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Norwegen

Fliegenpilze und vergrabene Lämmer am nördlichen Polarkreis - Ben Reade am Arctic Food Festival

Ben Reade, ehemaliger Koch im Nordic Food Lab, flog in die winzige, norwegische Stadt Mosjøen, um beim Arctic Food Festival dabei zu sein. Einheimische und ausländische Köche trafen sich dort, um zusammen Lammkeulen zu vergraben, Fliegenpilze zu essen...
All photos courtesy of the author.

Wenn du mit deinem Essen eine Verbindung herstellen möchtest, dann musst du an seinen Ursprung gehen.

Für mich bedeutete das, in die winzige norwegische Stadt Mosjøen zu fliegen, um beim Arctic Food Festival dabei dazu zu sein, das dieses Jahr in die zweite Runde ging. Das Festival war die Idee von Per Theodor Tørrissen, einem einheimischen Koch, und Roderick Sloan, einem schottischen Koch und Seeigeltaucher.

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Das Festival stand dieses Jahr unter dem Motto „Gemeinschaft" und der Schwerpunkt lag auf dem Austausch von Ideen, Kultur und Kochkunst. Ganz ohne Ego. Ohne Wettbewerb.

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Einer der Höhepunkte war es in einem von Bergen und Bäumen umsäumten Fjord auf einem hölzernen Wikingerboot zu fischen, in arktischer Überlebenskleidung gewickelt, um dem Wetter standzuhalten. Nach ein paar Stunden legten wir am Ufer an, machten ein Lagerfeuer und säuberten unseren noch lebendigen Fang Kabeljau und Makrelen. Während wir auf eine gute Glut fürs Grillen warteten, spazierten einige von uns entlang eines verlassenen und extrem sauberen Strands, um ein paar essbare Pflanzen rundum den Fjord zu sammeln. Als wir von der Tour zurückkamen, stopften wir die Fische, die, so frisch, noch immer in Totenstarre waren, mit der, auf den Klippen gesammelten Salzmiere und Schafsampfer. Anschließend grillten wir sie über der glühenden Asche und spülten das Ganze mit wohlverdientem Bier runter.

Es ging weiter ins freundliche und üppig dekorierte Restaurant Vikgarden, wo Lee Tiernan ein Abendessen aus Seeigel, Islandmuscheln, Heilbutt, Raufußhuhn und Wild zubereitete. Im Freien wurde ein Lagerfeuer gemacht um darauf Walfleisch zu braten.

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Lee Tiernan und Roderick Sloan.

Zwergwalfleisch, in dünne Scheiben geschnitten und mit Zwiebeln und Rapsöl mariniert, wurde sehr schnell über den Kohlen gegrillt—gerade lange genug, um das dunkelrote, magere Fleisch außen leicht zu bräunen, aber so, dass es innen noch roh und blutig war. Das zarte Fleisch schmeckte saftig und sehr reichhaltig. Ungefähr wie zwei Teile Leber, zwei Teile Pferd und ein Teil Austern mit einem Schuss Sojasauce.

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Zu jedem Gang wurde ein speziell ausgewähltes Bier serviert. Abgerundet wurde das Menü mit einem Pudding aus Biestmilch - der Milch, die eine Kuh in den ersten Tagen nach der Geburt eines Neugeborenen produziert. Diese Milch mit hohem Fett- und Eiweißgehalt ist in der Gegend äußerst beliebt. Wenn sie gekocht wird und dann wieder abkühlt, variiert die Konsistenz, je nach dem zu welchem Zeitpunkt die Kuh gemolken wurde. Die Biestmilch, die wir probierten, war fast schon bröckelig. Heruntergespült haben wirs mit Kümmelschnaps.

Am nächsten Tag gruben wir ein Loch, legten Steine hinein und machten Feuer. Der Lebensmittelhistoriker und Wikinger-Archäologe Daniel Serra gab Wacholderzweige in die Grube und schmorte auf den heißen Steinen in Teig gewickelte Lammkeulen. In einem zweiten Loch grillte Serra faustgroße lila Steckrüben, die er 50 m weiter drüben geerntet hatte.

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Wir machten wir uns mit Stephen Barstow auf die Nahrungssuche und fanden alle möglichen essbaren Gräser, Spieß-Melden und Kopfkamille, Bastard-Brunnenkresse, Waldpflanzen wie Brombeersträuche und Vogelbeeren, Semmel-Stoppelpilze, Pfifferlinge, essbare Milchlinge und Fliegenpilze. Er zeigte uns, wie man den giftigen Fliegenpilz isst. Die Gifte lösen sich nämlich auf, wenn der Pilz in Scheiben geschnitten wird und in immer wieder frischem Wasser gekocht wird. Wie genau das funktioniert, erfährst du hier.

Im Laufe des Wochenendes veränderte sich die Farbe des Laubs auf den Bäumen schlagartig von grün zu herbstlichem Kupfer. Weit oben im Norden schlagen die Jahreszeiten sehr schnell um und der plötzliche Kälteeinfall kündigt die Herbst-Tag-und-Nachtgleiche, kürzere Tage und der Beginn eines harten Winters an—eine wichtige Zeit, um sich einen Fettpolster anzuessen.

Am Morgen standen einige Symposium-Vorträge auf dem Programm, unter anderen von der samischen Rentierhirtin, Laila Spil, die über die Verwendung von Tieren und Pflanzen nicht nur als Nahrung, sondern auch im medizischen Bereich sprach. Barstow teilte seine Gedanken über seltene, wilde und winterharte Gemüsesorten und dann wurde das Wort an mich weitergegeben, um darüber zu sprechen, wie der Verzehr von Meerschweinchen in Peru in dieser bilateralen Vereinbarung beiden Seiten dient. Falls es dich interessiert: Meerschweinchen werden warm gehalten und bekommen erstklassige Gartenabfälle in den Häusern der Leute—Leute, die dann eine großartige, frische Quelle für frisches Fleisch haben, ohne dass es sich negative auf die Umwelt auswirken würde. Die Videos der Vorträge werden bald online sein, also behalte den Twitter-Feed vom Arktisk Matfestival im Auge.

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Als wir unser Mittagsessen aus der Grube holten, aus der ein nach Wacholder und Lamm riechender Dampf aufstieg, nahmen wir den verkohlten Teig rundum das Lamm ab, um an das saftige und fette Lamm zu kommen. Unser Mittagessen unter freiem Himmel, war eine einzige Freude und es fühlte sich nichts passender an, als die Gesellschaft von zwei Herren, die für ihre Mittagsgewohnheiten als Legenden gelten—die Köche Fergus Henderson und Trevor Gulliver vom St. Johns in London.

Für ein paar unvergessliche, erfahrungsreiche und bekräftigende Tage, solltest du dir unbedingt den Termin nächstes Jahr freihalten—Sonntag, 20. und Montag, 21. September 2015. Nach einer Saison des Seeigeltauchens in der Arktis wird der motivierte und inspirierende Sloan nächstes Jahr die Veranstaltung unter dem Motto „Ozeane" kuratieren. Ich fühle mich geehrt, auch nächstes Jahr wieder dabei zu sein und kann ehrlich sagen, dass ich mich schon sehr freue, euch alle in der wunderbaren kleinen Stadt Mosjøen willkommen zu heißen.