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Was ist die israelische Küche?

Gibt es so etwas wie DIE israelische Küche? Eine Antwort darauf—aber noch mehr Fragen—liefert uns eine junge Studentin mit Identitätskrise.

Ich bin Jüdin. Aber was heißt das schon, wenn man bedenkt, dass ich in einer Großstadt wohne, Schweinefleisch esse, Sex vor der Ehe habe und Tinder-Dates gegenüber nicht abgeneigt bin. Aufgewachsen bin ich in Israel, was für den Rest der Welt bedeutet, dass ich zuallererst Jüdin und dann erst Israeli bin. Trotzdem esse ich samstags zum Frühstück am liebsten mein Hummus im Abu Hasan in Tel Aviv, umringt von meinen arabischen Freunden und einigen komischen Touris, die sich fieberhaft in ihr „typisch israelisches Hummus" stürzen.

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Die lokale Küche zu verstehen, ist nicht gerade ein Kinderspiel. Das liegt vor allem an den vielen verschiedenen Kulturen, die auf unterschiedliche Einwanderergruppen zurückgehen. Nach und nach kamen nämlich Marokkaner, Jemeniten, Polen, Russen, Deutsche und viele andere in ein Land, das schon seit langer Zeit die Heimat von vielen Arabern gewesen war, sodass fast zwangsläufig eine neue Nation entstehen musste. Auch 70 Jahre später—wenn du durch die Straßen Tel Avivs schlenderst—ist weiterhin unklar, was genau die israelische Küche auszeichnet. Ist es vielleicht nicht einfach das Resultat aus den verschiedenen Küchen von Juden aus aller Welt, die zusammen für ein großartiges kulinarisches Potpourri sorgen? Ist es also jüdisches Essen? Nun ja, nicht wirklich. Viele Gerichte sind schlicht und einfach aus finanzieller Not entstanden—wie im Fall von unserem Auberginenaufstrich mit Lebergeschmack: ein behelfsmäßiger Abklatsch vom Original!

Unser Potential, es hinzukriegen, bleibt groß—gleichzeitig müssen wir unbedingt sicherstellen, dass wir die schwelenden politischen Fragen von unseren Küchen fernhalten.

Und auch wenn sich in den großen Städten in den letzten zehn Jahren ein gewisses kulinarisches Profil herausgebildet hat, fällt es weiterhin schwer, eine klare und kohärente gastronomische Tradition, einen roten Faden, zu erkennen. Das Ganze erinnert doch sehr an Israels Demokratiebestreben. Auf den ersten Blick scheint es da zu sein, doch je länger du hinschaust, desto mehr fällt dir auf, dass es nur ein paar vereinzelte Punkte sind, die nicht wirklich ein bedeutungsstiftendes Gefüge bilden.

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Das Essen hilft uns dabei, unsere genaue Identität auszuloten und gleichzeitig zu bewahren, vor allem wenn wir fern der Heimat sind. Als mir zum Beispiel Freunde in Italien anlässlich zum Pessach-Fest einen echten Sederteller servierten, bin ich vor Freude fast an die Decke. Dafür habe ich das letzte Pessach-Fest spontan abgeblasen und zu Hause Sushi gegessen und Mad-Men-Folgen verschlungen! Da ich für mich aber entschieden habe, dass mein Lebensweg nur über Essen gehen kann, bleibt die Frage nach meiner persönlichen Küche—vor allem auch bei der Suche nach meiner Identität—stets aktuell und unbeantwortet. Aus dem Westen oder Osten stammende jüdische Bevölkerungsgruppen, Araber und dazu noch unsere innenpolitischen Spielchen, der endlose Konflikt im Nahen Osten spiegelt sich am Ende auch in Essensfragen wider.

Ich bin mit Spaghetti Bolognese, Schnitzel, Shakshuka, Okra und Hummus großgeworden. Kurzum: Auch meine kulinarischen Vorlieben stehen wohl für eine ziemliche Identitätskrise. Tel Aviv ist eine echt tolle Stadt: Popup-Bars, hippe Locations mit toller Musik und hochtalentierten Jungköchen. Wenn man sich auf die Suche nach einheimischen Restaurants macht, kann man schnell den Überblick verlieren. Denn neben der Vielzahl an angesagten Lokalen mit amerikanischer, asiatischer, italienischer und spanischer Küche herrschen hier zwei Arten von einheimischen Restaurants vor: Restaurants mit „Markt-" und „Fusion"-Küche. Die sogenannten Market Kitchens bieten frische und saisonale sowie täglich wechselnde Menüs mit Fleisch-, Fisch- und Gemüsesorten, die Einheimische noch aussprechen können. In der Fusion-Küche kommen hingegen teure und für die Region untypische Zutaten wie Foie gras oder Trüffel zum Einsatz. Tel Aviv ist eben eine moderne Stadt, die mehr und mehr ihr verschwitztes, nahöstliches Image ablegen will, um mit reichlich Chanel N°5 in der Gegend umher zu spritzen. Denn genau das will ein wachsendes internationales Publikum.

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Im Interview erzählt mir der Food-Experte und Künstler Rafram Chaddad, dass er die moderne kulinarische Szene „fantastisch und vielfältig" findet. Andererseits, so Chaddad weiter, sei es nötig, noch mehr auf heimische Produkte aus dem Mittelmeerraum zu setzen, um die kulturelle Identität des Landes zu stärken und klarer auszuarbeiten.

Die frühen Siedler haben den Fehler begangen, die hier vorherrschende arabische Kultur abzulehnen. Denn am Ende sind wir viel ähnlicher, als sich das viele von uns jemals eingestehen würden. Wir übernahmen zwar ihren Hummus und ihr Tahin (und machten auch vor ihrem Land nicht Halt), doch wahres Brückenschlagen sieht dann wohl doch etwas anders aus. Und die viel zu wenigen Brücken, die entstanden, sind den vielen Bomben längst schon wieder zum Opfer gefallen. Andererseits gibt es noch immer viele Juden aus Osteuropa und Afrika, die sich mit Minderwertigkeitsgefühlen rumplagen und deren Küche äußerst simpel geblieben ist, was wiederum ausgezeichnet zu modernen Street-Food-Konzepten passt. Die aschkenasischen Juden aus Polen oder Deutschland haben keine typischen „gemeinsamen" Geschmacksvorlieben, was mir im Gespräch mit meinen deutschen Studienkollegen immer wieder deutlich wird. Und wenn ich in einem polnischen Lokal zum Essen verabredet bin, wirst du nicht erleben, dass ich mich groß in Schale schmeiße, nur um meine Hühnersuppe mit Kreplach zu löffeln. Die Nachteile der Küche der Juden aus dem Osten leiten sich nicht automatisch aus den Vorteilen der Küche der Anderen ab. Und selbst wenn wir uns auf ein fiktives Konzept zu den Anfängen der jüdischen Küche einigen könnten—welches andere Land definiert seine Essenskultur schon durch Religion?

Chaddad und alle anderen, die sich für ein Erstarken der israelischen Gastro-Szene aussprechen, betonen die Wichtigkeit, sich mehr mit der palästinensischen Küche sowie Produkten aus der eigenen Region auseinanderzusetzen. Natürlich sind 70 Jahre nicht gerade viel für ein Land, um sich eine einheitliche Identität zuzulegen. Unser Potential, es hinzukriegen, bleibt groß—gleichzeitig müssen wir unbedingt sicherstellen, dass wir die schwelenden politischen Fragen von unseren Küchen fernhalten.

Dann könnten wir es tatsächlich schaffen, zu einer richtigen Einheit zu werden—wenn auch anfangs nur in der Küche. Und ich könnte mein Geld dafür ausgeben, der neuen israelischen Gastro-Identität zu frönen, anstatt es meinem Therapeuten in den Hals zu stecken, um meine immer wieder aufkeimenden Identitätszweifel zu überwinden.