sich damit brüstet: „Ich esse dieses Steak, weil ich heute noch ein paar Fette benötige"?

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Nein. Ist es dir schwergefallen, die Leute von deiner „Fett-ist-gut-Haltung" zu überzeugen? Schließlich fehlt es deinem Buch ja nicht an stichhaltigen und wissenschaftlich fundierten Argumenten.
Sagen wir mal so: Auch bei mir hat es gedauert, bis ich meine Ernährung umgestellt habe. Als zum ersten Mal wieder ein Teller mit Fleischklößchen in Sahnesauce vor mir stand, habe ich mich schon gefragt, ob das wirklich eine so gute Idee ist. Nicht zuletzt deswegen, weil ich während meiner Jugend ständig mit Übergewicht zu kämpfen hatte. Als ich dann aufs College ging, suchte ich eine Ernährungsberaterin auf. Die riet mir dazu, auf Fleisch und Fett zu verzichten. Gebracht hat das aber alles nichts. Leider gab es damals noch kein Internet, über das ich mich über andere Forschungsansätze hätte informieren können.

Unsere Großeltern hatten diese Probleme nicht.
Das stimmt. Meine Eltern sind noch mit Sonntagsbraten und Vollmilch aufgewachsen. Und auch als ich noch klein war, hat uns regelmäßig der Milchmann mit Vollmilch beliefert. Die hat mir immer köstlich geschmeckt. Dann hat sich Anfang der 6oer-Jahre die Ansicht etabliert, dass die Fettstücke in deinem Fleisch zu Bauchspeck umgewandelt werden. Doch mittlerweile wissen wir, dass dem gar nicht so ist … Aber klar, wer hätte schon gedacht, dass Speck am Ende gesünder als Haferbrei sein könnte?

Haben deine Erkenntnisse die Ansicht deiner Verwandten und Freunde nachhaltig beeinflusst?
Na ja, es dauert oft eine ganze Weile, bis Leute ihre Meinung in Ernährungsfragen überdenken. Nachdem ich schon rund fünf Jahre an dem Buch gearbeitet hatte, hat mich mein Mann eines Tages gefragt: „Bist du ernsthaft der Auffassung, dass Zucker ungesund ist?" Im Laufe der Zeit haben meine Verwandten aber schon ihre Ernährung umgestellt. Und auch viele meiner Freunde meinten, dass sie sich die Ratschläge in meinem Buch zu Herzen genommen haben.

Nun ja, dein Buch ist ja mit seinen 1.300 Fußnoten eine regelrechte wissenschaftliche Enzyklopädie, die all das ad absurdum führt, an das wir die ganzen Jahre und Jahrzehnte geglaubt haben.
Das stimmt. Ich habe mir gedacht, das Buch muss ein echter Wälzer werden, damit die Leute wirklich bereit sind hinzuhören … Einige meiner Freunde haben mir Fotos von sich zugeschickt, auf denen sie glücklich in einen Hamburger reinbeißen. Andere haben mir stolz berichtet, dass sie jetzt regelmäßig Eier und Speck zum Frühstück essen. Das finde ich natürlich super. Und wiederum andere haben mir geschrieben, dass sie aufgrund meines Buches ihre Ernährung grundlegend umgestellt haben—und dadurch viele, viele Kilos verloren oder ihre Diabetes besser in den Griff bekommen haben. Eins steht fest: Meine Erkenntnisse waren vor allem für mich selbst eine echte Bereicherung, denn wenn ich jetzt sehe, dass ein Essen recht fetthaltig ist, wird mir dadurch nicht mehr der Appetit verdorben.

Kann ich gut nachvollziehen. Denn dank deines Buches habe ich auch das Gefühl, über eine größere Auswahl an kulinarischen Möglichkeiten zu verfügen.
Das freut mich zu hören. Mir ging es genauso. Es hat außerdem mein Interesse geweckt, alte Familienrezepte auszuprobieren. Bisher habe ich mich nur an Omas Fleischklößchen in Sahnesauce herangetraut, aber ich habe Lust auf mehr!

Ich auch! Danke für das Gespräch, Nina.

Oberstes Foto: Simon Doggett | Flickr | CC BY 2.0