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Italienische Wurst

Echte Mortadella ist Perfektion in Wurstform

Original italienische Mortadella aus Bologna hat nichts mit wabbeliger Gesichtswurst zu tun, sondern ist vielmehr eine traditionsreiche, fein gewürzte Delikatesse aus magerem Schweinefleisch mit Speckstückchen gespickt.

Mortadella— da werden Kindheitserinnerungen wach an Brotdosen mit wabbeliger Gesichtswurst zwischen zwei Toastbrotscheiben. Für mich war das ein Leben lang ein absoluter Alptraum. Daher war ich überrascht, dass in der Geburtsstadt der Fleischwurst, im italienischen Bologna, Mortadella als genauso exquisit gilt wie feinster prosciutto. Eine richtig gute mortadella kann hier bis zu 20 Euro pro Kilo kosten. Das italienische Original ist weit entfernt von der labbrigen Bärchenwurst, die sich deutschlandweit in Fleischtheken und Kühlregalen findet: Original italienische Mortadella ist eine wahre Delikatesse aus magerem Schweinefleisch, fein gewürzt und mit kleinen Speckstückchen gespickt.

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Außerdem rühmt sich diese Wurst einer traditionsreichen Geschichte: Vor gut 2000 Jahren war sie Hauptnahrungsmittel der römischen Legionäre, so heißt es auf Steintafeln im Museo Civico Archeologico in Bologna. Im Mittelalter hat ungefähr ein Viertel der Einwohner Bolognas in Mortadella gemacht: In rund 280 salumerie, den speziellen Wurstgeschäften, arbeiteten damals 10.000 Menschen im Dienst der perfekten Fleischwurst. Und auch im Ausland hat sich Mortadella im Lauf der Zeit größter Beliebtheit erfreut: Napoleon brachte die Spezialität nach Frankreich, Buffalo Bill kam extra aus den USA, um Mortadella bekannter zu machen. Und in La Mortadella (1971) versuchte Sophia Loren eine Mortadella am amerikanischen Zoll vorbeizuschmuggeln.

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Eine riesige Mortadella im Caffe Zamboni. Alle Fotos von der Autorin.

In Bologna gibt es Mortadella heute an jeder Straßenecke: als herzhaftes Mousse, als Fleischbällchen, gegrillt mit lange gereiftem Balsamicoessig, als Tortellinifüllung oder in einem dicken piadina. In den letzten drei Jahren hat die Stadt sogar ihr eigenes Mortadella-Festival, das MortadellaBò, mit Mortadella-Food-Trucks, Wettbewerben und Mortadellaverkostungen veranstaltet. In Bologna ist man quasi verrückt nach Mortadella, was nicht verwundert, wenn man den Spitznamen der Stadt kennt: la grassa [die Fette]. Bologna ist eben berühmt für seine kalorienhaltige Küche.

Um zu den Anfängen der Mortadellageschichte vorzudringen, habe ich mich in Bologna zuerst auf den Weg ins Quadrilatero gemacht, ein mittelalterliches Stadtviertel mit unzähligen kleinen Gassen. Auf einer Tafel lese ich, dass hier früher die L'Arte dei Salaroli ansässig war, eine Wurstmachergilde, die sich für den Schutz der echten Mortadella eingesetzt hat, ähnlich wie beim Reinheitsgebot. Das Symbol der Gilde, die 1442 gegründet wurde, zog sogar in das Stadtwappen Bolognas ein, so mächtig war sie. 1661 hat der Papst eine rechtlich bindende Definition für Mortadella festgelegt, sodass allen, die sich den Regeln der Gilde widersetzten, schlimme Strafen drohten.

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Davide Simoni

„Warum gerade Mortadella? Naja, sie war schwer herzustellen und es war schwierig, sie auch fein zu schneiden. Dafür brauchte man Geduld und Können. Wer damals Mortadella machen konnte, wurde bewundert wie heute Ronaldo oder Messi", erzählt mir Davide Simoni, dessen Familie seit drei Generationen Mortadella herstellt. Seine Focacceria, Simoni Laboratorio, befindet sich in derselben Straße wie damals die Wurstmachergilde der Salaroli. Davide ist knapp 30 Jahre alt und voller Energie: Er will die traditionelle Mortadellaherstellung weiter am Leben erhalten und die Geschichte der Wurst bewahren. Er zeigt auf die Kopie eines Erlasses aus dem Jahr 1720 in einem Bilderrahmen an der Wand: „Hier steht: Wenn du ohne die Genehmigung der Salaroli falsche Mortadella machst, musst du dreimal auf die Streckbank, 200 Goldstücke Strafe zahlen und deine gesamte Produktion wird weggeschmissen. Da versteht man erst, wie wichtig Mortadella war…"

Während ich in mein Panino mit reichlich Mortadella beiße, erzählt mir Davide von seinem Vater Nino, der mit 69 Jahren immer noch in seiner Salumeria Simoni ein paar Häuser weiter hinter der Theke steht, und davon, wie er zwei Jahre bei Ennio Pasquini gelernt hat, die mittlerweile über 80-jährige Mortadella-Legende Bolognas. Die Mortadella mit ihrer seidigen Textur und ihrem zarten Geschmack lässt mich all die schrecklichen Erinnerungen an wabbelige Fleischwurst vergessen.

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Mortadella von Silvio Scapin

Heute übernimmt die Società di Mutuo Soccorso tra Salsamentari, gegründet 1876, die Aufgaben der Salaroli. Die Zeiten der Folter sind aber vorbei und es geht vielmehr darum, ein gemeinsames kulinarisches Erbe gebührend zu würdigen. Mehrmals im Jahr treffen sich über 100 Mitglieder jeden Alters der Società, um sich Mortadellageschichten zu erzählen.

„Wir treffen uns und essen gemeinsam", erzählt mir Davide. „Das letzte Mal gab es einen bollito, einen Eintopf mit 20 verschiedenen Einlagen aus allen Teilen des Schweins:Backen, Zunge… das ganze Tier."

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Silvio und Francesco Scapin

Das klingt nach einem ziemlichen Festmahl…

„Oh ja, wir hatten sicherheitshalber drei Krankenwagen draußen zu stehen, nur für den Fall. Wir waren ja mitten auf dem Land, da muss man Vorsichtsmaßnahmen ergreifen."

Um noch mehr über Mortadella herauszufinden, ging ich die Straße herunter, um mich mit einem eheamligen Vorsitzenden der Società zu treffen, Giovanni Tamburini. Hier betreibt er seit 1932 sein Feinkostgeschäft A. F. Tamburini Antica Salsamenteria Bolognese; das Gebäude selbst wurde aber schon viel länger als Fleischerei genutzt. Im Hauptraum hängen noch die Metallhaken von der Decke, an der die Schweine aufgegangen wurden. Genau hier wurde bis 1973 Mortadella hergestellt. Auch Francis Ford Coppola schaut gern mal vorbei, wenn er in der Stadt ist. In 1.000 Places to See Before You Die wird die Tamburinis Geschäft als „Italiens üppigstes kulinarisches Imperium" bezeichnet. Als ich die Salsamenteria betrete, ist der Besitzer gerade mit einem Lokalpolitiker im Gespräch—ich darf nicht verraten, mit wem genau. Mit einem Augenzwinkern sagt er mir, dass Tamburini berühmter ist, als die Geschlechtertürme von Bologna, das Wahrzeichen der Stadt.

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Giovanni Tamburini

„Ich hatte eigentlich niemals vor hier zu arbeiten. Nach dem Studium wollte ich meine Eltern einfach nur ein bisschen unterstützen. Sie waren schon 70, aber sträubten sich gegen jede Hilfe, denn sie fühlten sich immer noch jung und fit!" Giovanni lacht herzlich, während wir uns bei einem großen Teller Tortellini mit Mortadellafüllung unterhalten. Wenn er nicht in seinem Geschäft arbeitet, spielt er in zwei Rockbands. Eine davon heißt passenderweise „Ciccioli Ciccioli", ein Dialektwort für Schweinechips. „Aber durch meine Arbeit hier habe ich die Geschichte Bolognas entdecken können."

Tamburinis und Simonis Mortadellasorten sind stadtbekannt. In Bologna gibt es nur einen Hersteller von Bio-Mortadella, den ich natürlich treffen muss: Silvio Scapin. Dieser lebhafte Mann in seinen Fünfzigern produziert pro Woche gut 1.000 Kilo Mortadella, aber auch regionale Spezialitäten wie prosciutto cotto, salame rosa und galantina di pollo. Das Fleisch für seine Mortadella kommt ausschließlich von älteren Schweinerassen, außerdem verfeinert er seine Wurst mit Pistazien oder umbrischen Trüffeln. Das macht die Mortadella so reichhaltig, dass nach dem Essen ein kleiner Fettfilm auf meiner Zunge zurückbleibt. Das ist fast schon Perfektion in Wurstform—und so verschlinge ich in dem kleinen Familienbetrieb eine Scheibe nach der anderen.

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Tamburinis Feinkostgeschäft

„Ich habe mich an das Originalrezept aus dem 16. Jahrhundert gehalten", erzählt mir Silvio mit stolzer Brust. „Mit 13 habe ich als Aushilfe bei einem Fleischer angefangen, mit 22 habe ich dann mein eigenes Geschäft eröffnet."

Seine Kinder Francesco und Simona, 24 und 28 Jahre alt, laden mich ein, ihre kleine Wurstfabrik einmal zu besichtigen. Die Geschwister sind am gleichen Tag geboren und teilen auch die Begeisterung für ihr Familiengeschäft. „Es ist natürlich hart. Mein Vater arbeitet 12 Stunden pro Tag", erzählt mir Francesco, während wir an den glänzenden Maschinen und an Mortadellabergen vorbeigehen, die aussehen wie gestapelte Baumstämme. „So etwas kann man nur machen, wenn man auch wirklich leidenschaftlich genug ist. Man muss Mortadella einfach lieben."

Oh ja, das tue ich jetzt auf jeden Fall. Ich versuche, es wie Sophia Loren zu machen, wickle eine faustgroße Mortadella in meine Klamotten ein und stopfe sie in meinen Koffer. Mal sehen ob ich mit den Sicherheitsbeamten mehr Glück habe.