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Geruchssinn

Wie es ist, wenn man durch einen Hirnschaden seinen Geruchssinn verliert

Etwa ein Viertel aller Patienten mit Hirnschäden verlieren ihren Geruchssinn. Wie wichtig der für die Wahrnehmung beim Essen ist, wird einem erst bewusst, wenn man ihn nicht mehr hat.
Photo via Flickr user

„Ich habe keinen Geruchssinn mehr, aber in meinen Träumen kann ich immer noch riechen."

Vor fünf Jahren verließ Steven mit ein paar Freunden aus der Kochschule ein Restaurant in Toronto.

„Ich machte gerade eine Ausbildung zum Sommelier", sagt Steve. „An einem Abend ging ich mit meiner Klasse in ein Restaurant mit dem Namen O.Noir, das ist so ein Restaurant, wo man im Dunkeln isst und von blinden Kellnern bedient wird. Bei so einer Erfahrung lernt man Essen auf eine andere Weise kennen—ohne die Sinne, die man normalerweise einsetzt."

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Innerhalb von Sekunden sollte ihm bald einer seiner Sinne weggenommen werden. „Als wir aus dem Restaurant herauskamen, kam ein Typ auf uns zu, der dachte, wir würden uns über ihn lustig machen—was gar nicht so war—und er verpasste mir einen Schlag ins Gesicht. Er traf ich mit so viel Kraft, dass mein Kopf gegen die Wand schlug und dann gegen den Gehsteig", erinnert sich Steven.

Mein ganzes Leben drehte sich um Nuancen von Aromen und dieser Schlägertyp hat mir das weggenommen.

Die Härte des Schlags durchtrennte Nerven, die Stevens Gehirn mit den olfaktorischen Informationen seiner Nase, die durch die Außenwelt aufgenommen werden, verbindet. Er erlitt eine Anosmie, griechisch für „kein Geruch" und die medizinische Bezeichnung für den Verlust des Geruchssinns.

Die Verbindung zwischen Geruch und Geschmack ist eine sehr enge, deshalb hatte Stevens Hirnschaden verheerende Auswirkungen auf seine kulinarischen Ambitionen. „Ich studierte Wein. Mein ganzes Leben drehte sich um Nuancen von Aromen und dieser Schlägertyp hat mir das ohne Grund weggenommen. Ich werde das nie mehr zurückbekommen."

In der Zeit danach machte Steven eine sehr schwierige Phase durch und er musste die grundlegendsten Annahmen über seine Beziehung zu Essen und zu seiner Arbeit überdenken. „Es war ein einschneidender Moment. Alles wurde mir weggenommen. Ich musste einen Schritt zurücktreten und überlegen, was mir geblieben war. Den ersten Monat konnte ich mich nicht bewegen, weil es so schmerzte sund ich am Boden zerstört war. Ich schwor, dass ich nie wieder kochen würde und habe versucht, mir das Leben zu nehmen."

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Stevens Erfahrungen sind ein Extremfall, aber es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand, der einen Riechverlust erleidet, nach dem Hirntrauma emotional eine schwierige Zeit durchmacht.

Eins der Dinge, die ich meinen Patienten empfehle, ist, Essen mit einem sehr extremen Geschmack zu probieren und zu schauen, ob sie sich daran erfreuen können.

Dr. Brian Greenwald ist der Oberarzt des Zentrums für Kopfverletzungen und stellvertretender Oberarzt des JFK Johnson Rehabilitation Institute in Atlantis, Florida. Laut Greenwald sind die emotionalen Probleme nicht nur das Resultat davon, dass die Patienten Essen mehr richtig genießen können.

„Wenn man seinen Geruchssinn verliert, ist das definitiv von Traurigkeit begleitet. Depressionen hängen aber auch mit einem Schaden am Frontallappen zusammen. Patienten mit Fronthirnsyndrom haben nach einem solchen Vorfall häufiger emotionale und Verhaltensprobleme."

Obwohl die Symptome für Anosmie sehr spezifisch sind, betrifft es einen erstaunlich hohe Zahl an Opfern von Hirnschäden, „etwa 25 Prozent", so Dr. Greenwald, und der größte Nervenschaden passiert durch den Schädel selbst.

„Der Hauptgrund, warum Betroffene ihren Geruchssinn verlieren, ist eine Beschädigung des olfaktorischen Nervs. Der olfaktorische Nerv ist ein ganz kleiner, zarter Nerv, der von den Membranen unserer Nase ins Gehirn reicht und unserem Gehirn dabei hilft, Gerüche zu verstehen. Der Nerv verläuft durch eine recht massive Platte, die sogenannte Siebplatte oder Lamina cribrosa, und wenn jemand hinfällt, kann sie schwere Schäden an den Nerven verursachen." Das würde erklären, warum Steven in seinen Träumen immer noch riecht.

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Diese Art der Verletzung stellt die Klinikärzte vor ganz spezielle Herausforderungen. „Der Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns kann partiell oder total sein, aber manchmal betrifft es nur intensivere Geschmäcker, das macht es schwieriger, Essen richtig zu genießen", sagt Greenwald.„Eins der Dinge, die ich meinen Patienten empfehle, ist, Essen mit einem sehr extremen Geschmack zu probieren und zu schauen, ob sie sich daran erfreuen können."

Das liegt daran, dass Eindrücke wie Schärfe durch andere Mechanismen wahrgenommen werden als Geschmack. „Scharfe Speisen triggern nicht nur unsere Geschmacksknospen, sondern auch das Schmerzzentrum und Sensoren im Mund, deshalb können Personen mit Asmonie Schärfe wahrnehmen, auch wenn sie das Essen nicht riechen oder schmecken können."

Ich kann unterscheiden, ob etwas süß, salzig oder würzig ist. Sriracha ist mein bester Freund, egal wo drauf.

Vor zwei Jahren stürzte Maria Davis von einer 4,5 m hohen Klippe und prallte mit dem Kopf gegen einen Felsen. Sie merkte sofort, dass sie ihren Geruchs- und Geschmacksinn verloren hatte. „Man würde glauben, dass mich Essen jetzt weniger interessiert, aber ich esse immer noch sehr viel", sagt Maria. „Ich liebe Essen, aber ich kann den Unterschied zwischen verschiedenen Geschmäckern kaum mehr feststellen."

Sie fährt fort: „Ich esse zu allem scharfe Sauce und würze alles stark, aber auch das macht keinen großen Unterschied—wenn ich es nicht tue, schmeckt für mich aber alles sehr langweilig. Ich wollte immer schon bei einer dieser Esswettbewerbe mit scharfem Essen mitmachen, aber bisher bin ich noch nicht dazu gekommen."

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Das kennt Steven auch: „Ich kann unterscheiden, ob etwas süß, salzig oder würzig ist. Sriracha ist mein bester Freund, egal wo drauf."

Aber nicht nur scharfe Speisen können Personen ohne Geruchssinn Freude bereiten. „Eis am Stiel und Eiscreme mag ich gerne", sagt Davis. „Konsistenz und Temperatur haben für mich Geschmack ersetzt. Ich nehme zwar keinen Geschmack wahr, aber ich spüre den Unterschied zwischen kalt und warm."

1977 fing der ebenfalls geruchsblinde Ben Cohen an, sehr üppiges Eis mit knusprigen Stücken herzustellen. Cohen verwandelte seine Besessenheit von Textur, Konsistenz und Üppigkeit zusammen mit seinem Freund Jerry zu einem Millionen-Dollar-Unternehmen mit dem Namen Ben & Jerry's. „Aufgrund dieser Behinderung habe ich ausgezeichnetes Mundgefühl", sagte Cohen 1994 zu den New York Times. „Cremigkeit und Knusprigkeit sind für Leute, die nichts schmecken, sehr wichtig."

Aber das ist einer der wenigen Lichtblicke bei dieser Beeinträchtigung, die evolutionär gesehen einen der wichtigsten Sinne betrifft.

Als ich ein Restaurant managte, musste ich ständig meine Mitarbeiter bitten, alles zu probieren. Meine Behinderung wurde mir ständig unter die Nase gerieben.

„Es ist ein großer Verlust", sagt Dr. Greenwald. „Auch was romantische Beziehungen betrifft, sind Gerüche wie Parfüm sehr wichtig. Es gibt aber noch andere Dinge, mit denen man sich auseinandersetzen muss wie, ob die Socken noch in Ordnung riechen. Und dann gibt es noch die ganzen Sicherheitsprobleme wie Gas. Man muss sich auf verschiedenen Ebenen über Dinge Gedanken machen. Ich esse jeden Morgen zum Frühstück Müsli und rieche an der Milch, bevor ich sie in die Schüssel gieße. Das ist eines dieser simplen Dinge, an die man sonst nicht denken würde."

An das muss sich Steven erst noch gewöhnen, denn obwohl er geruchsblind ist, hat er beruflich mit Essen zu tun. Er wollte seine Sommelierausbildung fortsetzen, der Unterricht wurde für ihn aber seine „persönliche Hölle". „Diese Zukunft musste ich aufgeben. Ich habe ein Riesling-Tattoo, was eine furchtbare Erinnerung ist."

„Als ich ein Restaurant managte, musste ich ständig meine Mitarbeiter bitten, alles zu probieren. Meine Behinderung wurde mir ständig unter die Nase gerieben. Irgendwann entschied ich mich fürs Backen, weil es dabei mehr um die Methoden geht."

Irgendwann fing Steven an, sein Interesse für Essen für die Gemeinschaft, statt in der Gastronomie auszuleben und er engagierte sich bei Organisationen, die Essen für Bedürftige bieten. „Nach fünf Jahren habe ich immer noch eine besondere Verbindung zu essen, aber ich musste mir zuerst vor Augen halten, warum ich überhaupt angefangen habe zu kochen, und die Antwort lautet für die Gemeinschaft."