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Gastronomie

Wo sind all die großartigen Köchinnen?

Die Gastronomie strotzt nur so vor beiläufigem Sexismus und sexueller Belästigung. Frauen kämpfen jedoch gegen den männerdominierten Status Quo an.
Foto von Skånska Matupplevelser via Flickr

Es gibt sie, die großartigen Köchinnen, aber sie sind rar gesät—und in Küchen voller Köche in karierten Hosen und faulen, sexistischen Beleidigungen, die wir mittlerweile in der hypermaskulinen Umgebung der Gewerbeküchen schon erwarten, übersieht man sie viel zu schnell. Als wir großartige Köchinnen und Gastronominnen fragten, wo all die großartigen eigentlich Köchinnen sind, hatten sie alle die gleiche Antwort für uns: Es gibt nicht so viele von ihnen. Professionelle Küchen waren für Frauen noch nie ein einladender Ort.

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Auf der diesjährigen Liste der 50 besten Restaurants der Welt befinden sich nur zwei, die von Frauen betrieben werden: Arzak, das von Elena Arzak Espina und ihrem Vater Juan Mari Arzak geleitet wird, und Mani von Helena Riso und ihrem Ehemann Daniel Redondo. In der Liste der einflussreichsten Köche der Welt der letzten 15 Jahre vom Online-Magazin Epicurious findet sich keine einzige Frau.

Diese männerdominierten Listen sind jedoch keine Ausnahme. Während die Küche in den eigenen vier Wänden schon lang als das Territorium der Frau gilt, scheinen kulinarische Spitzenleistungen weiterhin hauptsächlich von Männern erbracht zu werden. „Allgemein gesprochen, kochen oder tun Männer Dinge mit einer wissenschaftlichen Herangehensweise, sie wollen etwas verstehen, während das bei Frauen intuitiver abläuft. Vielleicht leben wir einfach in einer Gesellschaft, in der ein wissenschaftlicher Ansatz erfolgreicher wahrgenommen wird als ein intuitiver", sagte Niki Nakayama, Köchin und Besitzerin von n/naka in Los Angeles, zu Broadly.

Der Meisterkoch Fernand Point, dem die Wiederbelebung der französische Küche im 20. Jahrhundert zugeschrieben wird, vertrat einen unverblümten Standpunkt: „Nur Männer verfügen über die Techniken, die Disziplin und die Leidenschaft, die Kochen immer wieder zu einer Kunst machen", sagte er 1950.

Points Aussage wirkt wie die Meinung eines altmodischen, alten Mannes, aber man erkennt schnell, dass seine Philosophie auch in der kulinarischen Welt von heute glaubhaft klingt—so unheimlich das auch sein mag. Im vergangenen Jahrzehnt sind Köche zu Celebritys aufgestiegen und es lag ein riesiger kultureller Schwerpunkt auf der Männlichkeit in professionellen Küchen. Köche wie Anthony Bourdain, Gordon Ramsay und Marco Pierre White haben alle ihren Ruf—und die kulinarischen Imperien, die aus diesem herausgewachsen sind—auf einem ähnlichen Konzept aufgebaut: das des gnadenlosen Alpha-Männchens.

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Szenen eines wütenden Ramsays mit hochrotem Kopf, der die Hell's Kitchen-Teilnehmer obszön beschimpft, werden als fixer Bestandteil kulinarischer Spitzenleistungen akzeptiert und Bilder eines furchtlosen Bourdains, der in Anthony Bourdain: Parts Unknown der kriegsgebeutelten Küste von Beirut entlang fährt, passen wunderbar zur ach so bekannten Erzählung des hypermaskulinen Kochs, der zum übergeordneten Wohl der Gastronomie alles tut. Diese Männer sind Stars und kulinarische Ikonen, der lebendige Inbegriff der englischen Redewendung: „If you can't stand the heat, get out of the kitchen."

Nur Männer verfügen über die Techniken, die Disziplin und die Leidenschaft, die Kochen immer wieder zu einer Kunst machen.

Es ist durchaus etwas dran, dass in professionellen Küchen, wo mit Feuer und Messern hantiert wird, großer Druck herrscht. Sie sind kein Platz für Milde. Für Frauen sind die Stressfaktoren oft noch schlimmer, weil sie ihre eigenen Probleme haben: sexuelle Belästigung und faule, sexistische Witze. Man muss sich nur das Beispiel von Chloe Maisey ansehen, die während ihrer Zeit im The Hardwick, einem Restaurant in Wales mit einem Michelinstern, begrapscht und in einen Kühlschrank gesperrt wurde. Oder das von Ivy Knight, einer ehemaligen Köchin aus Toronto, die heute Food-Journalistin ist und mit Anschuldigungen gegen einen Sous-Chef an die Öffentlichkeit ging, der sie gewürgt hatte, nachdem ihr Vorgesetzter nichts gegen die sexuelle Belästigung unternehmen wollte.

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Es gibt jedoch auch Frauen, die nicht bereit sind für die Auswirkungen, die es mit mit sich ziehen würde, wenn sie an die Öffentlichkeit gingen. Wie eine ehemalige Köchin in einem anonymen Essay auf MUNCHIES schrieb: „Laut meiner Erfahrung in Restaurantküchen mit nur einer oder zwei Frauen zeigt sich sexuelle Belästigung in blöden Bemerkungen (wie: „Hast wohl deine Tage, was? Entschuldigung, dass ich atme") oder in Wettbewerben, die der Besitzer und der Chefkoch veranstalten, bei denen alle Frauen—aus der Küche und die Kellnerinnen—versuchen müssen, sich eine Zucchini so weit wie möglich in den Rachen zu stecken."

Daten von der amerikanischen Bureau of Labor Statistics zeigen, dass es eine riesige Schere zwischen der Zahl an weiblichen und männlichen Chefköchen gibt, obwohl Frauen den Großteil der amerikanischen Gastronomieangestellten ausmachen. Laut einer Analyse von Bloomberg Business sind nur 10 von 160 Chefkoch-Positionen in 15 bekannten US-amerikanischen Restaurantgruppen mit Frauen besetzt.

Der Status Quo—[die Vorstellung] dass Küchen in Ordnung sind, so wie sie sind—existiert, weil die Männer, die in ihnen arbeiten, keine Veränderungen wollen.

Obwohl es großartige Köchinnen gibt, werden sie nur selten neben ihren männlichen Pedants gefeiert. Helene Darroze, Alice Waters, Helena Rizzo, Nancy Silverton, April Bloomfield und andere sind zwar kulinarische Persönlichkeiten, aber Frauen machten 2014 nur weniger als ein Prozent aller Köche mit Michelinstern aus. Natürlich sind die genannten Köchinnen der lebende Beweis, dass es so etwas wie hochgelobte und angesehene Köchinnen gibt—aber sie sind die Ausnahme, nicht die Regel.

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Mit Kitchen Bitches, einer internationalen Konferenz in Toronto, die vergangenen September stattfand, sollte dieser männerdominierte Status Quo hinterfragt werden. Die Konferenz wurde von Jen Agg, einer Gastronomin aus Toronto, ins Leben gerufen. Agg ließ sich dazu inspirieren, Veränderungen einzufordern, als die Konditorin Kate Burnham öffentlich bekannt gab, dass sie mehr als ein Jahr eine giftige Arbeitsumgebung ertragen musste sowie sexuelle Belästigung über sich ergehen ließ, während sie in Weslodge, einem erstklassigen Restaurant in Toronto, arbeitete. Burnham sagte, ihre Chefs hätten ihre Brüste betatscht und ihr in den Schritt gefasst, ihr einen Klaps auf den Po gegeben, wenn sie an ihnen vorbei ging, sie angemacht, ihr mit der Kündigung gedroht, wenn sie nicht mitspielte, und nach dem Sonntagsbrunch immer wieder ihr Gesicht mit einer Dose Sauce Hollandaise besprüht, während die Köche Witze über Ejakulation rissen.

„Hier geht es nicht darum, ob das politisch korrekt ist oder nicht, es geht darum, sich gegenseitig wie Menschen zu behandeln", schrieb Agg in einer E-Mail. „Ich kann überzeugt sagen, dass durch Kitchen Bitches viele Diskussionen über Sexismus in der Restaurantindustrie losgetreten wurden. Der Status Quo—[die Vorstellung] dass Küchen in Ordnung sind, so wie sie sind—existiert, weil die Männer, die in ihnen arbeiten, keine Veränderungen wollen. Ihnen ist jedoch nicht klar, dass diese Veränderungen nicht nur Frauen Platz bieten würden, sich hochzuarbeiten, sondern dass sie selbst auch davon profitieren würden. Junge Männer sind ausgelaugt, weil die Küche geistig und körperlich harte Arbeit bedeutet. Vielleicht muss es nicht so schlimm sein? Bessere Küchen sind besser für alle, die drin arbeiten."

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Als ich mein erstes Restaurant eröffnete, kam ich aus der Küche heraus, um Gäste zu begrüßen. Es passierte nicht nur einmal, dass mich ein Gast ansah und sagte: ‚Kann ich bitte die Rechnung haben?'

Ein sicheres, angenehmes Arbeitsklima durch effektives Management zu erreichen, klingt nach einer realistischen und unkomplizierten Lösung—nach einer, die die Küchentüren für Frauen öffnen würde. Trotzdem erklärte Niki Nakayama, dass es als Köchin ständiger Neubewertung und Arbeit bedarf, um eine gesunde Atmosphäre in der Küche zu schaffen. „Manchmal, wenn ich mich über einen Mitarbeiter ärgere, habe ich das Gefühl, dass sie meinen, dass ich nur eine Zicke bin und keine gute Managerin", sagte sie. „Es passiert so schnell, dass Leute bestimmtes Verhalten in Kategorien stecken. Wenn ein Typ hartnäckig und schwierig ist, wird das als selbstbewusst wahrgenommen, wenn eine Frau den gleiche Ton anschlägt, ist es so natürlich für manche Leute, einfach zu sagen. ‚Oh, sie ist so eine Zicke.'"

Im Arbeitsumfeld der Küche von Nakayama ist kein Platz für Faulheit. Und der Ansatz funktioniert: The Wall Street Journal, die Los Angeles Times und viele anderen haben ihre Arbeit im n/naka gelobt. Trotz ihres Erfolges hat sie als Frau Probleme, in ihrem eigenen Restaurant wahrgenommen zu werden. „Es besteht eine gewisse Erwartungshaltung", sagte sie. „Wir sind es gewöhnt, Männer als Köche zu sehen, deshalb suchen viele Leute automatisch nach dem Mann im Raum. Viele sind überrascht, dass ich die Chefköchin bin. Als ich mein erstes Restaurant eröffnete, kam ich aus der Küche heraus, um Gäste zu begrüßen. Es passierte nicht nur einmal, dass mich ein Gast ansah und sagte: ‚Wer sind Sie? Warum kommen Sie zu meinem Tisch? Kann ich bitte die Rechnung haben?' Ich antwortete dann: ‚Ja, Sie bekommen Ihre Rechnung, aber ich bin eure Chefköchin und wollte nur mal Hallo sagen.'"

Dieses Jahr scheint Nakayamas Restaurant nicht in der Liste der besten 50 der Welt auf. Aber die Restaurants vieler ihrer männlichen Kollegen—die an ihrer Seite in der Netflix-Serie Chef's Table auftraten—hingegen schon. „Für mich persönlich sind Listen wie die 50 Besten Restaurants der Welt zwar nett, aber sie ergeben keinen Sinn", sagte sie. „Es ist schwierig, etwas so Künstlerisches und Subjektives zu bewerten. Aus professioneller Sicht ist uns natürlich klar, wie wichtig es ist, einen gewissen Status zuhaben, weil die Leute dann zu einer anderen Denkweise herangeführt werden. Diese Art von Privilegien öffnen viele Türen, die ansonsten geschlossen bleiben würden. Es wäre toll, wenn mehr Frauen auf dieser Liste stünden."

Damit Frauen in die angesehenen Ränge der kulinarischen Weltklasse aufsteigen können, müssen wir akzeptieren, dass in der Gastronomie momentan etwas grundlegend falsch läuft. Die Vorstellung, dass Missbrauch ein Nebenprodukt von Qualität ist, ist absolut sinnlos und wir sollten endlich von ihr loslassen. Die spontane Reaktion, zuerst nach dem männlichen Koch im Raum zu suchen, ist ein altmodischer Anachronismus—der uns alle 100 Jahre alt aussehen lässt. Konferenzen wie Kitchen Bitches und Köchinnen wie Niki Nakayama existieren, weil einige wenige unermüdlich daran arbeiten, die Branche in die Gänge zu bringen, um Veränderungen zu erzielen. Aber es liegt an uns, dass wir uns weiterentwickeln und nicht aufhören zu fragen: „Wo sind all die großartigen Köchinnen?"

Dieser Artikel ist zuerest auf Broadly erschienen.