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Gastronomie

Das verrückte Leben eines Kochs ist ganz und gar nicht glamourös

Manchmal arbeite ich 20 Stunden durch und meine Tagen gehen nahtlos ineinander über. Ich frage mich, wie lange meine Energie noch dafür reicht. Wie können wir als Köche ein gesünderes Leben führen, wenn in unsere Gewerbe schlaflose Nächte belohnt...
Photo via Flickr user Edsel Little

Manchmal arbeite ich 20 Stunden durch und meine Tagen gehen nahtlos ineinander über. Manchmal frage ich mich, ob es das Richtige ist, was ich mache und wie lange meine Energie noch dafür reichen wird.

Wir sind Köche und Barkeeper, Kellner und Tellerwäscher, Besitzer und Unternehmer. Wir sind besessen von Perfektion, von Trends, von guter Presse und von Top Ten-Listen. Wir sind ein Gewerbe von Gastronomiefachleuten, die mehr als 12 Stunden pro Tag arbeiten, um zu überleben, während andere in den Urlaub fahren. Wir arbeiten, um das Geschäft am Laufen zu halten; wir arbeiten, um bei Verstand zu bleiben.

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Wie können wir als Köche ein gesünderes Leben führen und gleichzeitig in einem Gewerbe arbeiten, das schlaflose Nächte und verrückte Arbeitszeiten nicht nur lobt, sondern sogar belohnt?

Heute muss man sich als kleiner Unternehmer in allen Bereichen bestens auskennen: Social Media, IT, Management, Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Personalwesen, Kundenservice, Angebot und Nachfrage und Immobilien. Man steht früh auf, geht spät ins Bett, stellt Schecks aus, und dann geht alles wieder von vorne los.

All das kommt von einem Typen, der innerhalb von drei Jahren seinen Online-Marketing-Job bei einer Maklergesellschaft aufgab, um mit einem Food Truck durchzustarten, der ein Restaurant eröffnete, eine eigene TV-Sendung hatte (sogar zwei Mal) und kürzlich ein Kochbuch veröffentlichte. Leute davon zu überzeugen, eine Altersvorsorge abzuschließen und gleichzeitig ein einzelgängerischer Gastronom zu sein, ergab einfach Sinn. Anscheinend sind wir süchtig nach Druck, denn—um dem Ganzen noch eins aufzusetzen—spielte sich das alles in Toronto ab: einer großartigen, gastronomisch fortschrittlichen Stadt, in der auch gute Restaurants scheitern können. Wenn man mal darüber nachdenkt: Wer hat schon Zeit, auf sich selbst zu achten, wenn es so viel Arbeit gibt, die noch erledigt werden muss?

Als wir unser Restaurant, das Lisa Marie auf der Queen Street West in Toronto, eröffneten, wurde es auf emotionaler Ebene extrem anstrengend. Es war Anfang Dezember 2012 und wir hatten gerade unser Angebot für eine Location abgegeben, aber eine andere Gruppe, die anscheinend tiefer in die Tasche greifen konnte, kam uns zuvor. Im Januar rief mich meine Mutter an, um mir zu erzählen, dass mein Großvater—mein Nonno—gestorben war. Meine Welt brach zusammen. Er war nicht nur mein Opa: er war mein Ein und Alles. Er zog mich auf, brachte mir das Kochen bei, vermittelte mir die Bedeutung einer starken Arbeitsmoral und dass ein Essen mit der Familie das Wichtigste ist, was man sich vorstellen kann. Er war mein absoluter Held, die einzige Person, die mich wirklich verstanden hatte.

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ARTIKEL: Meine Roma-Wurzeln machen mich zu einem besseren Koch

Drei Tage nach der Beerdigung bekamen meine Geschäftspartnerin und ich einen Anruf, dass die Räumlichkeiten doch verfügbar seien. Einen Monat später gehörten sie uns und wir haben unsere Wahl nie bereut.

Die darauffolgenden sechs Monate sind ein großer verschwommener Fleck in meinem Gedächtnis. Ich kann mich nicht einmal mehr an die Eröffnung des Restaurants erinnern, die Tage davor, oder die Wochen danach. Wir arbeiteten mehr Stunden in einer Woche, als die meisten Leute in einem Monat. Statt zu trauern, arbeitete ich. Genau so wie Nonno es mir beigebracht hatte, mit Dingen fertig zu werden.

Weißt du, mit wie vielen Köchen ich schon gearbeitete habe, die in die Küche kamen, nach Alkohol stanken und komplett abwesend waren, weil sie sich einfach in der Arbeit verlieren wollten, um ihre Probleme zu vergessen? Ich kann das zwar nicht gutheißen, aber ich verstehe es. Ich habe genau das Gleiche durchgemacht. Ich habe meine Gefühle hinter der Arbeit versteckt und einfach weiter gemacht. Je mehr ich arbeitete, desto weniger Zeit hatte ich, darüber nachzudenken, wie es mir ging.

Ein bisschen später im Sommer stellte mir Ky, meine Geschäftspartnerin und Freundin, ein Ultimatum. Bevor ich mich auf den Weg mache, um eine weitere Staffel meiner Reise- und Kochshow Rebel Without a Kitchen zu drehen, musste ich mit jemandem darüber sprechen, wie ich mich von allem immer mehr reizen ließ. Es fiel mir immer schwerer, ruhig und konzentriert zu bleiben. Ich drehte durch, wenn nicht alles absolut perfekt war. Das Unternehmen wuchs immer weiter und damit auch die Verantwortung. Ich wurde besessen davon, meinen verstorbenen Großvater stolz zu machen. Meine Emotionen nahmen Überhand, wenn ich es am wenigstens gebrauchen konnte: Wenn ich nicht gerade wegen der Konsistenz einer Sauce, Änderungen auf der Speisekarte oder Recycling-Mülleimern ausflippte, war es eben das Wetter während eines Food Truck-Festivals. Ich machte mir permanent Sorgen über alles. Ich war überarbeitet.

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Das Schlimmste daran ist, dass du niemals glaubst, du würdest Hilfe brauchen. Du hörst von Leuten bei der Arbeit oder von Verwandten, die Depressionen haben. Aber dich trifft es nicht, niemals.

Wir hatten gerade ohne jegliche Erfahrung ein stressiges Restaurant eröffnet und ich trauerte unbewusst um meinen Großvater. Ich ging zur Therapie. Wir sprachen über genau die Dinge, über die ich hier schreibe: über den Tod meines Großvaters, über das immer größer werdende Unternehmen, was das alles bedeutet und welchen Einfluss es auf mich hat. Die Sitzung dauerte ungefähr 3,5 Stunden und fast die Hälfte davon heulte ich.

Es verging knapp ein Jahr, bis ich wieder zur Therapie ging. Nach dem ersten Mal dachte ich, ich hätte es überwunden, aber die gleichen Gefühle kehrten zurück. Mittlerweile gehe ich jeden Monat. Im Nachhinein kommt es mir lächerlich vor, dass ich nur ein einziges Mal hingegangen bin, aber in diesem Moment fühlt man sich entweder unbesiegbar oder verdrängt alles.

Das Schlimmste daran ist, dass du niemals glaubst, du würdest Hilfe brauchen. Du hörst von Leuten bei der Arbeit oder von Verwandten, die Depressionen haben. Aber dich trifft es nicht, niemals. Du kannst mit deiner Angst selbst umgehen.

Hör auf zu jammern.

Als wir am erfolgreichsten waren, ging es mir furchtbar. Ich arbeitete 100 Stunden pro Woche, wenn nicht noch mehr. Ich sollte permanent kreativ sein und mich neu erfinden, während ich mich mit dem alltäglichen Bullshit wie kaputten Wischmopps, verlorenen Schecks, oder einem Ofen, der plötzlich nicht mehr funktionierte, herumschlagen musste—und das alles in einer Stadt, in der Restaurants schon schließen, bevor sie überhaupt geöffnet wurden.

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Ich sehe meine Freunde, wenn sie zum Essen in mein Restaurant kommen. Schlaf ist etwas, das ich genau planen muss. Meinem Auto fehlt ein Fenster und es lässt sich nur mit Mühe starten, aber es dient als Lagerraum fürs Geschäft.

Wie soll ich in diesem Umfeld überhaupt a) kreativ sein? b) darüber nachdenken, mich um mich selbst zu kümmern? Auch wenn ich das wollte, welche Möglichkeiten hätte ich? Wie können wir als Köche ein gesünderes Leben führen und gleichzeitig in einem Gewerbe arbeiten, das schlaflose Nächte und verrückte Arbeitszeiten nicht nur lobt, sondern sogar belohnt?

Nicht nur ein gebrochenes Bein, sondern auch eine Depression braucht Zeit zum Heilen. Mir wurde klar, dass meine Emotionen nicht nur meine Arbeit, sondern auch die der anderen beeinflussten. Mein Ärger und meine Frustration halfen niemandem. Als ich einen Schritt zurücktrat und meine Herangehensweise an bestimmte Situationen überdachte, konnte ich in der Küche wieder kreativer sein und auch meine Mitarbeiter lieferten positivere Resultate ab. Als Fachleute in unserem Gewerbe müssen wir uns klar sein, dass, „so läuft das eben in diesem Business", keine akzeptable Antwort mehr ist.

Wir müssen ehrlich sein, was das Leben außerhalb der Küche oder der Bar angeht, und wir müssen uns selbst fragen, ob das Leben in der Gastronomie uns wirklich dabei hilft, unsere Probleme durchzustehen. Ich sage nicht, du sollst deinen Job hinschmeißen. Ich sage, du sollst dir Zeit für dich selbst nehmen.

Wir sind glücklich, wenn es im Service gut läuft oder wenn wir ein neues Messer in der Hand halten, wenn wir eine lukrative Marktlücke gefunden haben, wenn wir zum Besten von irgendetwas gewählt werden und wenn wir sagen können, dass unser Unternehmen wächst. Die Schattenseite? Das, was es uns jeden einzelnen Tag auf körperlicher und emotionaler Ebene kostet, um das zu erreichen.