Einer ging über die Käsemesse: Was zur Hölle ist Slow Food?
Fotos: Salone del Gusto von Vanessa Guertler

FYI.

This story is over 5 years old.

Geschmackssinn

Einer ging über die Käsemesse: Was zur Hölle ist Slow Food?

MUNCHIES war auf einer Käsemesse und fragt sich, warum Juristen lieber Käse verfeinern als im Gerichtssaal zu streiten? Und warum jeder von Slow Food redet.

„Die Veranstaltung heute ist 100 Prozent Slow Food", sagt Thomas Marek am Stand von Slow Food Berlin, das die „Cheese Berlin" in der Markthalle Neun in Kreuzberg präsentiert. Die „Cheese Berlin" ist eine der wichtigsten Veranstaltungen in Deutschland rund um handwerklich hergestellten Käse. Käsemacher aus ganz Europa kommen hier seit 2012 zusammen.

Es geht um den Erhalt von Geschmacksvielfalt und Kultur. Auch wenn der Käse noch so stinkt. „Guckt euch an, was ihr esst und denkt an die Geschichte, die dahinter steckt", erklärt Thomas Marek in astreinem Slow Food Slang.

Anzeige
korbaciky

Korbaciky

Der italienische Journalist und Slow Food-Präsident Carlo Petrini hat die Organisation 1986 gegründet. Auf Schloss Fontanafredda mitten in den Weinbergen des Barolo im Piemont – wie romantisch. Aus Petrinis Genießerklub ist mittlerweile eine ganze Verbaucherkultur entstanden, die mit Essen die Welt verändern will.

Toma

Slow Food ist gegen stilloses Essen und führt einen Kampf gegen Fast Food und für kulturelle und biologische Diversität. Die Vielfalt an Geschmäckern, die abertausenden Käsesorten weltweit zum Beispiel, die oft so eng geknüpft sind an Land und Leute sollen erhalten bleiben. Frei nach dem Motto: wär eine Welt nicht voll beschissen, würde es nur mehr geschmacklosen Scheibenkäse geben? Auf dem Logo von Slow Food prangt sinnbildlich eine Schnecke.

Die Organisation unterstützt die kleinteilige, regionale Bauernschaft. Die Produzenten sollen gut bezahlt werden. Alles soll gut, sauber, fair und regional hergestellt sein. Diese gewisse Wertigkeit des Slow Food Essens hat natürlich seinen Preis.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Belper Knolle via Flickr von Keepps

Ist das durchsetzbar? Kritiker werfen der Bewegung vor, dass sich die Anhänger nur für ihren eigenen Genuss interessierten und ein dogmatisches Lebenskonzept durchzusetzen versuchen würden, wie eine Sekte. Petrini selbst warnte vor ein paar Jahren schon vor einer Entwicklung von Slow Food zu einer elitären Bewegung. Slow Food mag viele elitäre Follower haben, vor allem aber will die Organisation den kleinen Bauern helfen, damit deren Handwerk, deren Produkte in einer industrialisierten Welt weiterhin bestehen können.

Anzeige

Slow Food ist durch und durch romantisch: der Wunsch nach einer heilen Welt, nach Festen bei denen man auf den Tischen tanzt und in Wein badet.

Zurück auf der Käsemesse: In Reichweite des Stands von Slow Food treffe ich Fritz Lloyd Blomeyer. Er ist fast zwei Meter groß, hat einen Vollbart und hat seine Sonnenbrille lässig ins lange Haar gesteckt. Er ist Affineur und Händler für handgemachten Käse, studiert hat er Jura.

scamorza

Scamorza Pferde

„Affinieren kommt aus dem Französischen und heißt so viel wie ‚veredeln'", erklärt Blomeyer sein Handwerk. „Man lässt einen Käse, der noch nicht so weit gereift ist, entweder ein Stück weiter reifen oder man lenkt den Käse in eine ganz andere Richtung, legt ihn in Spirituosen ein, trocknet ihn oder reibt ihn mit unterschiedlichen Sachen ein." Das können zum Beispiel Wein, Sud oder Salzlake sein. Beim Affinieren erhält der Käse sozusagen den letzten Schliff.

Affineur ist der 30-Jährige allerdings nur inoffiziell: „Die Ausbildung zum Maître Affineur kann man nur in Frankreich machen. Mein Französisch ist miserabel, was bei den Franzosen dazu führt, dass sie nicht besonders charmant reagieren. Und um mir selbst und den Franzosen Leid zu ersparen, habe ich mir meine Affineur-Ausbildung selbst zusammengebaut."

„Der typische Tag eines Affineurs sieht so aus, dass er regelmäßig in den Käsekeller geht, nachprüft und entsprechend eingreift." Dabei sei der Affineur angewiesen, anhand der Haptik und des Geruchs ungefähr abzuschätzen, wie sich der Käse entwickelt. Dazu gehöre eine Menge Erfahrung und ganz viel Gefühl. Das ist romantisch.

Anzeige

Bontá dai pascoli

Wenn er aus dem Käsekeller kommt, sagen seine Freunde auch mal, er solle sich doch bitte noch mal duschen. Besonders wenn er den Käse „mit ein bis zwei Tonnen Rotschmiere" behandelt. Das sei die älteste dokumentierte Reifungskultur, die zum Beispiel auch beim Appenzeller angewandt wird. Durch die Behandlung besiedeln sogenannte Rotschmierbakterien die Käseoberfläche und es bildet sich eine rötliche Rinde.

Das Studium hat er abgebrochen, um Käsehändler zu werden. In den vergangenen sechs Jahren hat er sich auf handgemachte Käse aus ganz Deutschland spezialisiert.

scamorza affumicata

Geräucherter Scamorza

„Gastronomen erkennen an, dass auch deutscher Käse den Nachbarländern durchaus ebenbürtig ist." Blomeyers Anspruch während der „Cheese Berlin" sei es, den Leuten deutsche Käse zu präsentieren und ihnen näher zu bringen, „welche Goldstücke es eigentlich direkt vor der Haustür gibt." Blomeyer liebt seinen Job. Nur wenn die Spedition seinen Käse mal wieder mit einer Woche Verspätung liefert sei sehr ärgerlich.

Hat da gerade jemand Slow Food gesagt?